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# taz.de -- Rechte Gewalt in Berlin: Böser Boom Rassismus
> Die Zahl rassistischer Vorfälle nimmt berlinweit stark zu, melden
> Reachout und die Berliner Register. Es gebe einen deutlichen Bezug zur
> Flüchtlingsdebatte.
Bild: Wäre an der Zeit: Plakat bei einer Demo in Berlin.
Gewalttätige Angriffe und Vorfälle aus rechten, rassistischen oder
antisemitischen Motiven haben im vergangenen Jahr stark zugenommen. Das ist
das Ergebnis der Dokumentationen von Reachout, der Beratungsstelle für
Opfer solcher Gewaltvorfälle, und der Berliner Register, die am Dienstag
vorgestellt wurden. Reachout zählte für 2015 insgesamt 320 Angriffe, eine
Steigerung um 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (179). Dabei wurden 412
Menschen verletzt, gejagt und massiv bedroht, darunter 42 Kinder.
Reachout-Mitarbeiterin Helga Seyb hob hervor, dass Angriffe gegen Kinder
eine neue Dimension rechter Gewalt darstellten. „Es kommt zunehmend zu
einer Entmenschlichung, es gibt immer weniger Tabus, was sprechbar und was
machbar ist.“ Als Beispiel nannte sie einen Vorfall am 18. September in
Hellersdorf, wo fünf Kinder aus einer Flüchtlingsunterkunft aus einer
Gruppe von 30 teilweise vermummten Personen heraus rassistisch beleidigt
und von einem Mann sogar mit einem Messer bedroht wurden.
Auffällig sei zudem, erklärte Seyb, dass Rassismus das häufigstes Tatmotiv
ist (175 Vorfälle, 2014: 100), weit vor Angriffen auf politische Gegner
(59), auf JournalistInnen (10) und mit antisemitischen Motiven (25). Als
Ort sei zudem die Umgebung von Flüchtlingsheimen erstmals relevant geworden
(43 Vorfälle). Außerdem seien die Zahlen im zweiten Halbjahr „eklatant“
gestiegen, was Seyb mit der verschärften Flüchtlingsdebatte erklärt. „In
dem Moment, wo die Stimmung umschlug, haben die Angriffe zugenommen“, sagte
sie. Was den Täterkreis angeht, so erklärte sie, dass rassistische
Gewalttaten nicht nur durch organisierte Rechtsradikale verübt würden. „Aus
rassistischen Motiven zuschlagen und drohen ist weit verbreitet, das machen
auch ganz normale Leute.“
Auch die Berliner Register haben für 2015 eine Zunahme von Vorfällen
registriert. Die Register sind Dokumentationsstellen in den Bezirken, bei
denen BürgerInnen rassistische, antisemitische, homophobe,
antiziganistische und anderswie diskriminierend motivierte Vorfälle melden
können. 2015 haben sich elf Bezirke beteiligt, Steglitz-Zehlendorf ist erst
seit Anfang diesen Jahres dabei. In den elf Bezirken wurden im vorigen Jahr
1.820 Vorfälle registriert (2014: 1.128), davon waren 312 Angriffe, 409
Veranstaltungen, 250 Bedrohungen und Beleidigungen und 683
Propaganda-Delikte.
Die teils massiven Steigerungen seien nur zum Teil darauf zurückzuführen,
dass die Register immer bekannter würden, sagte Kati Becker, die
Koordinatorin der Register bei Reachout. Denn auch in den Ostbezirken, wo
die Register bereits eine Tradition hätten, das erste wurde 2005 in Pankow
gegründet, gebe es deutlich mehr Vorfälle. Auffällig sei ein starkes
Ost-West-Gefälle, so Becker: „Die Mobilisierung gegen Flüchtlingsheime
läuft vor allem im Osten.“ Schwerpunkte in Westbezirken seien Tiergarten,
wo die Bärgida-Demos stattfinden, und Charlottenburg-Wilmersdorf, wo 74
Veranstaltungen von neurechten und verschwörungstheoretischen Gruppen
registriert wurden.
Für Becker ergibt sich aus den gesammelten Daten die Forderung, dass alle
gesellschaftlichen Gruppen – von Anwohnern und Polizei bis zu Medien und
Politikern – sich „klar pro Flüchtlinge und pro Menschenrechte
positionieren müssen“. Im Moment fühlten sich rechte Anwohner „so stark,
dass sie einfach Leute anpöbeln“. Auch Seyb konstatierte: „Es ist sehr
still in der Stadt, wenn es darum geht, Menschen, die bedroht werden, zur
Seite zu stehen.“
Die grüne Abgeordnete Clara Herrmann, Sprecherin der Fraktion für
Strategien gegen Rechtsextremismus, wies in einer Stellungnahme darauf hin,
dass die Polizei im vorigen Jahr nur 143 rechte Gewaltakte registrierte –
„177 weniger Fälle, als die Zivilgesellschaft gezählt hat“. Vom Senat
forderte sie: „Die offizielle Statistik muss endlich das reale Ausmaß
rechtsextremer, rassistischer, antisemitischer und homophober Gewalt
abbilden.“
8 Mar 2016
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Rechte Gewalt
Statistik
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Schwerpunkt LGBTQIA
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Flüchtlinge
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