# taz.de -- 1 Jahr „Bärgida“: Eine Handvoll gefährlicher Idioten | |
> Seit einem Jahr demonstriert der Berliner Pegida-Ableger Bärgida | |
> montagabends am Hauptbahnhof. Zu Spitzenzeiten kamen rund 350 Leute, | |
> jetzt sind es nur noch 50 bis 100. Warum aber halten die so lange durch? | |
> Vier Thesen. | |
Bild: Meist sieht man die Rechten gar nicht: Berliner Hauptbahnhof. | |
1. Jede noch so klägliche Demo ist für dieses Spektrum ein Erfolg. | |
Auf den ersten Blick ist es verwunderlich, dass ein Jahr nach der ersten | |
Demonstration immer noch Menschen montagabends zu Bärgida an den | |
Hauptbahnhof kommen. Die Redebeiträge sind meist eher wirr als mitreißend. | |
Ständig ist die Technik kaputt. Trotzdem schafft es der Berliner | |
Pegida-Ableger, Woche für Woche erneut eine Veranstaltung zu organisieren, | |
egal ob bei 35 Grad plus oder 10 Grad minus. | |
Man muss sich die Bärgida-TeilnehmerInnen genauer anschauen, um zu | |
verstehen, woran das liegt: Da laufen ältere Holocaust-Leugner neben jungen | |
Nazi-Hools, Anhänger der sonst praktisch nur im Internet präsenten | |
Identitären Bewegung neben den Überbleibseln von Gruppen wie „Pro | |
Deutschland“ und der German Defence League. Zu Spitzenzeiten lagen die | |
Teilnehmerzahlen bei rund 350, jetzt versammeln sich montagabends meist nur | |
noch 50 bis 100 Leute – doch dieser Kern bleibt erstaunlich konstant. | |
Kaum eine der hier vertretenen rechten Splittergruppen war früher | |
öffentlich wahrnehmbar. Keine von ihnen hätte das Potenzial, alleine eine | |
Veranstaltung auf die Beine zu stellen, von den unorganisierten Mitläufern | |
ganz zu schweigen. Jede noch so klägliche Demonstration ist für dieses | |
Spektrum bereits ein Erfolg. Das zeigt sich auch am Verhalten der | |
TeilnehmerInnen, die minutenlang für Gruppenbilder posieren oder sich mit | |
gigantischer Deutschlandfahne auf die Bahnhofstreppen stellen: Hier können | |
sie sich, gerade wenn der Gegenprotest überschaubar bleibt, groß fühlen – | |
da lassen sich auch Minusgrade und nicht funktionierende Mikros aushalten. | |
2. Die Botschaft ist ausreichend unscharf. | |
Bärgida ist die letzte wöchentliche Demonstration, die von den zahlreichen | |
rechten Protesten aus dem letzten Winter übrig geblieben ist. Dabei hilft | |
ihr gerade ihre inhaltliche Unschärfe. Für den harten Kern von Bärgida | |
reicht es offenbar, sich Woche für Woche erneut über die Lieblingsfeinde | |
„Islamisierung“, „Genderwahn“ und „Linksfaschisten“ aufzuregen. Den | |
Protesten gegen Flüchtlingsunterkünfte geht meist der Atem aus, sobald | |
diese erst einmal eröffnet sind. Doch wo es keinen konkreten Anlass gibt, | |
kann auch keiner wegfallen. Und wo die Inhalte schwammig bleiben, können | |
sich umso mehr Positionen wiederfinden. Deshalb wird bei Bärgida auch die | |
Israelfahne neben dem Holocaust-Leugner geschwenkt, ohne dass es jemanden | |
stört. | |
3. Die Route ist für Wichtigtuer ideal. | |
Es gibt noch einen simplen, aber wichtigen Grund für das lange Fortbestehen | |
von Bärgida: die Route. Die Gruppe zieht üblicherweise vom Hauptbahnhof am | |
Bundestag vorbei zum Brandenburger Tor. Diese Strecke erfüllt einerseits | |
alle Sich-mal-so-richtig-wichtig-fühlen-Bedürfnisse der TeilnehmerInnen. | |
Gleichzeitig liegt paradoxerweise gerade dieses repräsentative Stück Berlin | |
völlig unter dem Radar der meisten BerlinerInnen: Wo kaum Leute wohnen, | |
fühlt sich auch kaum jemand durch rechte Demonstrationen gestört. Dafür | |
machen nichts ahnende TouristInnen Fotos, als handele es sich um eine | |
besondere Berliner Attraktion. | |
Und wenn die DemonstrantInnen doch mal Abwechslung wollen, fahren sie | |
einfach gemeinsam vom Hauptbahnhof ein paar Stationen S-Bahn und | |
veranstalten ihre Demo an einem anderen Ort. Dank einer Polizei, die die | |
Routen fast nie im Voraus bekannt gibt, ein äußerst wirkungsvolles Konzept | |
gegen jeden Gegenprotest. | |
4. Es gibt keine gemeinsame Gegenstrategie. | |
Apropos Protest: Ein Grund, warum Bärgida Berlin bis jetzt erhalten blieb, | |
ist eine fehlende gemeinsame Gegenstrategie. Es gibt sie, die | |
Unermüdlichen, die Woche für Woche wieder gegen Bärgida protestieren. Aber | |
die GegendemonstrantInnen müssten mehr werden und kreativer sein. Und sie | |
müssten Unterstützung bekommen von großen Organisationen. Aber dafür müsste | |
das Phänomen Bärgida ernster genommen werden. Die meisten Medien und | |
Parteien, aber auch viele Antifa-Gruppen ignorieren diese Demonstration | |
seit Monaten, bestenfalls machen sie sich über sie lustig. | |
Dafür gibt es ja auch gute Gründe: Bärgida geht es um Aufmerksamkeit. Je | |
mehr sie davon bekommen, desto schlechter. Und muss man sich wirklich mit | |
einer Handvoll Idioten auseinandersetzen, die auf ihren Transparenten das | |
Wort „Islamisierung“ falsch schreiben und zum Teil so sturzbesoffen sind, | |
dass sie von den eigenen Ordnern fast von der Demo geschmissen werden? | |
Die Antwort lautet leider: Ja, man muss sich mit ihnen befassen. Denn von | |
Bärgida geht nach wie vor eine Gefahr aus. Weniger von den Kundgebungen | |
selbst, obwohl es auch hier immer wieder zu Übergriffen kommt. Wohl aber | |
von den Teilnehmern: von dem rechten Hooligan Enrico S. etwa, der sehr | |
wahrscheinlich an dem Brandanschlag auf die Containerunterkunft in Marzahn | |
beteiligt war. Von dem Neonazi Christoph S., der in der Ringbahn auf eine | |
osteuropäische Mutter und ihre zwei Kinder urinierte. Und von dem rechten | |
Verschwörungstheoretiker Christoph K., der im Dezember vor dem Kanzleramt | |
festgenommen wurde, nachdem er zu einem Kalaschnikow-Angriff auf Angela | |
Merkel aufgerufen hatte. | |
Alle sind häufige Gäste bei Bärgida. Die Vorstellung, dass sie sich dort | |
die nötige Anerkennung holen, die sie für ihre Taten brauchen, sollte Grund | |
genug sein, diese Demonstrationen ernst zu nehmen. Zumal die | |
Teilnehmerzahlen bei Bärgida nur langsam sinken und es immer noch wenig | |
Anhaltspunkte dafür gibt, dass sich der Spuk so bald von selbst erledigt. | |
10 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Neonazis | |
Rechte Gewalt | |
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