# taz.de -- Karneval der Geflüchteten in Berlin: Refugees auf der Straße | |
> Zum globalen Tag gegen Rassismus am 20. März findet der Carnival | |
> Al-Lajiìn_Al-Lajiàat statt – ein Karnevalsumzug und eine künstlerische | |
> Demo zugleich. | |
Bild: Training für den Karneval der Geflüchteten am Sonntag? Junger Mensch im… | |
Mit acht thematischen Wagen, Storytelling, Tanz und Kostümen zieht der | |
Protestzug vom Platz der Luftbrücke durch Kreuzberg über die Ohlauer Straße | |
zum Spreewaldplatz. Initiatoren sind das Bündnis „My Right is your Right“, | |
das sich 2014 rundum die Gerhart-Hauptmann-Schule gegründet hat, und das | |
selbst organisierte Theaterkollektiv „Refugee Club Impulse“. | |
taz: Samee und Jan, warum ein Karneval? | |
Samee Ullah: Karnevals stehen in einer langen Tradition des Widerstands. | |
Sie sind Veranstaltungen, an denen sich das Leben und die Kunst treffen. | |
Die Idee zu einem Karneval kam von unserem Theaterkollektiv. Nach unserer | |
ersten großen Produktion „Letters Home“ im letzten Jahr haben wir | |
mitansehen müssen, wie die politische Situation sich zunehmend | |
verschlechtert hat; zum Beispiel durch die Asylrechtsverschärfung. Also | |
haben wir beschlossen, auf die Straße zu gehen und den selbst organisierten | |
Widerstand geflüchteter Menschen wieder sichtbar zu machen. Wir wollen ein | |
Zeichen der Einheit setzen und unsere Geschichten erzählen. Dafür haben wir | |
die Menschen in den Unterkünften besucht, um Geschichten zu sammeln und sie | |
künstlerisch umzusetzen. | |
Ihr habt dafür auch mit etablierten Berliner Theatern zusammengearbeitet, | |
wie zum Beispiel dem Gorki, der Schaubühne und dem Grips Theater. | |
Samee: Die Theater setzen hier ein klares Zeichen gegen den grassierenden | |
Rassismus gegen geflüchtete Menschen und gegen Muslime. Das ist wichtig, | |
dass Aktivisten und Kulturschaffende hier zusammenkommen. Wir wollen die | |
Kunst wieder zu einem Motor politischer Veränderungen machen. | |
Was kann Kunst, was Aktivismus alleine nicht kann? | |
Samee: Mir geht es darum, Impulse zu geben. Kunst kann ganze Leben, kann | |
Persönlichkeiten verändern. Sie kann dich lehren, Widerstand zu leisten und | |
somit zu überleben. Ich habe in diesem Zusammenhang öfters das Wort | |
„Therapie“ gehört. Das finde ich problematisch. Es geht vielmehr um | |
Ermächtigung, darum, sich auszudrücken und darüber Solidarität zu erfahren. | |
Es geht nicht um Patienten und Heiler, sondern um Austausch und Bündnisse. | |
Eure Kollektive sind noch jung, gerade mal zwei Jahre alt. Dennoch waren | |
die Verhältnisse zu Beginn eurer Arbeit andere. Wie schlagt ihr die Brücke | |
zu der neuen Situation? | |
Samee: Wir gehen in die Lager, um mit den Menschen zu sprechen, die | |
Isolation zu brechen, machen Schreibworkshops und so weiter. Das ist nicht | |
immer einfach, einige Unterkunftsbetreiber heißen uns willkommen, andere | |
gewähren uns überhaupt keinen Zutritt. | |
Jan: Wir kommen aus den Strukturen um den O-Platz und die GHS. Das war ein | |
sehr kraftvoller und vor allem selbst organisierter Protest, der dort | |
stattfand. Die momentane Berichterstattung konzentriert sich auf | |
Leidensgeschichten – da findet eine Viktimisierung statt, während Wut und | |
Protest kein Gehör mehr finden. Das muss sich wieder ändern. | |
Samee: Das zeigt sich auch darin, dass es sehr wenig Interesse an unserer | |
Pressekonferenz gab, insbesondere von den überregionalen Medien. Das Thema | |
Flucht dominiert in den Medien, aber ein selbst organisierter Protest in | |
Berlin, an dem sich zudem noch große Theater beteiligen, interessiert | |
nicht. | |
Sind die neu Angekommenen, auf die ihr trefft, offen für eure Arbeit? Gibt | |
es Unterschiede zu früher? | |
Jan: Ein auffälliger Unterschied ist die politisch gewollte Teilung von | |
Geflüchteten, also Syrer, Afghanen, Menschen aus den Balkanländern und so | |
weiter. Da gibt es weniger Zusammenhalt. | |
Samee: Ich bekommen auch Kritik zu hören: „Du hast gut reden, du hast dich | |
schon etabliert.“ Wir haben zwar diese Willkommenskultur, aber keine Hilfe | |
auf individueller Basis. Sie sagen mir: „Na gut, wir kommen zu deinem | |
Karneval und deinem Theaterdings, aber hilfst du uns dann auch, einen | |
Arzttermin zu bekommen? Wir sprechen die Sprache nämlich nicht. Hilfst du | |
mir dann auch dabei, einen Platz in den überfüllten Sprachkursen zu | |
bekommen?“ Die Leute vom O-Platz haben damals unglaublich viel Kraft und | |
Willen bewiesen damit, ihren Protest ohne die einfachsten Annehmlichkeiten, | |
geschweige denn einen Schlafplatz durchzuziehen. Aber diese Stärke ist | |
außergewöhnlich. Wir müssen uns als Aktivisten also auch fragen, wo wir | |
sind, wenn es um die Grundbedürfnisse der Menschen geht. | |
19 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Sybille Biermann | |
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