| # taz.de -- Flüchtlinge: Studiengang als Crashkurs | |
| > Weil sie in Unterkünften gebraucht werden, will das Rote Kreuz | |
| > Sozialarbeiter qualifizieren. Bei den Hochschulen stößt das auf wenig | |
| > Gegenliebe. | |
| Bild: Kein trivialer Job, auch wenn es so aussieht: Sozialarbeiter mit Flüchtl… | |
| HAMBURG taz | Wohin man schaut: Sozialpädagogen, Sozialarbeiter und | |
| Erzieher werden derzeit händeringend gesucht – und vor allem für die | |
| Betreuung von Geflüchteten. Die Nachfrage an professionellen Kräften ist | |
| sogar so groß, dass sie längst nicht mehr gedeckt werden kann. Deshalb hat | |
| das Deutsche Rote Kreuz Hannover versucht, sich Personal zu schnitzen und | |
| bei den Hochschulen angefragt, ob Dozenten für Soziale Arbeit angehende | |
| Flüchtlingsbetreuer qualifizieren könnten. | |
| An den Hochschulen stößt dieser Vorstoß auf wenig Gegenliebe. Eine Art | |
| Crashkurs als akademische Qualifikation anerkennen zu lassen, führe zu | |
| einer faktischen Entwertung des Studiengangs, befürchtet eine Dozentin der | |
| Sozialen Arbeit, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Seit | |
| vielen Jahren weisen Mitarbeiter der Hochschulen darauf hin, dass es | |
| gemessen am Bedarf viel zu wenige Studienplätze im Fachbereich gibt“, sagt | |
| sie. Doch geändert habe sich wenig. | |
| Seit die Zahlen der ankommenden Flüchtlinge steigen und Sozialarbeiter in | |
| den Unterkünften gesucht werden, sei die Hoffnung gewesen, dass der | |
| Studiengang endlich aufgewertet werden könnte, sagt sie. „Doch der | |
| Vorschlag des Roten Kreuzes würde im Gegenteil auf eine Abwertung des | |
| Studiengangs hinauslaufen.“ | |
| Entsprechend haben die Hochschule Hannover und die HAWK in Hildesheim die | |
| Anfrage der Rotkreuz-Gesellschaft abgelehnt, wonach sie für eine | |
| sechsmonatige Qualifizierung für Flüchtlingsbetreuer zur Verfügung stehen | |
| sollten. Laut Anfrage sollte „diese Qualifizierung zugleich zu einer | |
| Anerkennung als Sozialarbeiter/in vonseiten der Landeshauptstadt führen“, | |
| erklärt Sabine Chmielewski, Sprecherin der Hochschule Hannover. | |
| Auf taz-Anfrage rudert das Rote Kreuz Hannover zurück und erklärt, man habe | |
| lediglich angefragt, ob Dozenten der Uni aus dem Bereich der Sozialen | |
| Arbeit für interne Qualifizierungsmaßnahmen zur Verfügung stehen. | |
| „Qualifiziert werden sollen Flüchtlingsbetreuer, die in | |
| Erstaufnahmeeinrichtungen eingesetzt werden“, sagt die Sprecherin des DRK | |
| Hannover, Nadine Heese. | |
| Das niedersächsische Kultusministerium versichert, dass | |
| Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajić Initiativen zur | |
| wissenschaftlichen Weiterbildung und die Öffnung der niedersächsischen | |
| Hochschulen begrüße. „Zudem haben das Wissenschaftsministerium und die | |
| Hochschulen schnell und unbürokratisch reagiert, um Flüchtlingen | |
| Bildungszugänge zu ermöglichen sowie Lehrpersonal und Ehrenamtliche | |
| entsprechend zu qualifizieren.“ Um das zu ermöglichen, böten viele | |
| Hochschulen Qualifizierungen für Menschen an, die in der Flüchtlingsarbeit | |
| tätig sind. Durch eine halbjährige Qualifizierung könne allerdings keine | |
| staatliche Anerkennung als Sozialarbeiter oder Sozialarbeiterin erworben. | |
| Die Hochschulen Hannover und Hildesheim sind nach eigener Auskunft bereit, | |
| über qualifizierende Weiterbildungsangebote für Sozialarbeiter und | |
| Sozialpädagogen, die in der Flüchtlingsarbeit tätig sind, zu sprechen. | |
| Beide Hochschulen haben die Anfrage des Roten Kreuzes jedoch abgelehnt. | |
| „Ein beruflicher Abschluss als Sozialarbeiter/in oder | |
| Sozialpädagoge/Sozialpädagogin kann mit einem solchen Weiterbildungsmodul | |
| grundsätzlich nicht erworben werden“, sagt Hochschulsprecherin Chmielewski. | |
| Frank Bettinger, Professor und Leiter des Studiengangs Soziale Arbeit an | |
| der Hochschule Fresenius in Hamburg und Gründer des Arbeitskreises | |
| Kritische Soziale Arbeit geht noch einen Schritt weiter: Er beurteilt | |
| bereits die Ausbildung nach sechs Semestern Bachelor als ungenügend für | |
| eine berufliche Qualifizierung in der Praxis. | |
| Grundsätzlich sei die Tendenz, im sozialen Bereich zu kürzen, nicht neu. | |
| „In Zeiten des neoliberalen Kapitalismus wird immer mehr von Einzelnen | |
| gefordert, die Gesellschaft nicht zu belasten“, sagt Bettinger. „Das drückt | |
| sich auch darin aus, dass Aufgaben, die professionell ausgeführt werden | |
| sollten, durch Ehrenamtliche durchgeführt werden.“ | |
| In der ehrenamtlichen Arbeit werde oft versucht, Probleme rasch zu lösen, | |
| Mängellagen und Ursachen von Probleme würden schnell kaschiert. Es wäre die | |
| Aufgabe einer qualifizierten Sozialen Arbeit, nicht nur Ad-hoc-Feuerwehr zu | |
| sein, sondern Probleme zu analysieren und zu reagieren. Dazu gehöre auch | |
| die Kenntnis unterschiedlicher Sozialisationen. | |
| „Es gibt zu wenig Personal, die Leute sind ausgebrannt“, sagt Bettinger. | |
| Hier müsse man ansetzen und auch bereit sein, Geld zu investieren, statt | |
| die ehrenamtliche Arbeit weiter auszuweiten. | |
| 2 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Lena Kaiser | |
| ## TAGS | |
| Flüchtlinge | |
| Sozialarbeit | |
| Ausbildung | |
| Antisemitismus | |
| Sozialarbeit | |
| Sozialarbeit | |
| Zeitschriften | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Antiisraelische Lehre in Hildesheim: Nur zulässiger Antisemitismus | |
| An der Hochschule Hildesheim unterrichtet eine Dozentin über die soziale | |
| Lage palästinensischer Jugendlicher – mit antijüdischer Propaganda. | |
| Kommentar Qualifikation in der Sozialen Arbeit: Ein Beruf wird heruntergewirtsc… | |
| Im Kern ringen das niedersächsische Wissenschaftsministerium und die | |
| Hochschulen auch jetzt wieder um die Auf- und Abwertung eines Berufsstandes | |
| De-Professionalisierung im Sozialbereich?: „Einfallstor zur Abwertung“ | |
| Weil Sozialarbeiter händeringend gebraucht werden, will Niedersachsen die | |
| Anerkennung für Sozialarbeiter erleichtern. | |
| „Journal of Interrupted Studies“: Forschen, fliehen, schreiben, hoffen | |
| In Oxford geben geflüchtete Akademiker eine Zeitschrift heraus. Noch | |
| erfüllt das Journal nicht alle wissenschaftlichen Standards. |