# taz.de -- Literatur aus Kolumbien: Nahendes Unwetter in der Karibik | |
> Ein Geheimtipp der kolumbianischen Literatur: Tomás González und sein | |
> spannungsgeladener Roman „Was das Meer ihnen vorschlug“. | |
Bild: Sieht gut aus: Strand in Kolumbien. | |
Mit Verachtung straft der Vater seine erwachsenen Zwillingssöhne. | |
Überheblich begegnet er den Bewohnern und den Naturgewalten der Küste. | |
Hier, am Golf von Morrosquillo, hat es der Mann aus den Bergen Antioquias | |
mit seiner Ferienanlage „Playamar“ zu bescheidenem Reichtum gebracht. In | |
der Hochsaison ziehen trinkfreudige Gäste in die einfachen „Cabañas“ am | |
Strand. Mario und Javier schmeißen den Laden, aber sie hassen den | |
despotischen Vater. | |
Vor der tropischen Kulisse eines aufziehenden Unwetters erzählt der Roman | |
„Was das Meer ihnen vorschlug“ aus verschiedenen Perspektiven, stündlich | |
vorrückend von den sich dramatisch zuspitzenden Ereignissen eines Tages und | |
einer Nacht. Gekonnt entwickelt der kolumbianische Schriftsteller Tomás | |
González in 27 Kapiteln ein vielstimmiges, von Geringschätzung und | |
Machismus geprägtes Familien- und Sittengemälde. | |
González gilt als das bestgehütete Geheimnis der kolumbianischen Literatur | |
– auch weil er sich konsequent der Öffentlichkeit entzieht. 1950 in | |
Medellíngeboren, lebte er 20 Jahre in den USA und arbeitete dort als | |
Übersetzer. 2002 kehrte er nach Kolumbien zurück. Heute wohnt er in | |
Cachipay, einer kleinen Ortschaft, in der Nähe Bogotás. Die karibischen | |
Strände von Morrosquillo, wo die Familie den Sommer verbrachte, sind ihm | |
seit der Kindheit vertraut. | |
Im Mittelpunkt des von Peter und Rainer Schultze-Kraft kenntnisreich | |
übersetzten Romans steht der spannungsgeladene und maßlose Fischfang der | |
jungen Männer mit dem verhassten Vater. „Sie hatten vor, einen Tag und eine | |
Nacht auf See zu bleiben und drei- bis vierhundert Kilo Spitzmaulbrassen, | |
Stachelmakrelen, Seebarsche, Stöcker, Sábalos, Schnäpper und Grunzer zu | |
angeln …“ | |
## Der Wahn der Nora | |
Doch die sich auf dem Meer zutragenden Ereignisse werden immer wieder durch | |
den Wechsel der Erzählperspektiven unterbrochen und von den gelassen | |
vorgetragenen Beobachtungen einzelner Feriengäste atmosphärisch | |
wirkungsvoll hinausgezögert. Durch den sich entladenden Sturm kulminiert | |
schließlich die Situation auf dem Boot – ohne jedoch den drei Männern einen | |
Ausweg aus dem zwanghaft destruktiven Verhältnis anzubieten. | |
Dem archaisch männlichen Gebaren von Unterwerfung und Dominanz setzt der | |
kolumbianische Autor mit der Figur Noras, der schizophrenen Mutter der | |
Zwillinge, ein ausdrucksstarkes Gegengewicht. Durch ihren Wahn entzog sie | |
sich vor Jahren schon den Grobheiten und Demütigungen des Vaters ihrer | |
Söhne. | |
Kaum bekleidet und mit von Medikamenten aufgeschwemmten Gesicht bewohnt die | |
einst attraktive Frau nun eine der Hütten, versorgt von ihren Söhnen und | |
der wenig geschätzten Hotelköchin. Nora ist die Königin in ihrem eigenen | |
Schattenreich, in dem Hasen von der Decke winken, aber auch „Erzfeindin | |
Catalina“ oder „das Luder Carlota“ ihr stetig zusetzen. Früher war sie m… | |
Hippies umhergezogen, hatte die Universität besucht und Bücher gelesen. | |
Von Habgier und Ignoranz umgeben setzt sie auf ihre Art der beklemmenden | |
Realität zwischen Palmen und Sandstrand etwas entgegen: „Ach, wenn ich nur | |
schon Urlaub hätte“, überrascht Nora die Nachbarin beim gemeinsamen | |
Spaziergang am Meer. Wo sie arbeite, erkundigt sich diese höflich. „Im | |
Außenministerium, ein Sack voller Nieten.“ | |
18 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Eva-Christina Meier | |
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