| # taz.de -- Chinas Volkskongress: Die Kommunisten und die Krise | |
| > Ökonomen befürchten: Angesichts der trüben wirtschaftlichen Lage könnte | |
| > der nächste internationale Crash von China ausgehen. | |
| Bild: Militärkapelle übt in der Großen Halle des Volkes in Peking für den V… | |
| PEKING taz | Das war wahrlich kein guter Jahresauftakt: Zwei Mal schon | |
| stürzten die chinesischen Aktienmärkte seit Anfang Januar ab. Unternehmer | |
| verlegen ihr Kapital in großen Mengen ins Ausland. Hinzu kommen die vielen | |
| Meldungen über Überkapazitäten, sinkende Wachstumsraten, Massenentlassungen | |
| und eine verheerende Umweltverschmutzung, die inzwischen das gesamte Land | |
| belastet. | |
| Ökonomen aus aller Welt befürchten, angesichts der trüben Aussichten könnte | |
| die nächste Weltwirtschaftskrise von China ausgehen. Doch von diesen | |
| düsteren Prognosen ist in den chinesischen Staatsmedien in diesen Tagen nur | |
| wenig zu vernehmen. Stattdessen wird munter über den bis vor Kurzem noch | |
| weitgehend unbekannten Popmusiker Hu Xiaoming berichtet. | |
| Der hat mit einem Lied über Staats- und Parteichef Xi Jinping einen Hit | |
| gelandet. „Wenn du auf der Suche nach einem Ehemann bist, dann finde | |
| jemanden wie Onkel Xi“, lautet der Refrain. „Er handelt entschlossen und | |
| nimmt seine Aufgaben wahr“, heißt es weiter. „Und egal wie die Welt sich | |
| verändert und wie viele Probleme es gibt – er packt sie allesamt an.“ | |
| Dass Hu Xiaoming mit diesem Lied derzeit landesweit für Furore sorgt, | |
| dürfte der kommunistischen Führung entgegenkommen. Es ist sogar davon | |
| auszugehen, dass die Propagandaabteilung für die Verbreitung des Songs | |
| gesorgt hat. Auch sonst hat der Personenkult um Xi Jinping Hochkonjunktur. | |
| Straßenverkäufer verkaufen kleine Figuren des Staats- und Parteichefs. | |
| Bauern hängen sein Porträt in ihre Häuser. | |
| ## Personenkult statt Kontroversen | |
| Dazu passt das Buch „Die Ära Xi Jinping“, das von Journalisten der | |
| amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua geschrieben wurde. Das im vergangenen | |
| Jahr erschienene Werk beschreibt, was für ein wundervoller Politiker Xi | |
| sei. Er liebe die Freiheit, sei talentiert, gerecht, fleißig, volksnah – | |
| kurz: „der wahre Demokrat“. | |
| Der Personenkult hat einen Grund. Am kommenden Wochenende kommen die knapp | |
| 3.000 Delegierten des „Nationalen Volkskongresses“ in der „Großen Halle … | |
| Volkes“ in Peking zusammen. Sie sollen den 13. Fünfjahresplan absegnen, der | |
| die Richtung Chinas politischer und wirtschaftlicher Entwicklung vorgibt. | |
| Mit Kontroversen ist zwar auch dieses Mal nicht zu rechnen. Trotzdem ist | |
| die kommunistische Führung nervös und versucht zumindest nach außen hin zu | |
| vertuschen, welch schwierige Zeiten der zweitgrößten Volkswirtschaft der | |
| Welt bevorstehen. Offiziell ist lediglich von der „neuen Normalität“ die | |
| Rede. Tatsächlich aber soll der Kult um den Staatspräsidenten von den | |
| anstehenden schmerzhaften Strukturreformen ablenken. | |
| Die hat das Riesenreich bitter nötig. Viele Jahre diente die Volksrepublik | |
| dem Rest der Welt als Werkbank. Die gesamte Wirtschaft war auf den Export | |
| ausgerichtet. Kleidung, Alltagsgegenstände und einfache Elektronikprodukte | |
| wurden billig und in großen Mengen in chinesischen Fabriken hergestellt und | |
| auf dem Weltmarkt verkauft. Dieses Modell hatte Chinas wirtschaftlichen | |
| Aufstieg möglich gemacht. Als sich das Wachstum zu verlangsamen drohte, | |
| investierte die Führung viel Geld in Autobahnen, Flughäfen und noch mehr | |
| Fabriken. | |
| Bis zu einem gewissen Punkt war das ökonomisch sinnvoll. Doch China ist in | |
| den vergangenen Jahren in einigen Bereichen schlicht zu stark gewachsen. | |
| Das schadete nicht nur der Umwelt massiv. In Industrien wie Stahl oder | |
| Zement wurden gigantische Kapazitäten geschaffen, die den eigenen Bedarf | |
| weit überschreiten – und nun zu Dumpingpreisen im Rest der Welt verhökert | |
| werden. Allein die um Peking liegende Provinz Hebei produzierte zeitweise | |
| mehr Stahl als Europa und Nordamerika zusammen. Dieses Turbowachstum hat | |
| das soziale Gefüge überall in China durcheinandergebracht. | |
| ## Mehr Milliardäre, mehr Arme | |
| Peking hat New York überholt und ist inzwischen die Stadt mit den weltweit | |
| meisten Milliardären. Auf der anderen Seite leben noch über 70 Millionen | |
| Menschen von umgerechnet unter 1 Euro am Tag – und damit in bitterer Armut. | |
| Dieser Gegensatz birgt enormen sozialen Zündstoff in einem Land, das sich | |
| offiziell nach wie vor als „kommunistisch“ bezeichnet. | |
| Bisher legitimierte die autokratische Regierung ihren Führungsanspruch mit | |
| dem hohen Wirtschaftswachstum. Ihr großes Versäumnis ist, dass sie den Boom | |
| allzu lange laufen ließ. Nun folgt die schmerzhafte Korrektur: Anfang der | |
| Woche verkündete der Arbeitsminister, dass in der Kohle- und Stahlindustrie | |
| in den nächsten Jahren 1,8 Millionen Arbeitsplätze wegfallen werden. | |
| Bereits am nächsten Tag ging das Gerücht herum, dass die Zahl realistisch | |
| eher bei 5 Millionen liegen wird. | |
| Da an jedem Arbeitsplatz in der Stahlbranche 30 weitere Arbeitsplätze | |
| hängen, dürften soziale Verwerfungen nicht ausbleiben. Schon im Jahr 2015 | |
| soll die Zahl der Streiks und sozialen Proteste im Vergleich zu den | |
| Vorjahren deutlich in die Höhe geschossen sein. Genaue Zahlen verschweigt | |
| die Führung. | |
| Zumindest die liberalen Kräfte innerhalb der Führung haben die Probleme | |
| erkannt. Sie wissen, dass ein Land wie China erst dann den Sprung zu | |
| dauerhaftem Wohlstand schaffen wird, wenn die Bürger nicht mehr für geringe | |
| Löhne schuften, sondern auch Geld zum Ausgeben haben. | |
| ## Versprechen: Wohlstand | |
| Premier Li Keqiang und Staatspräsident Xi hatten bei ihrem Amtsantritt | |
| 2012/2013 versprochen, dass die Mittelschicht weiter wachsen und sich das | |
| Einkommen aller Chinesen bis 2020 verdoppeln werde. Offiziell wird an | |
| diesem Ziel auch weiter festgehalten. | |
| Doch ein Übergang von der auf Export ausgerichteten Billig- und | |
| Schwerindustrie zu Konsum, Dienstleistungen und Hightech kann nicht | |
| reibungslos verlaufen. Nicht nur müssen die Manager in den Unternehmen – | |
| insbesondere in den gigantischen Staatsunternehmen, die als besonders | |
| ineffizient gelten – umdenken und die Arbeiter umschulen. Die ganze | |
| Denkweise muss sich ändern, inklusive des Verhältnisses von Staat und | |
| Wirtschaft. | |
| Genau dagegen wehren sich konservative Kräfte innerhalb der Führung der | |
| Kommunistischen Partei, die von der bisherigen Wirtschaftsform profitiert | |
| haben und damit reich geworden sind. Auf welcher Seite Staats- und | |
| Parteichef Xi Jinping in dieser Auseinandersetzung steht, ist nicht | |
| ersichtlich. In Wirtschaftsfragen hält sich der mächtigste Mann Chinas | |
| bedeckt. Mit offensichtlicher Härte geht er dagegen gegen politische | |
| Kritiker vor. Längst ist klar, dass die gleich nach Xis Amtsantritt | |
| ausgerufene Anti-Korruptions-Kampagne nicht nur dazu diente, die ausufernde | |
| Korruption zu bekämpfen. Es geht auch darum, sich parteiinterner | |
| Widersacher zu entledigen. | |
| Inzwischen wird jegliche Form von Kritik unterdrückt. Unter Xis Ägide hat | |
| China Zensur und Kontrolle des Internets weiter verschärft. Journalisten | |
| und Blogger werden verhaftet oder auf andere Weise mundtot gemacht. Auch | |
| gegen Menschenrechtsanwälte geht Xis Sicherheitsapparat mit Härte vor. Von | |
| den mehr als 200 im vergangenen Sommer verhafteten Anwälten werden | |
| mindestens 10 noch immer an unbekannten Orten und ohne Rechtsbeistand | |
| festgehalten. Je größer die wirtschaftlichen Probleme werden, desto mehr | |
| setzt die Partei auf Härte und Repression. | |
| ## Es droht Massenarbeitslosigkeit | |
| Reicht das, um den wachsenden Unmut unter Kontrolle zu halten? Die jüngste | |
| Ankündigungen von Entlassungen hat die Massen bislang nicht auf die Straßen | |
| zu getrieben. Noch überwiegt wohl die Zuversicht, dass „Onkel Xi“ der | |
| Strukturwandel gelingt. Und noch verfügt die Führung über gewaltige | |
| finanzielle Mittel, um diesen Wandel mit verstärkten Investitionen in | |
| Bildung und nachhaltigen Industrien auch hinzubekommen. | |
| Doch was ist, wenn es nicht bei 1,8 Millionen verlorener Arbeitsplätze | |
| bleibt? Wenn stattdessen 20 oder gar 30 Millionen Chinesen ihren Broterwerb | |
| verlieren? Droht dann ein Massenaufstand? Oder der Zusammenbruch der | |
| zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt? | |
| 4 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Felix Lee | |
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