# taz.de -- China-Experte über Gaucks Staatsbesuch: „Viele Quellen der Intel… | |
> Wie offen kann Bundespräsident Gauck reden? Wie wichtig ist China für | |
> Deutschland? China-Experte Sebastian Heilmann liefert Antworten. | |
Bild: Unter seiner Regie hat sich das chinesische System verhärtet: Generalsek… | |
taz: Herr Heilmann, Bundespräsident Joachim Gauck fährt nach China. Ist das | |
nur ein teures Repräsentationsereignis, das niemandem nutzt und eigentlich | |
auch niemanden interessiert? | |
Sebastian Heilmann:Die Initiative zu dem Besuch ging von China aus. | |
Präsident Xi Jinping hat ein Interesse daran, Gauck zu zeigen, dass China | |
völlig anders ist als die DDR. Das war ein Ergebnis ihrer Begegnung beim | |
Staatsbesuch in Berlin 2014, als Gauck sich sehr kritisch zur Lage von | |
Menschenrechten und zur Zivilgesellschaft in China äußerte. Die Hoffnung | |
auf chinesischer Seite ist: Wenn ausländische Staatsmänner China mit | |
eigenen Augen sehen, dann verändert sich auch deren Urteil. | |
Da stört es auch nicht, dass in China reihenweise Anwälte verhaftet oder | |
Regierungskritiker entführt werden? | |
Das ist aus Sicht der chinesischen Regierung kein zentrales Thema, für sie | |
ist das momentan Teil ihrer Disziplinierungspolitik. Aus hiesiger Sicht ist | |
das völlig inakzeptabel. Die Chinesen erwarten, dass heikle Themen wie die | |
Menschenrechte nur hinter verschlossenen Türen angesprochen werden … | |
… also nicht etwa bei einer öffentlichen Rede an einer Universität? | |
Es wäre aus chinesischer Sicht sehr problematisch, wenn der Gastgeber | |
öffentlich bloßgestellt würde. Das ist ein potenziell explosiver | |
Hintergrund dieser Reise. | |
Kann Gauck sich die Freiheit abkaufen lassen, die Sorge über | |
Menschenrechtsverletzungen öffentlich anzusprechen? | |
Auf keinen Fall. Diese Reise dient ja nicht der Wirtschaftsförderung. Es | |
geht um Politik, Gesellschaft, Kultur, Bildung, also Themen, wo es | |
Reibungen gibt und geben muss. Dieser Besuch soll ja primär dem politischen | |
und gesellschaftlichen Austausch dienen. | |
Damit sind die spannungsreichen Themen auf dem Tisch. Wir erleben unter Xi | |
Jinping eine Verhärtung des politischen Systems. Es geht um politische | |
Disziplinierung, um Kontrolle. Das führt dazu, dass das System enger und | |
härter wird, mehr Furcht zu spüren ist als unter Xis Vorgängern. | |
Festgenommene, die weder angeklagt noch verurteilt sind, werden im | |
Fernsehen vorgeführt, wie sie Schuldbekenntnisse ablegen. Auf der einen | |
Seite unternimmt die chinesische Regierung weiter ernsthafte Anstrengungen, | |
die Armut zu bekämpfen und mehr sozialen Ausgleich zu schaffen. Aber auf | |
der anderen Seite ist die Zivilgesellschaft – das Wort selbst ist in China | |
inzwischen verpönt – unter großen Druck geraten. | |
Was bedeutet das für das Verhältnis zu Deutschland? | |
Das gefährdet einen der Pfeiler unserer Zusammenarbeit mit China: den | |
zwischengesellschaftlichen Austausch. Ausländische NGOs, die nicht im | |
politisch unverdächtigen karitativen Bereich tätig sind, operieren | |
gegenwärtig in China unter großer Unsicherheit. Selbst die | |
wissenschaftliche Zusammenarbeit leidet auf Feldern, die im entferntesten | |
Sinne politisch sensibel sein können, aufgrund von Vorsicht oder Furcht auf | |
der chinesischen Seite. | |
Das heißt, Wissenschaftler, die zu Konferenzen fahren wollen, bekommen | |
schwerer Visa? | |
Im Rahmen der Antikorruptionskampagne stehen chinesische Staatsangestellte | |
und Parteimitglieder – also auch Professoren und Dozenten – unter | |
Beobachtung, oder sie halten sich aus Vorsicht zurück. Praktisch heißt das: | |
Man macht weniger und kürzere Auslandsreisen, sonst könnte man unter | |
Korruptionsverdacht geraten. | |
Mit deutschen Partnern ist das Thema „Industrie 4.0“ immer willkommen, aber | |
Justizreform oder sicherheitspolitische Themen nicht. Intensität, Quantität | |
und Themen des Austausches sind viel enger geworden. | |
Xi hat seit seinem Amtsantritt viele einflussreiche Parteifunktionäre, | |
Militärs, Unternehmer gestürzt. Wie hat er das geschafft, ohne dass es zum | |
Aufstand kam? | |
Vielen Leitungspersönlichkeiten in Partei, Militär und Staatsverwaltung war | |
klar: Passiert nichts gegen die gewaltige Korruption, geht das System | |
kaputt. Zudem stand die Parteispitze 2012/13 vor der Spaltung. | |
Das war eine existenzielle Krise. Xi Jinping kam zu einem Zeitpunkt ins | |
Amt, wo er von den Alten in der Parteihierarchie – von allen möglichen | |
Kräften, auch im Militär – ermächtigt wurde, die Ordnung | |
wiederherzustellen. Er ist dann gezielt gegen Leute vorgegangen, die an der | |
Spitze von korrupten oder politisch unliebsamen Netzwerken standen. Interne | |
Widerstände hat Xi auf diese Weise gebrochen. | |
Welche Rolle spielt Deutschland für China? | |
Deutschland war lange Chinas bevorzugter Partner in Europa – wegen der | |
Wirtschaftskraft und der stabilen Regierung, die etwa beim | |
Eurokrisenmanagement führend ist. Das deutsche Prestige bröckelt aber | |
gegenwärtig. | |
Deutschland ist aus chinesischer Sicht nicht mehr unumstritten Europas | |
Führungsmacht, sondern in vielen Fragen isoliert oder geschwächt. Die | |
Chinesen hoffen bis heute, dass die Europäer anders sind als die Amerikaner | |
und sich in Konfliktfragen bei Handel und Investitionen – aber auch bei | |
Sicherheitsfragen wie im Südchinesischen Meer – von den Amerikanern | |
absetzen. Auch sind die Europäer offener für chinesische Investitionen in | |
Bereichen, die die Amerikaner für sicherheitssensibel halten, wie etwa | |
Mobilfunknetze. | |
Und wofür braucht Deutschland China? | |
Abgesehen von der unverzichtbaren Bedeutung als Markt ist China | |
entscheidend für Stabilität in der internationalen Politik und im | |
asiatisch-pazifischen Raum – aber auch ein notwendiger Partner bei all | |
unseren großen Fragen von Klimapolitik über Armutsbekämpfung bis hin zu | |
Gesundheitsfragen. | |
Entwickelt sich China zu einer harten Autokratie, wirkt sich das auf alle | |
politischen Systeme weltweit aus. Chinas Grundmodell – autoritäre Regierung | |
verknüpft mit rapider wirtschaftlicher Industrialisierung – ist für viele | |
Regierungen attraktiv. | |
Für Russland, Ungarn, Äthiopien, Simbabwe, Ecuador usw. dient China als | |
Rechtfertigungsmodell. Unsere westliche Annahme, dass | |
demokratisch-pluralistische Systeme am besten für die Herausforderungen des | |
21. Jahrhunderts geeignet sind, wird in Zweifel gezogen, wenn China | |
politisch stabil und wirtschaftlich erfolgreich bleibt und dazu auch noch | |
global immer einflussreicher wird. | |
Droht jetzt eine außenpolitische Verhärtung Chinas? | |
Die Verhärtung in der Innenpolitik hat ein außenpolitisches Pendant. China | |
tritt viel selbstbewusster auf – mit eigenen Initiativen und gewaltigen | |
diplomatischen und finanziellen Kampagnen. Chinesische Flugzeugträger | |
kreuzen noch nicht vor Lateinamerika und Afrika. | |
Aber chinesische Investitionen, Firmen und Diplomaten sind schon überall | |
sehr aktiv. Das ist neu. Chinas militärische Aufrüstung und seine | |
„kontrollierten Aggressionen“ im Süd- und Ostchinesischen Meer müssen uns | |
zu denken geben. Das kann außer Kontrolle geraten. | |
In China ist der Boden bereitet für einen sehr harten Nationalismus. Die | |
Vorstellung, dass der Westen China kleinhalten will, China sich nicht mehr | |
herumstoßen lassen darf und die USA im Südchinesischen Meer nichts zu | |
suchen haben, ist in der chinesischen Gesellschaft verbreitet. Da baut sich | |
ein Potenzial für heiße Konflikte auf. | |
Das liegt weit weg von Deutschland. | |
Für den Welthandel sind die Schiffsrouten im Südchinesischen Meer sehr | |
wichtig. Es trifft uns direkt, wenn dort etwas passiert. Innerhalb von zwei | |
Wochen würde sich hierzulande die Markt- und Konsumlage verändern. | |
Politisch ist es im Interesse Europas, China in Regelwerke wie das | |
internationale Völkerrecht einzubinden. | |
Wenn China einseitig Grenzen verschiebt – wir kennen das von Russland –, | |
führt das zu grundsätzlichen Verwerfungen. Die Zusammenarbeit mit China | |
wäre bedroht – etwa in der Entwicklung von Regeln für den Cyberspace oder | |
der Umwelt- und Klimapolitik. | |
Die Unternehmen in Deutschland haben im Fall eines militärischen Konflikts | |
Angst vor US-Sanktionsforderungen ähnlich den Sanktionen gegen Russland. | |
Das würde die deutsche Industrie nicht verkraften. | |
Wenn Sie Gauck wären, was würden Sie ihrem Amtskollegen Xi unbedingt sagen? | |
Dass eine moderne Gesellschaft zum Scheitern verdammt ist, wenn man die | |
Meinungs- und Entscheidungsbildung zentralisiert. Es geht darum zu | |
akzeptieren, dass es viele Quellen der Intelligenz und der Vorschläge für | |
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gibt. | |
Regierungen müssen diese Vielfalt fördern, weil starke Nationen auf dieser | |
Elastizität, Beweglichkeit und Lebendigkeit beruhen. Die jetzige | |
Machtkonzentration und Disziplinierung in China ist extrem riskant. | |
Autorität und Unterstützung der Machtzentrale könnten etwa aufgrund einer | |
Wirtschaftskrise sehr schnell beschädigt werden. | |
Xi Jinping unterliegt im gegenwärtigen Kontext der politischen | |
Zentralisierung und Verhärtung einem immer größeren Risiko, dass wichtige | |
Krisenanzeichen und Warnsignale nicht mehr zu ihm durchdringen. | |
20 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
Jutta Lietsch | |
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