| # taz.de -- Essay Wahlkampf in den USA: Konservativ à la Europa | |
| > Antiintellektualismus und Tabubruch als Selbstzweck: Mit Donald Trump | |
| > europäisieren sich die US-amerikanischen Konservativen. | |
| Bild: Trumps Unterstützer kamen nicht aus dem Nichts. Mit der weißen Arbeiter… | |
| Als 2009 in den USA die „Tea Party“ einen Kreuzzug gegen den neuen | |
| Präsidenten Barack Obama zu führen begann, da meinten einige Beobachter | |
| eine Verwandtschaft mit den rechtspopulistischen Parteien Europas | |
| auszumachen. Sonderlich viel Substanz besaß dieser Vergleich allerdings | |
| nie. Unter dem Label „Tea Party“ wurden letztlich nur jene Kräfte | |
| gesammelt, die dem US-amerikanischen Konservativismus seit beinahe vier | |
| Jahrzehnten sein Gesicht geben: das bekannte Bündnis zwischen libertären | |
| Anti-Government-Aktivisten und der christlichen Rechten. | |
| Mit dem europäischen Rechtspopulismus hat das wenig zu tun. Nicht nur, weil | |
| Parteien wie der Front National oder die FPÖ eher als Verteidiger und | |
| Bewahrer sozialstaatlicher Leistungen auftreten und es sich bei ihnen, | |
| trotz des Rückgriffs auf die „Werte“ des christlichen Abendlands, im Kern | |
| um säkulare Bewegungen ohne das Vorfeld von religiösen Organisationen | |
| handelt. Die Unterschiede liegen auf einer noch tieferen Ebene. Denn wie | |
| soll man den europäischen Rechtspopulismus überhaupt ideologisch fixieren? | |
| Einzig unbestrittener Markenkern dieser Parteienfamilie ist eine | |
| tiefsitzende Angst vor Überfremdung, häufig auch ein offener Rassismus. | |
| Daneben aber besticht er gerade durch programmatische Geschmeidigkeit, die | |
| es ihm erlaubt, an diverse Ressentiments und Vorurteilsstrukturen situativ | |
| anzudocken. | |
| Kurzum: Der amerikanische Konservativismus, wie er durch die „Tea Party“ | |
| repräsentiert wurde, ist eine ideenzentrierte Bewegung mit einem Projekt | |
| gesellschaftlicher Transformation; der europäische Rechtspopulismus | |
| hingegen ist primär eine Empörungsmaschinerie, bei der man nie sicher sein | |
| kann, was sie wohl im Zweifel mit der Macht anstellen würde. | |
| ## Trump sprengt die weltanschauliche Orthodoxie | |
| In letzter Zeit aber scheint die These von der Angleichung der Formationen | |
| im rechten Parteienspektrum plausibler. Als Symptom muss der Aufstieg | |
| Donald Trumps gelten, jenes Mannes, der seit Monaten das Establishment der | |
| Republikanischen Partei vor sich her treibt. Es wäre jedenfalls eine | |
| Fehlinterpretation, in seinem Aufstieg einfach die lineare Fortschreibung | |
| der ideologischen Radikalisierung der Republikanischen Partei zu sehen. | |
| Trump steht für eine parallel verlaufende, dabei aber auch konträre | |
| Entwicklung. Ideologisch sprengt er die über Jahrzehnte gewachsene | |
| weltanschauliche Orthodoxie der Partei. Zum Verteidiger christlicher | |
| Moralvorstellungen taugt er schon aus biografischen Gründen nicht. Doch | |
| auch seine Vorschläge zur Wirtschafts- und Sozialpolitik sind nicht von | |
| jenem neoliberalen Furor begleitet, der die Republikaner sonst auszeichnet. | |
| Insofern Trump sich zu Inhalten äußert, steht er für eine höhere | |
| Besteuerung großer Einkommen und für die Verteidigung bestehender | |
| Sozialprogramme. Für das republikanische Establishment ist er, als Sinnbild | |
| eines gigantomanischen Turbo- und Spekulationskapitalismus, eigentlich ein | |
| veritabler Linker. | |
| Ein Blick auf den sozialen Zuschnitt der Anhängerschaft des New Yorker | |
| Milliardärs erklärt die programmatische Ausrichtung der Kampagne. Trumps | |
| Sympathisantenbasis ist männlicher, weniger gebildet, weniger wohlhabend | |
| und (noch!) weißer als der durchschnittliche Wähler in republikanischen | |
| Vorwahlen. Trumps Unterstützer sind auch weniger religiös. Und unter ihnen | |
| befinden sich viel mehr potenzielle Nichtwähler: Es ist der Zuschnitt der | |
| meisten rechtspopulistischen Parteien Europas. | |
| ## Flamboyanter Exzentriker | |
| Es ist erstaunlich, dass sich auch in den USA ausgerechnet dieses | |
| Wählersegment einen flamboyanten Exzentriker zum Repräsentanten erwählt | |
| hat, einen Mann, der wahrlich nicht den Eindruck erweckt, er teile die | |
| Sorgen und Ängste, geschweige denn die Lebenswelt der Menschen in Middle | |
| America. So trat in den 1980er Jahren schon der Österreicher Jörg Haider | |
| auf, die holländischen Rechtspopulisten Pim Fortuyn und Gert Wilders | |
| folgten diesem Muster, ebenso Italiens Silvio Berlusconi. | |
| Auch Trumps Politikstil bedient sich ähnlicher Methoden: dem Tabubruch als | |
| Selbstzweck, um die vermeintliche Politische Korrektheit herauszufordern; | |
| einem beißenden Antiintellektualismus, der zwar in der Republikanischen | |
| Partei schon seit Langem eine Heimat hat, gleichzeitig jedoch von einem | |
| dicht gewobenen Netz aus Thinktanks und einem eigenen publizistischen | |
| Universum flankiert wurde. | |
| Trump aber braucht aus diesem Universum nichts. Ebenso wie der holländische | |
| Rechtspopulist Wilders ist er ein eifriger Kommunikator auf Twitter – einem | |
| Medium, dass kongenial zu ihm passt. 140 Zeichen: Mehr bedarf es für Donald | |
| Trump nicht, um ein weiteres Mal die Welt zu erklären und an der | |
| Empörungsschraube zu drehen. Trumps Wahlkampf ist eine One-Man-Show, ein | |
| Schwebegewächs, das gleichsam über der Welt des amerikanischen | |
| Konservativismus thront. Oder, wie seine Gegner meinen: darunter. | |
| ## Eine kraftvolle Erzählung | |
| Natürlich kommen Trumps Unterstützer nicht aus dem Nichts. Mit der weißen | |
| Arbeiterklasse hat er den fragilsten Teil der republikanischen | |
| Wählerkoalition herausgebrochen. In einigen Regionen des Landes war die | |
| Partei im Verlauf der letzten Jahrzehnte zur Mehrheitspartei in dieser | |
| Wählergruppe geworden. Das lag nicht zuletzt an der überaus erfolgreichen | |
| Strategie der Konservativem, die soziale Spaltungslinie des Landes durch | |
| eine kulturelle Konfliktlinie zu überschreiben. Dafür schuf man eine sehr | |
| kraftvolle populistische Erzählung, die unter anderem von der Abgehobenheit | |
| einer „liberalen Elite“ handelte, die arrogant, weltfremd und versnobt sei | |
| und der man die bodenständigen, hart arbeitenden und patriotischen Bürger | |
| im amerikanischen „Heartland“ gegenüberstellte. | |
| Es war eine „Identitätspolitik von rechts“, die stark auf die | |
| Unterschiedlichkeit von Lebensstilen abzielte und bereits mit Elementen | |
| jenes Ethnonationalismus zündelte, mit dem Trump jetzt einen Flächenbrand | |
| gelegt hat. Geradezu genial aber war die Schlusspointe der Erzählung. Sie | |
| verbrämte jeden versuchten Ausbau von Wohlfahrtsstaatlichkeit als eine | |
| Strategie der Bevormundung seitens der machtversessenen Zentralregierung in | |
| Washington. Und als das funktionierte, waren es die wunderbarsten Jahre des | |
| amerikanischen Konservativismus, der in den Bush-Jahren mehrmals | |
| Steuersenkungen für die Oberschicht durchsetzte – und dafür gewählt wurde | |
| von Menschen, die davon herzlich wenig hatten. | |
| Aber das Bündnis zwischen der Republikanischen Partei und „Joe Sixpack“ | |
| blieb stets fragil. Es beruhte nicht auf ökonomischen Interessen, war nicht | |
| wirklich ideologischer Natur und bei vielen auch nicht durch religiöse | |
| Gefühle abgesichert. Reines Ressentiment hielt dieses Bündnis zusammen. Um | |
| es zu erhalten, mussten die Attacken ständig gesteigert werden, der Feind | |
| buchstäblich ins Riesenhafte wachsen. | |
| ## Jetzt regiert die Anti-Politik | |
| So begann die Geschichte eines Kontrollverlusts. Bald galt nicht mehr nur | |
| der amerikanische Liberalismus als Problem, sondern das gesamte politische | |
| System: Es sei korrupt und innerlich verfault, bevölkert von einer | |
| politischen Klasse, die mit dem Rest des Landes „out of touch“ sei. | |
| Spätestens seit den 1990er Jahren versprach jeder Kongress- und | |
| Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei, in „Washington | |
| aufräumen“ zu wollen. Heute verbringen viele Abgeordnete des Kongresse nur | |
| noch so wenig Zeit wie möglich in der Hauptstadt: Sie fürchten den Vorwurf, | |
| dass noch niemand Washington verändert habe, dafür Washington die Menschen | |
| aber umso mehr. | |
| Am Ende dieser Erzählung steht: Donald Trump. | |
| Wer dem Affen ständig Zucker gibt, darf sich nicht wundern, wenn ihm | |
| plötzlich ein 400-Kilo-Gorilla auf dem Schoss sitzt. So hat sich die | |
| Antiestablishment-Erzählung der Republikaner am Ende gegen sie selbst | |
| gerichtet. Jetzt regiert die reine Antipolitik. Was immer man Trump sonst | |
| vorwerfen mag – ein Politiker ist er nicht. Seine vollmundigen und gänzlich | |
| unrealistischen Versprechungen wirken bisweilen eher wie die satirisch | |
| übersteigerte Satire und Verhöhnung einer politische Klasse, die längst | |
| jedes Vertrauen verloren hat. | |
| Manchmal wird gefragt, wie es möglich ist, dass Trumps Verweigerung | |
| irgendeiner konzisen politischen Idee seinen Anhängern nicht aufzufallen | |
| scheint. Doch was, wenn sie wissen, dass er nur das Blaue vom Himmel | |
| verspricht, wenn sie die Travestie seiner Wahlkampagne durchschauen? Was, | |
| wenn sie sich allein daran ergötzen, mit welcher Lust Trump alle | |
| Konventionen des Politikbetriebs durchbricht und seine Konkurrenten damit | |
| in die Verzweiflung treibt? | |
| Dann handelte es sich um ein Phänomen, das in Europa – mit seinem anders | |
| gearteten Wahlsystem, bei dem Parteien ins Parlament einziehen, die nie die | |
| Chance haben, in eine Koalition einzutreten – als Protestwahl bezeichnet | |
| wird. Der Unterschied ist nur: Während diese Mentalität in Europa | |
| Protestparteien mit 10 bis 20 Prozent der Stimmen ins Parlament bringt, | |
| könnte in den USA der Repräsentant dieser Wutwelle bald als Kandidat einer | |
| Volkspartei ums Weiße Haus kämpfen. | |
| 23 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Torben Lütjen | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt USA unter Donald Trump | |
| Donald Trump | |
| Ted Cruz | |
| Marco Rubio | |
| Jean-Marie Le Pen | |
| Marine Le Pen | |
| USA | |
| Vorwahlen | |
| TV-Duell | |
| USA | |
| Donald Trump | |
| Donald Trump | |
| Schwerpunkt USA unter Donald Trump | |
| USA | |
| Vorwahlen | |
| USA | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Trump muss bei TV-Debatte einstecken: „Uhren verkaufen in Manhattan“ | |
| Die letzte Fernsehdebatte vor dem „Super-Tuesday“ hatte es in sich. Die | |
| Republikaner Rubio und Cruz nahmen ihren ärgsten Konkurrenten Trump in die | |
| Mangel. | |
| Kommentar US-Republikaner und Trump: Es bleibt nicht mehr viel Zeit | |
| Donald Trump siegt und siegt, alles scheint möglich. Die Republikaner haben | |
| das Problem selbst zu verantworten – und müssen endlich handeln. | |
| Vorwahl der Republikaner in Nevada: Trump triumphiert | |
| Und noch ein Sieg für Donald Trump. Der Republikaner gewinnt deutlich in | |
| Nevada. Marco Rubio, der ihn stoppen soll, enttäuscht. | |
| Papst legt sich mit Trump an: Mauerbau ist „unchristlich“ | |
| Während Papst Franziskus an der mexikanischen Grenze zu den USA für | |
| Migranten betet, will Trump dort eine Mauer bauen. Nun kommt es zum | |
| Schlagabtausch. | |
| Videos im US-Wahlkampf: El Paso oder Melilla, Hauptsache USA | |
| Marco Rubio verpflanzt Vancouver in die USA und Donald Trump verlegt die | |
| US-Grenze nach Nordafrika. Geographie-Note: ungenügend. | |
| Die Republikaner nach New Hampshire: Populismus ist Trump | |
| Mit Trump und Cruz triumphieren die republikanischen Rechtsaußen auch in | |
| New Hampshire. Ein moderater Herausforderer ist nicht in Sicht. | |
| Vorwahl im US-Staat New Hampshire: „Er ist eine Pussy“ | |
| Mit militärischer Stärke protzen alle konservativen Kandidaten: Donald | |
| Trump, Ted Cruz und Marco Rubio. Und sonst? Burger, Country, Opern-Arien. | |
| US-Vorwahl in Iowa: Die erste Hürde | |
| In Iowa beginnen die US-Vorwahlen. Clinton versucht, mit einem Programm | |
| „Sanders light“ zu punkten. Trump inszeniert sich als Triumphator. | |
| Kolumne Der rote Faden: Fuck off, Ted Cruz | |
| Willkommenskultur ist nicht mehr komfortabel, Martin Luther King so aktuell | |
| wie nie, New York disst Ted Cruz – und Dirk Nowitzki Donald Trump. |