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# taz.de -- Minsker Friedensabkommen: Am Waldrand verläuft die Front
> Die Kleinstadt Marjinka im Donbass, die ukrainische Soldaten
> kontrollieren, ist fast täglich unter Beschuss durch pro-russische
> Kämpfer.
Bild: Warten auf die Waffenruhe: Die Rentnerin Olga in der Nähe ihres Hauses i…
Marjinka taz | Dauerbeschuss, Raketeneinschläge und Minenexplosionen – das
ist Alltag für Hunderttausende Menschen im Donbass. Besonders für
diejenigen, die ihr Zuhause an der Demarkationslinie zwischen ukrainischen
und von pro-russischen Kämpfern kontrollierten Gebieten haben. „Im Moment
muss ich das so hinnehmen“, sagt Alina.
Sie lebt in Marjinka, einem Ort auf ukrainisch kontrolliertem Territorium,
nur ein paar Kilometer von Donezk entfernt – einer Großstadt, die seit
knapp zwei Jahren in der Hand prorussischer Kämpfer ist. Vor dem Krieg
zählte Marjinka 12.000 Einwohner. Heute sind es nur noch 6.000.
Alina arbeitet in einem Kulturhaus. „Seit zwei Jahren gibt es weder Gas
noch Wasser“, erzählt sie. Auch Sozialdienste funktionierten nicht. Einen
Jungen, der kürzlich bei einem Beschuss getötet worden sei, habe man erst
Tage später gefunden und begraben.
Auch nach zwei Jahren haben sich die Menschen an die Militärs in der Stadt
noch nicht gewöhnt. Die Einstellungen ihnen gegenüber sind sehr
verschieden. Einige bitten sie, im Haushalt zu helfen, andere wollen sie
nicht mal im Laden bedienen. „Die meisten grüßen uns, wenn sie uns treffen.
Aber nicht alle. Oft siehst du Frauen, die schwarze Tücher tragen. Deren
Männer oder Brüder kämpfen auf der Seite der Separatisten. Manche sind
überzeugt, dass wir an ihrer Misere schuld sind. Dabei beschützen wir bloß
diese Menschen und unser Land vor dem Feind“, sagt Oleg, Kämpfer der
ukrainischen Militäreinheit, die in Marjinka stationiert ist.
## 300 Meter Abstand
Der Abstand zwischen den Stellungen der ukrainischen Armee und denen der
Separatisten ist klein, zuweilen sind es nur 300 Meter. „Bei Einbruch der
Dunkelheit werden die Scharfschützen aktiv. Das passiert manchmal auch
tagsüber. Vorige Woche wurde einer von uns während der Wachablösung tödlich
getroffen“, erzählt Oleg.
Das Leben an der Front ist schlicht. Die Soldaten sind in einem leer
stehenden Haus stationiert und schlafen zu acht in einem Zimmer auf selbst
gebauten Pritschen. Als Kissen dient zusammengelegte Kleidung. An den
Wänden hängen Kinderzeichnungen und Grußkarten, auf dem Herd steht ein Topf
mit Kohlsuppe. Die meisten Soldaten waren seit acht Monaten nicht mehr zu
Hause.
In einem Zimmer steht ein Fernseher. Empfangen werden nur russische oder
separatistische Sender. „Wenn ich nicht selbst hier vor Ort wäre, würde ich
alles, was man über die hiesige Lage berichtet, für bare Münze nehmen“,
sagt Oleg. „Außerdem laufen ständig Kriegsthriller. Du kommst nach einer
Schießerei zurück, willst entspannen, schaltest den Fernseher ein, und das
Geballer geht weiter.“
„Schauen Sie, was man unserer Brigade geschickt hat!“ Oleg holt eine Kiste
mit bunten Keksen in Herzform. Doch das hebt die Stimmung kaum. „Jeder von
uns hier hat psychische Probleme. Ich möchte diesen Albtraum möglichst
schnell hinter mir lassen. Wobei ich sehr wohl verstehe, warum ich hier
bin“, sagt ein Soldat aus der Westukraine.
## Abwarten in der Dunkelheit
Olgas Haus befindet sich gegenüber einer Stellung der Separatisten – am
Waldrand hinter dem Feld. Sie zeigt ihren Zaun, der wie ein Sieb aussieht.
Als ob jemand mit einem Gewehr das Schießen trainiert hätte. „Der Beschuss
fängt nachmittags an und dauert bis Mitternacht“, erzählt die 80-jährige.
„In dieser Zeit sitze ich ohne Licht im Haus und warte ab. Das ist der
zweite Krieg in meinem Leben“, sagt Olga. Sie lebt mit ihrer Nachbarin
zusammen, deren Haus von einer Rakete getroffen wurde.
Ein paar Straßen weiter steht das Haus von Larissa. Sie wolle, wie sie
sagt, ein Souvenir vorzeigen, verschwindet im Schuppen und kommt mit dem
Gerippe eines Geschosses heraus, das in ihrem Garten explodierte.
Im Hof wimmelt es von Katzen und Hunden. Einige seien von den Besitzern,
die Marjinka verlassen haben, abgegeben worden. Der Rest sei ihr
zugelaufen, weil „die Tiere immer spüren, wo Leben ist“.
Larissa arbeitet wie Alina im Kulturhaus. Seit Kriegsbeginn hätten sie viel
mehr zu tun, erzählt sie. Die Eltern würden versuchen, die Kinder
abzulenken. Sie bringen die Kleinen regelmäßig zu den Kursen und lassen
sich von Schußwechseln nicht abschrecken. „Ich will meine ganze Energie für
ein normales, friedliches Leben einsetzen. Mit Kindern malen, basteln,
Geschichten erfinden“, sagt Alina. „Ich möchte an das Leben denken und
nicht an den Tod“.
Aus dem Russischen von Irina Serdyuk
3 Mar 2016
## AUTOREN
Anastasia Magasowa
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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