| # taz.de -- Raed Saleh im Interview: „Toleranz macht uns stark“ | |
| > Bei der Integration sollten wir die Kompetenzen der Flüchtlinge nutzen, | |
| > sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh. | |
| Bild: Raed Saleh (Mitte) im Gespräch mit dem Regierenden Bürgermeister Michae… | |
| taz: Herr Saleh, Sie fordern, eine Expertenkommission solle einen | |
| „Deutschlandplan Integration“ erarbeiten. In Berlin soll nun McKinsey dem | |
| Senat einen Integrationsplan schreiben. Was macht Ihre Parteigenossin | |
| Integrationssenatorin Dilek Kolat eigentlich – hört die nicht auf Sie? | |
| Raed Saleh: Die Berliner Integrationsverwaltung arbeitet jeden Tag hart | |
| daran, dass die Integration in Berlin gelingt. Dass der Senat an dieser | |
| Stelle McKinsey beauftragt, ist allerdings peinlich. Das habe ich der | |
| Senatskanzlei auch gesagt. | |
| Was gehört in einen „Deutschlandplan Integration“ unbedingt hinein? | |
| Integration gelingt meistens dann, wenn man Menschen schnell in Bildung und | |
| in Arbeit bringt. Kinder gehören, sobald sie ankommen, in Kitas oder | |
| Schulen. Deshalb schlage ich vor, dass man Integration und Bildung zu einer | |
| bundespolitischen Gemeinschaftsaufgabe macht und notfalls auch das | |
| Grundgesetz dafür ändert, damit der Bund sich an der Finanzierung von | |
| Bildung beteiligen kann. Auch die Ausbildung von Erzieher- und LehrerInnen | |
| sollte bundesweit koordiniert sein. Da regelt momentan jedes Bundesland | |
| sein Angebot nach eigenem Bedarf. | |
| Und darüber hinaus? | |
| Thema Arbeitsmarkt: Viele der Menschen, die zu uns kommen, können etwas, | |
| haben Ausbildungen, sprechen brillant Englisch. Wir müssen diese Stärken | |
| und Kompetenzen anders bewerten. Bund und Länder müssen sich darauf | |
| verständigen, Berufsabschlüsse schneller anzuerkennen. Zurzeit ist das | |
| teilweise unterschiedlich geregelt. Wir dürfen nicht den Fehler der | |
| Vergangenheit wiederholen, dass wir top ausgebildeten Menschen den Zugang | |
| zu ihren Berufen versperren. | |
| Sie haben die CDU-Politikerin Rita Süßmuth als Mitglied einer solchen | |
| Kommission vorgeschlagen. Die hat 2000/2001 bereits eine Kommission | |
| geleitet, bei der es um Einwanderung auch von Fachkräften ging – doch die | |
| Probleme, die Sie schildern, bestehen noch. Heute haben wir zudem syrische | |
| Flüchtlinge mit dreijähriger Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis – und | |
| palästinensische, die 20 Jahre hier und immer noch nur geduldet sind. | |
| Man muss die Prozesse beschleunigen. Wir wissen, dass wir auf diese | |
| gesellschaftlichen Veränderungen eingehen müssen. Und wir haben jetzt die | |
| Chance, Integration neu zu denken und dabei auch die Fehler der | |
| Vergangenheit zu korrigieren. Was wäre die Alternative: die Hände in den | |
| Schoß zu legen und zu hoffen, alles regele sich von selbst? Politik hat die | |
| Aufgabe, zu strukturieren – und nicht, sich permanent zu überbieten mit | |
| irgendwelchen unrealistischen Forderungen. | |
| Wie etwa? | |
| Wie etwa der nach immer mehr Abschiebungen. Politik muss aufhören, nur in | |
| Wahlperioden zu denken. Im Moment mache ich mir wirklich Sorgen um die | |
| politische Kultur in Deutschland. Da wird der gehört, der die lautesten | |
| Parolen ruft. Deshalb habe ich die Expertenkommission ausdrücklich | |
| parteiübergreifend vorgeschlagen. | |
| Und auf Bundesebene – was hat Berlin davon? | |
| Ich fordere auch, dass man den Kiezen unter die Arme greift. Dort, wo | |
| Flüchtlinge untergebracht sind, soll mit einem Kiezfonds von sagen wir | |
| 100.000 Euro etwa die anliegende Pfarrgemeinde oder Schule oder das | |
| Familienzentrum die Einbindung der Flüchtlinge in den Kiez unterstützen | |
| können, damit Integration schneller funktioniert als bisher. Ich bin in | |
| meinem Leben noch als Jugendlicher immer gefragt worden: Wo kommst du her, | |
| wann gehst du zurück? Ich möchte nicht, dass die Flüchtlingskinder, die | |
| heute ankommen, ihr halbes Leben lang Flüchtlingskinder sind. | |
| Was dürfte auf keinen Fall in dem Deutschlandplan stehen? | |
| Ich halte es für wenig hilfreich, den Menschen permanent mit der | |
| Einstellung von Zahlungen zu drohen. | |
| Sie sind sonst kein Feind von Sanktionen. | |
| Ich bin ein Freund klarer Regeln. Es gibt Sachen, die sind für mich nicht | |
| verhandelbar: etwa, wenn jemand sagt, er erkenne das Grundgesetz nicht an. | |
| Die Anerkennung des Grundgesetzes erwarte ich auch von jedem hier. Es ist | |
| unsere Verantwortung, das denen, die hier ankommen, klarzumachen. | |
| Gleichzeitig ist es aber falsch, den Leuten vorschreiben zu wollen, wie sie | |
| zu leben haben. | |
| Da sind wir beim Integrationsbegriff: Debatten über Integration scheitern | |
| oft schon daran, dass über den keine Einigkeit besteht. Was verstehen Sie | |
| darunter? | |
| Ich verstehe unter Integration, dass sich Menschen in einer Gesellschaft | |
| verwirklichen können und in ihrem Umfeld als selbstverständlich | |
| gleichberechtigte Menschen akzeptiert werden. Klar gibt es die, die sich | |
| abschotten, unsere Lebensweise ablehnen und sich mit unseren Werten nicht | |
| identifizieren wollen. Das dürfen wir nicht akzeptieren. Aber es sind auch | |
| politische Fehler gemacht worden: etwa Menschen über Jahrzehnte im | |
| Aufenthaltsstatus der Duldung zu belassen, sodass sie weder einer Arbeit | |
| nachgehen noch studieren können, sondern in eine permanente Abhängigkeit | |
| gezwungen werden. Alles in allem betrachte ich die Integration in | |
| Deutschland aber als millionenfach gelungen. | |
| Das sehen viele Menschen – auch Ihre PolitikerkollegInnen – anders. | |
| Wie Integration definiert wird, hängt mit der Sichtweise einer Person | |
| zusammen. | |
| Die ist bei Ihnen ungewöhnlich: Sie sind im Westjordanland geboren, Ihre | |
| Eltern kamen als Gastarbeiter nach Berlin – inwieweit bestimmt das Ihre | |
| Sichtweise? | |
| Ich bin deutscher Sozialdemokrat arabischer Herkunft. Meine Geschichte hat | |
| mich insoweit geprägt, als ich in der Sozialdemokratie gelandet bin. Das | |
| sind für mich vor allem zwei Kernpunkte: die gleiche Würde aller Menschen | |
| und der Glaube an den sozialen Aufstieg. Ich weiß genau, was das bedeutet, | |
| deshalb glaube ich, gerade Weltoffenheit und Toleranz machen uns stark. Ich | |
| will nicht, dass die Hassprediger und Seehofers und Petrys diese Welt | |
| bestimmen. | |
| 21 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Alke Wierth | |
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