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# taz.de -- Ukrainische Pilotin in russischer Haft: Der Kreml-Thriller geht wei…
> Sawtschenko sitzt seit 20 Monaten in russischer U-Haft. Je länger sie
> sitzt, desto deutlicher wird die Absurdität der Anschuldigungen.
Bild: Der Fall Sawtschenko ist inzwischen zu einer Herausforderung für das Sys…
Berlin taz | Für Eingeweihte war der vergangene Donnerstag ein Thriller in
bester Agatha Christie-Manier. An diesem Tag sollte im russischen Donezk
das Urteil im umstrittenen Prozess gegen die inhaftierte ukrainische
Kampfpilotin Nadija Sawtschenko verkündet werden.
Sawtschenko sitzt seit 20 Monaten in russischer U-Haft. Sie ist wegen
angeblichem Mordes an zwei russischen Journalisten im Separatistengebiet
Luhansk angeklagt. Kiew wirft Moskau vor, die Offizierin verschleppt zu
haben. Seit vergangenem Freitag hat sie aus Protest gegen die erneute
Verschiebung der Urteilsverkündung keine feste Nahrung und kein Wasser mehr
zu sich genommen. Jeder Tag hätte ihr letzter sein können.
Am frühen Donnerstagmorgen trat der Anwalt Mark Fejgin mit der Erklärung an
die Öffentlichkeit, dass seine Mandantin ihren trockenen Hungerstreik
abgebrochen habe. Der Grund sei eine persönliche Bitte des ukrainischen
Präsidenten Petro Poroschenko gewesen. Der Präsidenten-Brief wurde über
Twitter verbreitet. Dass sich in das Schreiben ein paar Tippfehler
eingeschlichen hatten und dass es mit der russischen Version anfing, worauf
erst dann die ukrainische folgte, fiel nicht weiter auf.
Die zivilisierte Welt, die seit einer Woche durch Solidaritätsaktionen,
Petitionen und ungewöhnlich scharfe politische Statements auf höchster
Ebene ihre Sorge über den kritischen Gesundheitszustand der Inhaftierten
zum Ausdruck gebracht hatte, atmete erleichtert auf.
Wenig später dementierte Poroschenkos Pressesprecher, überhaupt
Schriftstücke an Sawtschenko veranlasst zu haben. Der Präsident habe zwar
seine Unterstützung der Mutter und der Schwester von Nadija übermittelt,
einen Brief will er aber nicht geschrieben haben.
## Virtuelles Schlachtfeld Twitter
Daraufhin wurde der [1][Twitter-Account des Star-Anwalts Mark Fejgin], der
unter anderem auch die russische Punk-Band Pussy-Riot verteidigt hatte, zu
einem virtuellen Schlachtfeld. „Ich entschuldige mich bei allen, die den
besagten Brief gelesen haben“, schrieb er. Er sei zum Objekt ungeheurer
Manipulationen russischer Sicherheitsdienste geworden. Und noch etwas
später: „Jetzt gerade, in diesem Augenblick wird mein Twitter-Account
gehackt“.
Am Nachmittag bekannten sich die berühmt-berüchtigten russischen
sogenannten Fake-Künstler Wowan und Lexus dazu, die Botschaft des
ukrainischen Präsidenten an Sawtschenkos Verteidigung untergeschoben zu
haben. Zuletzt hatten die beiden für Furore gesorgt, als sie sich in einem
Telefonat mit Elton John für Wladimir Putin und dessen Pressesprecher
ausgegeben hatten.
Die Fake-Meister beteuern, dass sie nicht auf Bestellung des Kremls
gehandelt hätten. Mark Feijgin widerspricht dem: „Wer kann ernsthaft
annehmen, dass es sich um zwei kleine Ganoven handelt. Woher wollen die
beiden persönliche Nummern und E-Mail-Adressen von Diplomaten erhalten
haben. Ganz zu schweigen von der begleitenden Medien-Kampagne!“
## Ausgestreckter Mittelfinger
„Der echte Wowan (Jargonsprache für Wladimir) sitzt im Kreml!“ ist auch der
zweite Sawtschenkos Verteidiger Nikolaj Polozow überzeugt. Derweil macht er
sich um die Gesundheit seiner Mandantin ernsthafte Sorgen. Sawtschenko
lässt russische Ärzte nicht an sich heran. Die aus der Ukraine angereisten
Mediziner dürfen Sawtschenko nicht untersuchen, weil „sie sich dem Gericht
gegenüber beleidigend verhalten habe“, so Russlands Außenminister Sergej
Lawrow in einer Erklärung. Gemeint ist der ausgestreckte Mittelfinger, den
Sawtschenko bei der letzten Gerichtsverhandlung den Richtern gezeigt hatte.
Der Fall Sawtschenko ist inzwischen zu einer Herausforderung für das System
Putin geworden. Die kleine Frau hat es geschafft, mit ihren messerscharfen
Statements aus dem Glaskäfig, mit ihrer Unnachgiebigkeit und
Kompromisslosigkeit die Sympathien und die Aufmerksamkeit der Welt zu
bekommen. Je länger sie sitzt, desto deutlicher wird die Absurdität der
Anschuldigungen und die Hörigkeit der russischen Justiz. Dem Kreml fällt es
zunehmend schwerer, sich über die weltweiten Freilassung-Forderungen
hinwegzusetzen. Er sucht krampfhaft nach einer Lösung mit minimalem
Gesichtsverlust.
Ukrainische Intellektuelle warnen ihre Landsleute davor, Sawtschenko zu
einer nationalen Ikone, zu einem Symbol zu stilisieren. Das lenke von
grundlegenden akuten Problemen ab. Der lang anhaltende Krieg würde die
Gesellschaft zersetzen. Unter anderem hat der Fall mit dem gefakten Brief
offenbart, dass es keinen direkten Draht zwischen der ukrainischen
präsidialen Administration und Sawtschenkos Verteidigung gibt. Wenn sich da
in Bälde nicht die nächsten Kapitel des Thrillers auftun.
12 Mar 2016
## LINKS
[1] https://twitter.com/mark_feygin
## AUTOREN
Irina Serdyuk
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