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# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Es war einmal in Nicaragua
> Am 19. Juli 1979 endete in Nicaragua die Diktatur der Familiendynastie
> Somoza, die über 40 Jahre das Land beherrscht hatte. Die Aufständischen
> unter Daniel Ortega übernahmen die Macht. Ein Bericht.
Bild: Genosse Präsident Ortega, einst Guerillero Daniel.
César Augusto Sandinos Antwort an einen nordamerikanischen Offizier, der
ihn zur Kapitulation aufgefordert hatte, bewies Entschlossenheit: "Ich
ergebe mich nicht. Ich erwarte Sie hier. Wenn ich kein freies Vaterland
haben kann, will ich lieber sterben."
Im frühen 20. Jahrhundert hatte Nicaragua bereits mehrere Invasionen der
USA hinter sich. Seit 1854 mischten sich die Nordamerikaner militärisch in
die Politik des Landes ein. Auch Großbritannien versuchte, dessen
Atlantikküste unter seine Kontrolle zu bringen, denn beide Großmächte
planten lange Zeit eine Kanalverbindung zwischen Pazifik und Atlantik auf
nicaraguanischem Gebiet, bevor die Entscheidung für den 1914 vollendeten
Panamakanal fiel.
Unter dem Vorwand, die politischen und militärischen Konflikte zwischen
Liberalen und Konservativen im Land zu schlichten, entsandte
US-Außenminister Philander C. Knox im September 1909 ein Truppenkontingent
nach Nicaragua, das erst 1925 wieder abzog. Ein Jahr später landeten erneut
mehr als 5.000 amerikanische Marinesoldaten und blieben bis 1933, diesmal
vorgeblich, um die drohende Eroberung des Landes durch die "mexikanischen
Agenten des Bolschewismus" zu verhindern.
Einer dieser "Agenten" war Sandino. Zwar betrachtete er sich selbst als
liberal, doch 1927 griff er zu den Waffen, nicht nur um die US-Invasoren,
die er wahlweise als "Imperialisten" oder "Kokainistenbande" bezeichnete,
zu bekämpfen, sondern auch gegen die liberal-konservative Elite Nicaraguas.
Diese betrachtete er als repressiv, ausbeuterisch und rassistisch.
Außerdem warf er ihr den Ausverkauf des Landes vor. "Sandino hat von den
anarchistischen Gewerkschaften in Mexiko die schwarz-rote Fahne und vom
Salvadorianer Farabundo Martí(1) die Analyse der Klassengesellschaft
übernommen", erklärt der Soziologe Orlando Nuñez. "In seinen Schriften
formulierte er die Notwendigkeit einer lateinamerikanischen Einigung, von
der schon Simón Bolivar geträumt hat, aber er spricht auch davon, die
indigene Bevölkerung einzubinden und das Bündnis mit den einheimischen
Unternehmern zu suchen, um dem US-Imperialismus die Stirn zu bieten."
Bedrängt von der kleinen Guerilla, die Sandino, der "General der freien
Männer", um sich geschart hatte, wurden die US-Truppen zu Anfang der Großen
Depression aus Kostengründen abgezogen. Zurück ließen sie eine
Nationalgarde unter Führung eines einheimischen Offiziers, der seine
Ausbildung in Militärakademien der USA absolviert hatte: Anastasio Somoza.
Am 21. Februar 1934 folgte Sandino einer Einladung der Regierung zu
Verhandlungen. Beim Verlassen des offiziellen Empfangs bei Präsident Juan
Bautista wurde er ermordet. Einige Monate danach gab Somoza zu, dass die
Anweisung zu diesem Mordanschlag vom US-Botschafter Arthur Bliss Lane
gekommen war.
Unter der Vormundschaft Washingtons hielt sich die Somoza-Dynastie -
Anastasio (1936-1956), Luis (1956-1963), Anastasio Junior (1967-1979) -
mehr als vier Jahrzehnte an der Macht. 1960 gründeten Carlos Fonseca
Amador, Tomas Borge und andere nicaraguanische Intellektuelle unter dem
Eindruck der kubanischen Revolution die Sandinistische Nationale
Befreiungsfront (FSLN).
Lange Zeit waren die Erfolge dieser Guerilla eher bescheiden, vor allem
weil es den Kämpfern an Erfahrung im Umgang mit der Landbevölkerung fehlte.
Doch die Machtfülle und der Machtmissbrauch der Familie Somoza und deren
Willfährigkeit gegenüber den USA schürten auch in Teilen des Bürgertums
Unzufriedenheit.
Dort keimte die Hoffnung, man könne sich im Bunde mit der FSLN des
Diktators entledigen und politisches Territorium zurückerobern. Auf der
anderen Seite erkannten die Sandinisten, dass mit dieser Annäherung ihre
Ziele in greifbare Nähe rückten. Auch das Zusammengehen mit den Anhängern
der christlichen Befreiungstheologie - verstanden als eine Kirche der Armen
- war ein entscheidender Schritt.
Während die Diktatur die Repression verschärfte, gewann die linke Guerilla
mit einigen spektakulären militärischen Erfolgen im Jahr 1978 auch
international viel Sympathie. Die US-Regierung unter Präsident Carter
(1977-1981) konnte Somoza nicht mehr stützen. Am 19. Juli 1979 endete der
bewaffnete Aufstand mit dem Sturz des Diktators.
Die sandinistische Revolution stieß international - insbesondere bei den
europäischen Linken - auf viel Sympathie. Dass zahlreiche Bürgerliche an
der Macht beteiligt waren, bekräftigte die Hoffnung, zumal der
sozialdemokratisch orientierten Regierungen, auf ein moderates politisches
System. Carlos Fonseca, der Sohn des FSLN-Gründers, erinnert sich: "Die
Revolution hat Begeisterungsstürme ausgelöst. Alle, die damals jung waren,
hat diese politische Atmosphäre zutiefst geprägt. Nichts schien uns
unmöglich."
In weniger als zehn Jahren sorgte die Bildungskampagne der Regierung unter
dem jungen Daniel Ortega für einen Rückgang des Analphabetentums von 54 auf
12 Prozent. Menschen aus einfachen Verhältnissen erhielten Zugang zu
höherer Bildung. Gesundheitsversorgung war nicht länger das Privileg einer
Minderheit. Bauern profitierten von der teilweisen Enteignung und
Neuverteilung von Großgrundbesitz.
Wichtige Ressourcen wurden verstaatlicht. Die Regierung drängte die
Arbeiter zum gewerkschaftlichen Zusammenschluss und die kleinen Bauern zur
Gründung von landwirtschaftlichen Kooperativen. "Es begann ein Prozess der
sozialen Gerechtigkeit und der politischen Organisation auf der untersten
Ebene", sagt Orlando Nuñez.
Doch dafür wäre ein Umbau des politischen Systems und eine andere
Wirtschaftsordnung nötig gewesen. An diesem Punkt kam es innerhalb des
Regierungsbündnisses sehr bald zu Zerwürfnissen. Die mit der FSLN
verbündeten Bürgerlichen wollten zwar die Diktatur stürzen, aber
keinesfalls die rechtsstaatliche Ordnung in ihrer überkommenen Form
antasten.
Die Revolutionäre dagegen betrachteten ihre liberalen Mitstreiter als
Mittel, um international in einem günstigeren Licht dazustehen und so einem
möglichen Boykott oder militärischen Angriff zu entgehen. Nuñez: "Die
Revolution musste den Eindruck einer demokratischen und katholischen
Gesinnung erwecken. Mit anderen Worten: Sie durfte die Interessen der
Vereinigten Staaten und Europas nicht erkennbar gefährden."
Doch die Rechnung ging nicht auf. Noch unter Jimmy Carter rüsteten die
Vereinigten Staaten die ehemaligen Nationalgardisten Somozas zum
konterrevolutionären Kampf. Und Präsident Ronald Reagan war kaum im Amt,
als er sich im Januar 1981 zu der Behauptung verstieg, Nicaragua sei
gegenwärtig das größte Sicherheitsproblem für die USA.
US-amerikanische Offiziere und Söldner, darunter etliche Exilkubaner,
bildeten in Honduras, El Salvador und Costa Rica die konterrevolutionäre
Guerilla aus. Vom Grenzgebiet der Nachbarländer aus griffen diese Contras
nicaraguanische Soldaten und Zivilisten an. "Meine Generation wurde zum
Kriegführen gezwungen", erzählt Carlos Fonseca Junior. "Ich war fünfzehn,
als ich an die Front gehen musste, wie tausende andere Nicaraguaner auch.
Unsere Gegner waren die traditionelle Oligarchie im eigenen Land und die
Vereinigten Staaten."
"Gottlose", "Kriegstreiber", "Kommunisten", "totalitäre Exporteure der
Revolution", "Drogenhändler" - gekämpft wurde nicht nur mit Waffen. Die
Tageszeitung La Prensa und andere konservative Medien in Nicaragua
lieferten die Munition für eine internationale Diffamierungskampagne.
Die Kriegswirtschaft brachte Nahrungsmittelknappheit und Rückschritte bei
den Sozialreformen. Schon allein deshalb verbreitete sich Missstimmung in
der Bevölkerung. Überdies spielten viele Maßnahmen der Sandinisten den
Contras direkt in die Hände. Diese gewannen Anhänger bei den Kleinbauern,
für die die massiv geförderten staatlichen Genossenschaften eine unfaire
Konkurrenz darstellten. Auf Widerstand stießen auch dirigistische
Handelsbeschränkungen und Preisdiktate, ebenso die im September 1983
eingeführte allgemeine Wehrpflicht.
Die indigenen Miskitos an der Atlantikküste wurden zwangsweise evakuiert,
und es kam zu Massenverhaftungen. Jacinto Suárez kämpfte damals auf Seiten
der FSLN und ist heute deren Abgeordneter im Zentralamerikanischen
Parlament. "Es gelang uns damals nicht, ein gutes Verhältnis zur
Landbevölkerung aufzubauen", sagt er. "Wenn ich heute mit ehemaligen
Anführern der Contras rede, wird mir klar, dass wir da schwere Fehler
gemacht haben. Wir haben Teile der Bauernschaft und der indigenen
Bevölkerung angegriffen. So mancher von uns glaubte, dass ihm die Waffe in
der Hand das Recht gab, seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen."
Obwohl die Contras in diesem Konflikt, der insgesamt 29 000 Menschenleben
kostete, enorme Verwüstungen anrichteten, verfehlten sie ihre militärischen
Ziele. Den Regierungstruppen gelang es, sie in einem schmalen Landstreifen,
dem "Contra-Korridor", festzuhalten. 1984 gewannen die Sandinisten
überlegen die Präsidenten- und Parlamentswahlen. Zudem regte sich in den
USA Widerstand gegen die Unterstützung der Contras. 1986 wurde die
Iran-Contra-Affäre öffentlich: Die US-Regierung hatte heimlich Waffen an
Iran verkauft und mit diesem Geld die Contras finanziert. Zudem hatten die
Contras mit Rückendeckung der CIA Drogenhandel betrieben.
1987 wurden die Vereinigten Staaten vom Internationalen Gerichtshof in Den
Haag wegen der Verminung der nicaraguanischen Häfen zu einer hohen
Entschädigungszahlung verurteilt.
Der Krieg gegen die Contras hatte das arme Nicaragua wirtschaftlich völlig
erschöpft, das Land teilweise verwüstet und die Bevölkerung demoralisiert.
Nach Friedensverhandlungen zwischen Sandinisten und Contras wurden am 25.
Februar 1990 Präsidentenwahlen abgehalten, bei denen die bürgerliche
Kandidatin Violeta Chamorro siegte, Anführerin des Nationalen
Oppositionsbündnisses UNO. Im Verlauf des Wahlkampfs konnten die
Sandinisten laut Meinungsumfragen noch auf die Unterstützung von 53 Prozent
der Bevölkerung zählen. Doch dann marschierten die USA in Panama ein, und
die Regierung beging einen verhängnisvollen Fehler.
"Dank der Verhandlungen mit den Contras schien das Land endlich einem
Frieden nahe", sagt Jacinto Suárez. "Endlich hörte das Töten auf, und es
zeigte sich ein Licht am Ende des Tunnels. Aber als die Amerikaner in
Panama einmarschierten, umstellten Panzer die US-Botschaft in Managua.(2)
Bewaffnete Sandinisten marschierten durch die Straßen, um Solidarität mit
dem Nachbarland zu demonstrieren. Zwei Tage danach lagen wir in den
Meinungsumfragen nur noch bei 34 Prozent. Dieser Trend ließ sich nicht mehr
umkehren. Die Leute hatten Angst, dass unter einer sandinistischen
Regierung der Krieg weitergehen würde."
Den Wahlverlierern blieben noch wenige Wochen, um mit Violeta Chamorro eine
geordnete Machtübergabe auszuhandeln. Gegen den Widerstand der Vereinigten
Staaten akzeptierte die neue Präsidentin, den Sandinisten das Kommando über
Armee, Polizei und Geheimdienste zu überlassen, wobei Letztere allmählich
aufgelöst werden sollten.
Die Europäer spielten bei diesem Friedensprozess die Rolle des Vermittlers.
Insbesondere der spanische Ministerpräsident Felipe González "übernahm eine
Aufgabe, die die Gringos nicht direkt erledigen konnten", versichert der
damalige Armeeinspekteur Lenín Cerna. "Schon bald danach hatten sie alle
unsere Geheimdienste in der Hand." Immerhin behielten die Sandinisten die
Kontrolle über Armee und Polizei. Der letzte hohe Offizier, der seine
Laufbahn als sandinistischer Guerillero begann, wird demnächst in Pension
gehen.
Nachdem die Contras aufgelöst waren, gliederten sich ihre Angehörigen mehr
oder weniger erfolgreich in die nicaraguanische Gesellschaft ein. Die neue
Regierung und die Oligarchie begannen zunehmend, die Vereinbarungen zur
Machtübergabe in Frage zu stellen. Zugleich gingen sie daran, die sozialen
Errungenschaften der Revolution zu demontieren. Der Wind hatte sich
gedreht.
Das war auch für Israel Galeano, einen ehemaligen Anführer der Contras,
eine bittere Erfahrung: "Erst hat die Oligarchie mit eurer Hilfe den
Somoza-Clan verjagt. Dann hat sie uns benutzt, um euch aus der Regierung zu
jagen. Keiner von uns hat etwas davon gehabt. Nur die Oligarchie hat am
Ende triumphiert."(3)
Elena Aguilar war einst militante Sandinistin und arbeitet heute an der
Arbeiter-und-Bauern-Schule "Francisco Morazán" in einem Vorort von Managua.
Sie schildert, wie die alten Eliten des Landes nicht nur den Staat
betrogen, sondern auch die Bauern, die in den 1980er-Jahren von der
Umverteilung des Ackerlands profitiert hatten. "Zunächst erklärte man den
Bauern, dass die alten Eigentümer ihr Land zurückverlangten, stattdessen
aber vom Staat entschädigt würden.
Tatsächlich hat der Staat großzügige Entschädigungen gezahlt. Das hat die
Alteigentümer aber nicht daran gehindert, später die Rückübertragung von
"gestohlenem" Land einzuklagen. Es kam zu endlosen Gerichtsverhandlungen.
Die Bauern und die Kooperativen konnten sich diese Prozesse nicht leisten.
Irgendwann tauchten angebliche Berater auf und rieten den Leuten zum
Vergleich. Viele verkauften ihr Land billig an die Kläger. Rein zufällig
gab es enge Familienbande zwischen diesen Klägern und einigen hohen
Ministerialbeamten."
Mit Violeta Chamorro hielt der Neoliberalismus in Nicaragua Einzug - zum
Vorteil vor allem US-amerikanischer, aber auch europäischer und asiatischer
Konzerne. Öffentliche Güter wurden verschleudert, die Spekulation blühte.
"In nur wenigen Jahren", sagt Orlando Nuñez, "haben diese Leute die ohnehin
schwache Mittelschicht im Land so gut wie eliminiert und den vielen
Kleinbetrieben auf dem Land und in den Städten den Boden entzogen. Sie
haben Nicaragua in seine bisher schlimmste wirtschaftliche, soziale und
finanzielle Krise gestürzt."
Unter den Präsidenten Violeta Chamorro, Arnoldo Alemán und Enrique Bolaños
gingen die meisten Errungenschaften der Revolution zum Teufel. Die Löhne
schrumpften auf Grund der Inflation um ein Drittel, die Arbeitslosigkeit
erreichte 45 Prozent, die Verarmung zog immer weitere Kreise.
Unaufhaltsam schien der deprimierende Rückfall in alte Zeiten. "Die
Revolution hat nicht lange genug gedauert, um das System zu erneuern",
erklärt Carlos Fonseca. "Sie ist an den politischen und wirtschaftlichen
Realitäten und an dem Krieg gescheitert, den man ihr aufgezwungen hat. Die
aktive Teilhabe der Bevölkerung an der Macht war nicht institutionell
gefestigt, sonst hätte der Neoliberalismus nicht so leicht die sozialen
Errungenschaften aushebeln können."
Ernüchternd ist, dass der Widerstand gegen diesen Neoliberalismus durch
Spaltungen und erbitterte Kämpfe unter den Sandinisten untergraben wurde.
Beim Parteikongress von 1994 eskalierte die Auseinandersetzung. Mit 12 von
15 Sitzen im Parteivorstand siegte Ortegas radikaler Flügel. Für sein
autoritäres Vorgehen wurde er wiederholt scharf kritisiert. Viele
prominente Funktionäre, darunter fast alle früheren FSLN-Minister und
Abgeordneten, traten aus der Partei aus und gründeten die Bewegung der
Sandinistischen Erneuerung (MRS).(4)
Zwölf Jahre später siegte die FSLN unter Ortega bei den Präsidentenwahlen
am 5. November 2006 mit 38 Prozent der Stimmen. Um das zu erreichen, hatte
sich Ortega immer wieder auf politischen Kuhhandel und Kompromisse
eingelassen, die die alten Anhänger vor den Kopf stoßen mussten. So hatten
in der Vergangenheit Sandinisten und Konservative gemeinsam dafür gesorgt,
dass der ehemalige Präsident Arnoldo Alemán wegen Korruption angeklagt und
verurteilt wurde.
Nun bot Ortega dem zu 20 Jahren Haft verurteilten Politiker die Freilassung
- formell als Umwandlung der Strafe in einen angeblichen Hausarrest -,
falls sich Alemáns Liberale Verfassungspartei (PLC) aus dem
Präsidentenwahlkampf heraushielt. Ebenso erstaunlich war der
"Nichtangriffspakt" der Sandinisten mit Kardinal Miguel Obando y Bravo: In
den 1980er-Jahren war der Kleriker einer der wütendsten Feinde der
Sandinisten gewesen, doch angesichts des Vormarschs evangelikaler Sekten in
Lateinamerika sah er den Vorteil eines solchen Bündnisses für die
Katholiken und spielte mit.
"Wir haben konsequent vorteilhafte Allianzen mit den Parteien der
Oligarchie angestrebt", erzählt Eden Pastora5, der legendäre Comandante
Zero aus den Tagen der Revolution und spätere Überläufer zu den Contras,
der dann nochmals die Seite wechselte: "Mal machen wir mit den einen
gemeinsame Sache, dann wieder mit anderen. So sind wir vorangekommen, aber
wir verkaufen uns nicht. Es ist uns gelungen, den Gegner zu spalten und zu
schwächen.
Anfangs hatte ich auch meine Probleme mit dieser Strategie, aber ich bin
der nüchternen Einsicht gefolgt: Wenn uns solche Pakte an die Macht bringen
und uns in die Lage versetzen, unsere Gesellschaftsreform fortzusetzen,
dann sind sie gerechtfertigt." Lenín Cerna sekundiert: "Unsere Bündnisse
während der Opposition waren rein taktische Manöver. Was Taktik und
Strategie angeht, macht uns so schnell keiner etwas vor. Wir waren
schließlich mal Guerilleros und Offiziere, dann erst sind wir Politiker
geworden." So viel Pragmatismus ist für viele nicht mehr hinnehmbar.
Bei den Kommunalwahlen vom 9. November 2008 siegte die FSLN dennoch in 105
von 146 Gemeinden. Zuvor hatte Ortega die beiden wichtigsten
Oppositionsparteien trickreich von der Wahl ausgeschlossen: die
konservative PC und die 1994 von der FSLN abgespaltene MRS. Es gab auch
Vorwürfe des Wahlbetrugs, zumindest der Intransparenz.
Dennoch: Seit Beginn der sandinistischen Präsidentschaft am 10. Januar 2007
sind Gesundheitsvorsorge und Bildung wieder umsonst. Hinzu kommt ein "Null
Hunger"-Programm: Millionen Kinder erhalten in den Schulen täglich eine
unentgeltliche Mahlzeit. Um die Abhängigkeit des Landes von
Nahrungsmittelimporten zu verringern, vergibt die Regierung zudem Ackerland
und Kredite zu sehr niedrigen Zinsen an kleine und mittlere Produzenten.
Mehrere hunderttausend Familien kamen bereits in den Genuss dieser
Initiative, die von Frauen verwaltet und in Kooperativen organisiert wird.
"Die Frauen sind am verlässlichsten und fast immer für das Überleben der
Familie verantwortlich", erklärt Elena Aguilera. "Und zwar umso mehr, als
die Männer immer häufiger auswandern müssen, weil sie in Nicaragua keine
bezahlte Arbeit finden."(6) Die Frauen erhalten eine Ausbildung und ein
Startkapital in Form von Kühen, Schweinen und Getreide. Sie bezahlen nur 20
Prozent ihrer Darlehen zurück. Der Rest soll kapitalisiert werden und ihnen
helfen, als Selbstversorgerinnen auf eigenen Beinen zu stehen. Im Rahmen
des Programms "Null Wucher" vergibt der Staat zu einem Zinssatz von 5
Prozent (statt der üblichen 25 Prozent) Kredite an Selbständige.(7)
Außerdem weht der politische Wind in der Region jetzt aus einer anderen
Richtung. Im Rahmen der Wirtschaftsgemeinschaft Bolivarianische Allianz für
unser Amerika (Alba)(8) tauscht Nicaragua Bohnen, Fleisch und Leder gegen
Erdöl aus Venezuela.(9) Die Alba finanziert über solche Tauschgeschäfte und
über ihre Entwicklungsbank einen wesentlichen Teil der Sozialprogramme im
Land, wie die Alphabetisierungskampagne und die kubanischen Augenärzte, die
mit modernem Gerät aus Venezuela arbeiten.
Im Februar trat der neue US-Botschafter Robert Callahan in Managua sein Amt
an. Diese Personalie hat alte Wunden wieder aufgerissen, denn in den
1980ern war derselbe Callahan Presseattaché der diplomatischen Vertretung
der USA in Honduras unter John Negroponte. Zu dieser Zeit steuerte die CIA
von dort aus die Offensive der Contras. Präsident Ortega hat dem
Botschafter im Februar schon einmal mit Ausweisung gedroht.
Fußnoten:
(1) Farabundo Martí, Gründer der Kommunistischen Partei El Salvadors, wurde
1932 hingerichtet.
(2) Am 20. Dezember 1989 begannen die USA mit der Operation "Just Cause",
um General Noriega zu stürzen - einen nicht eben demokratischen Staatschef,
der mit Drogen handelte.
(3) Orlando Nuñez, "La oligarquía en Nicaragua", Managua (Cipress) 2006.
(4) Die Partei erhielt bei den Wahlen von 1996 nur ein Prozent der Stimmen
(2006: 7 Prozent).
(5) Am 22. August 1978 stürmte der mit der FSLN verbündete
Guerillakommandant Eden Pastora den Palácio Nacional in Managua und löste
damit den Aufstand gegen Somoza aus. Zwischenzeitlich
Vizeverteidigungsminister, wechselte er 1982 die Seiten und lief zu den
Contras über. Dort säten seine Einheiten vor allem Zwietracht.
(6) Vgl. Raphaëlle Bail, "Aus Nicaragua. Arbeitsmigranten in
Mittelamerika", "Le Monde diplomatique, Dezember 2006.
(7) Dennoch führt Ortega den von seinem Vorgänger eingeschlagenen
wirtschaftspolitischen Kurs im Prinzip fort: Sowohl die Freihandelsabkommen
unter anderem mit den USA als auch die mit dem IWF ausgehandelten
Bedingungen werden eingehalten.
(8) Der Alba gehören an: Antigua, Bolivien, Ecuador, Honduras, Kuba,
Nicaragua, Saint Vincent, Dominica und die Grenadinen.
(9) Im Rahmen der Petrocaribe-Verträge, die rund zwanzig Staaten
unterzeichnet haben, liefert Venezuela Öl zum halben Preis, der Rest soll
zur Finanzierung von Sozialprogrammen verwendet werden.
Aus dem Französischen von Herwig Engelmann
Le Monde diplomatique Nr. 8931 vom 10.7.2009, Seite 16-17, 586
Dokumentation, Hernando Calvo Ospina
© Contrapress media GmbH Vervielfältigung nur mit Genehmigung des
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16 Jul 2009
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