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# taz.de -- Pressefreiheit in der Türkei: Die Repression hat Tradition
> Öffentliche Hetztiraden und ein fragwürdiges Akkreditierungsverfahren:
> Wie die Regierung versucht, ausländische Journalisten loszuwerden.
Bild: Wurde aus der Türkei abgeschoben: die freie Journalistin Fréderike Geer…
Als Fréderike Geerdink im Januar 2015 auf dem Polizeirevier
Diyarbakırvernommen wird, erklärt sie, es gebe nichts, das sie zu verbergen
habe. Schließlich mache sie nur ihren Job.
Stunden vorher wurde die Wohnung der niederländischen Journalistin von der
türkischen Anti-Terror-Einheit durchsucht. Geerdink berichtet seit 2006 für
niederländische, belgische, britische und US-amerikanische Medien aus der
Türkei, seit dem Jahr 2012 direkt aus der vornehmlich kurdisch geprägten
südosttürkischen Stadt Diyarbakır, in der sich außer ihr kaum ein
ausländischer Journalist dauerhaft befindet.
Sie wird angeklagt. Der Vorwurf: terroristische Propaganda. Zum
Beweismaterial zählen Kolumnen von Geerdink, die neuerdings in türkischer
Übersetzung auf der Onlinenachrichtenseite Diken erscheinen. „Das waren
Meinungsstücke“, sagt die 46-Jährige heute wie damals, „keine Propaganda�…
Hinzu kommt ein Foto, das Geerdink selbst über ihre Facebook-Seite geteilt
hatte. Es zeigt die Journalistin händeschüttelnd mit Cemil Bayilk,dem
Vorsitzenden der PKK-Dachorganisation KCK (Union der Gemeinschaften
Kurdistans), entstanden bei einem Interview im nordirakischen
Kandilgebirge. Hinter ihnen prangt eine Flagge der bewaffneten kurdischen
Arbeiterpartei PKK. Den Behörden ist das zu viel. „Hätte mich Recep Tayyip
Erdogan zum Interview in seinen Palast geladen, hätte ich auch ihm die Hand
geschüttelt. Hinter uns wäre die türkische Flagge zu sehen gewesen, und ich
hätte genauso ein Foto davon geteilt“, sagt Geerdink trocken am Telefon.
„Aber er spricht ja nicht mit uns.“
## Sender werden vom Satelliten gekickt
Repression gegen kritische Medien hat eine lange Tradition in der Türkei.
Vor allem, wenn es um die Berichterstattung zur Lage von Minderheiten im
Land geht. Zu den dunkelsten Kapiteln in der Geschichte der türkischen
Presse gehören daher die 1990er Jahre, als sich der Konflikt zwischen
türkischem Militär und PKK in seiner Hochphase befand. Dutzende
Journalisten kamen hinter Gitter, einige wurden außergerichtlich
exekutiert.
Heute, nach nur wenigen Jahren des Waffenstillstands, liegen die
Friedensgespräche zwischen Regierung und PKK wieder auf Eis. Im Südosten
des Landes herrschen kriegsähnliche Zustände. Kurdische TV-Sender werden
vom Satelliten gekickt, Onlinezeitungen gesperrt, Reporter
zusammengeschlagen oder inhaftiert.
Viele türkischsprachige Medien und Journalisten neigen inzwischen zur
Selbstzensur – aus Angst, wegen „Unterstützung einer terroristischen
Organisation“, „Beleidigung des Präsidenten“ oder „Spionage“ verhaft…
werden. Türkeikorrespondenten ausländischer Medien gewinnen so zunehmend an
Bedeutung, nicht nur aufgrund des Kurdenkonflikts.
Schon im Sommer 2013, als das Interesse der internationalen Presse an den
Geziprotesten in Istanbul nicht abreißen wollte, machte sich eine tiefe
Kluft bemerkbar. Je größer ausländische Medien die Meldungen von
Polizeigewalt aus Istanbul fuhren, desto deutlicher wurde das Schweigen der
inländischen Mainstreammedien.
## Verwehrte Akkreditierungen
Ein Stück weit Kontrolle über die lästige Berichterstattung im Ausland
behält die AKP-Regierung mit einem fragwürdigen Akkreditierungsverfahren.
Es bildet die Arbeitsgrundlage für ausländische Journalisten, denn ihre
Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung hängt unmittelbar damit zusammen. So
musste Spiegel-Korrespondent Hasnain Kazim mit seiner Familie vor rund zehn
Tagen die Türkei verlassen, weil er für das Jahr 2016 immer noch keine
Akkreditierung erhalten hatte und somit auch keinen gültigen
Aufenthaltstitel.
Fréderike Geerding erzählt ebenfalls, dass ihr bereits zweimal die
Akkreditierung verwehrt wurde. Mithilfe des Einschaltens von
niederländischen Politikern aber habe sie sie dann doch noch erhalten.
Warum ein solches Vorgehen im Fall von Hasnain Kazim nicht möglich war,
bleibt offen. Saßen doch EU-Vertreter mit der türkischen Regierung erst
kürzlich wochenlang zusammen, um über die „Rückführung“ von Flüchtling…
EU-Beitrittsgespräche und Visumserleichterungen zu verhandeln. Doch wie
Kazim auf Spiegel Online unter der Überschrift „Ein schmerzlicher Abschied“
berichtet, seien es auch Warnungen von Staatsanwälten gewesen, die ihn zu
seiner Ausreise und somit dem Aufgeben des Korrespondentenjobs in der
Türkei bewegten.
In den knapp drei Jahren, in denen Kazim aus Istanbul berichtete, kam es
bereits zur öffentlichen Hetztirade des türkischen Präsidenten Erdoğangegen
ihn persönlich. Kazim erhielt Morddrohungen und musste aus
Sicherheitsgründen zeitweise ausreisen.
## Der Journalist als „PKK-Sympathisant“
Ähnlich erging es auch Welt-Korrespondent und Ex-taz-Kollege Deniz Yücel,
der nach einer kritischen Fragestellung bei Angela Merkels Ankarabesuch im
Februar von Premierminister Ahmet Davutoğluöffentlich vorgeführt wurde.
Sein Konterfei landete in diversen regierungsnahen Zeitungen mit dem
gefährlichen Zusatz: „PKK-Sympathisant“. Auch Yücel berichtet, wie es in
der Welt heißt, „aus Sicherheitsgründen“ vorläufig nicht aus der Türkei.
Auch er erhielt bisher keine Akkreditierung. Da der Journalist jedoch
sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzt, gilt
er in der Türkei nicht als Ausländer und dürfte prinzipiell jederzeit
wieder in das Land einreisen.
Im Gegensatz zu Fréderike Geerdink. Nachdem sie von der ersten Anklage
freigesprochen wird, nimmt man sie im September 2015 erneut fest. Diesmal
in der Provinz Hakkârinahe der irakischen Grenze, weil sie sich
unwissentlich in ein gesperrtes Gebiet begibt, um von Protesten zu
berichten. „Das war naiv von mir“, sagt die Journalistin, die heute im
niederländischen Leiden sitzt. „Aber selbst wenn ich gewusst hätte, dass es
verboten ist, das Gebiet zu betreten – vielleicht hätte ich es trotzdem
gemacht, um herauszufinden, warum es gesperrt ist.“
In der Folge wurde Geerdink aus der Türkei abgeschoben, in demselben Monat,
in dem auch zwei britische Vice-Reporter in Diyarbakır verhaftet und aus
dem Land ausgewiesen wurden. Geerdinks Anwälte fechten nun die Deportation
an, die Journalistin will zurück und schreibt momentan aus den Niederlanden
analytische Stücke über die Türkei. „Auch die Journalisten der
regierungsnahen Presse stehen unter Druck“, sagt Geerdink. „Sie müssen
jederzeit damit rechnen, ihren Job zu verlieren, wenn sie etwas schreiben,
das der Regierung nicht passt.“
Um die seltsame Lage zu beschreiben, in der sich die türkische Presse
derzeit befindet, zitiert Geerdink den Cumhuriyet-Chefredakteur Can Dündar,
den sie unmittelbar vor seiner Verhaftung interviewt hatte: „Es gibt keine
Journalisten in der Türkei. Denn Journalisten müssen eigentlich
unparteiisch sein. Aber selbst die Oppositionsmedien hier haben eine
Agenda: sie wollen Erdoğanendlich loswerden.“
25 Mar 2016
## AUTOREN
Fatma Aydemir
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