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# taz.de -- Meta-Mörder-Musical: Herausragend gescheitert
> Die Figur des Serienmörders Fritz Haarmann sorgt in Hannover noch immer
> für Aufregung. Das Staatstheater bringt den Stoff nun auf die Bühne.
Bild: Immer feste druff: Serienmörder Haarmann mit dem Hackebeil. Lustig finde…
Gefangen in einem bühnengroßen Käfig aus Metallstreben und Meta-Ebenen
steht ein unsicher wirkender Mann auf der Bühne. Er stellt den Autor des
Musicals über den Serienmörder Fritz Haarmann dar. Dieses versucht er,
unsicher zwar, aber mit Unterstützung des Chores und abendfüllender
Ausdauer, anzukündigen. Doch bevor die Handlung von „Amerikanisches
Detektivinstitut Lasso“ so richtig in Fahrt kommt, entspinnt sich eine ganz
andere Handlung: Ein Diskurs über das eigene, das künstlerische Schaffen
des Autoren. Und bevor man auch nur „Fritz Haarmann“ sagen könnte, säuselt
der Chor der Theaterautoren: „Die Kunst hat eine Aufgabe, / nämlich zu
langweilen.“
Der gelernte Schlosser Fritz Haarmann wurde 1924 für den Mord an 24 Kindern
und jungen Männern schuldig gesprochen. Im April 1925 wurde er mit dem
Fallbeil hingerichtet, doch so ganz ließ der Serienmörder seine Heimatstadt
Hannover bis heute nicht los. Das Haarmann-Lied und die zahlreichen
Zunamen, mit denen man „das Monster“ versah, trugen zu seiner
Mystifizierung bei. „Der Werwolf“, „der Schlächter“, „der Vampir“ …
„die Bestie von Hannover“ ist Thema von Büchern, Kampagnen, Comics und
Filmen. Anfang der Neunziger kaufte das Sprengel-Museum den
„Haarmann-Fries“ des österreichischen Bildhauers Alfred Hrdlicka. Aufgrund
massiver Kritik an dem vermeintlichen „Denkmal für den Massenmörder
Haarmann“ verschwand das Werk jedoch bis heute im Depot des Museums.
## Empörte Nachfahren
Ähnlich groß war der Aufruhr, als das Staatstheater vergangenes Jahr ein
Bühnenstück zum Thema ankündigte, noch dazu ein Musical. Die lokale Presse
und Nachfahren der Opfer waren empört, wollten die Inszenierung verbieten
lassen. Christoph Veltrup etwa, dessen Onkel von Haarmann getötet wurde,
versuchte sogar, die Inszenierung und also „Geschäftemacherei mit dem
Mörder“ mit juristischen Schritten zu verhindern.
Der Autor des Stücks, Nis-Momme Stockmann, ließ sich von den Bedürfnissen
und Befindlichkeiten der Hannoveraner jedoch nicht aufreiben und machte das
einzig Sinnvolle aus seinem Dilemma: ein Stück über Haarmann ohne Fritz
Haarmann. Nur ein einziges Mal lässt der unsicher wirkende Mann (Jonas
Steglich) den Serienmörder auftreten, verborgen unter einer weißer Maske
und ebenso weißer Weste. Doch als dieser zu einer Arie über seine
Homosexualität ansetzt, grätscht der Intendant, gespielt von Dominik
Maringer, dazwischen. Wie könne man Haarmann eine Arie singen lassen, wo
bleibe da die Würde, fragt er den unsicher wirkenden Mann. Verschwurbelt
versucht der Autor sich zu rechtfertigen, sagt, dass das Unmögliche möglich
sein müsse und wir fragen uns, wie nahe die Figuren, die fast alle mehrfach
auftauchen, an den tatsächlichen Entstehungsprozess des Stücks angelehnt
sind.
Eine zentrale Szene spielt an der Rezeption eines Hotels am hannoverschen
Bahnhof, wo der unsicher wirkende Mann beiläufig nach seiner Arbeit gefragt
wird. Nachdem er sich zunächst ziert, lässt er das Stichwort „Haarmann“
fallen, das beim höflichen Rezeptionisten wie eine Bombe einschlägt.
Schmerzhaft muss der Theaterautor feststellen, dass es eine Schnapsidee
ist, sich künstlerisch mit Haarmann zu beschäftigen. Singend prügelt ein
Leibnizkeks dem Dramatiker ein, dass solche Projekte zum Scheitern
verurteilt sind und der junge Mann sich von seiner Karriere verabschieden
könne, wolle er Haarmann tatsächlich auf die Bühne bringen.
## „Selbstreflexive Nabelschau“
Spätestens nach der Pause beginnt dann die „selbstreflexive Nabelschau“
eines verzweifelten Autors und eines verfahrenen Theaterbetriebs. Immer
wieder formuliert der Autor, wie das Haarmann-Stück nicht sein soll, welche
Art von Theater er nicht machen will und was er damit eben nicht
kritisieren will. Begleitet werden seine Gespräche mit der Lektorin, dem
Intendanten und dem Dramaturgen vom wabernden Synthiepop des Duos „Les
Trucs“, deren Kompositionen zwar nie dominieren, aber einen raffiniert
wohligen Klangteppich unter das Meta-Musical legen – raffiniert, weil erst
die affirmative und dennoch ins Satirische oszillierende Popmusik und deren
kritischen Texte den alles hinterfragenden, unsicher wirkenden Mann zum
glaubwürdigen Sympathieträger machen: „Was machen wir mit den Schriften der
Anarchisten / Verbieten wir sie / Nein / Wir machen sie viel effektiver
unschädlich / Wir machen sie zu Pflichtlektüre in deutschen Gymnasien.“
Und dieser Mann hat, anders als vom Intendanten behauptet, ein Ziel. Er
will Theater machen, das uns – das Publikum – eben nicht betrifft, um nicht
immer dieselben Fragen zu reproduzieren und damit die immer gleichen
Antworten zu provozieren. Sowieso solle Theater nicht immer etwas „in der
Welt da draußen“, außerhalb des Käfigs, den die Bühne darstellt, erreichen
wollen. Zunächst müsse er, der Autor, doch sich selbst betrachten,
hinterfragen, in Zweifel ziehen, bevor er die Außenwelt kritisieren könne.
Damit entlarvt der Protagonist (der Autor, nicht Haarmann) nicht nur das
gestörte Verhältnis der Hannoveraner zu ihrem historischen Antihelden,
sondern auch die gegenwärtigen Diskussionen, etwa über Islamismus oder
Pegida. Man könne nur noch in denselben ausgetreten Phrasen über bestimmte
Themen sprechen, was natürlich immer zum selben Ergebnis führe: „Ein
Monster ist ein Monster ist Fritz Haarmann.“ Stockmann hingegen lässt
Widersprüche stehen. Der unsicher wirkende Autor, mit dem er einen Teil
seiner selbst auf die Bühne stellt, will Konflikte und Unverständliches
aushalten und damit umgehen, anstatt immer ergebnis- und konsensorientiert
zu kommunizieren. Mit oft verwinkelten und immer unterhaltsamen Dialogen
schafft Autor Stockmann eine zweistündige Selbstbespiegelung, die sich
selbst trotz zahlloser Erzähl- und Dialogebenen immer wieder als
„langweilig und irrelevant“ entlarvt und vom Premieren-Publikum um eine
Pointe bereichert wird: Es spendet nur dann Szenenapplaus, wenn hämisch
behauptet wird, dass niemand etwas habe von dieser Art von Theater.
## Es singt: der Chor der Dramatiker
„Wir sind gescheitert / wir sind nicht gescheiter“, singt schließlich der
Chor der Dramatiker. Stockmann musste scheitern und es ist beeindruckend,
wie radikal er und der Regisseur Lars-Ole Walburg dieses Misslingen
ausstellen. Letztlich hat Christoph Veltrup sein Ziel erreicht, Haarmann
nicht als Protagonist eines Musicals sehen zu müssen. Dass dafür jedoch
nicht sein Wunsch verantwortlich ist, das Geschehene andächtig zu
verschweigen, sondern vielmehr das herausragende Scheitern der
Theatermacher, ist nur eine der zahlreichen Pirouetten, die dieses kluge
Stück dreht.
So wird der unsicher wirkende Mann kurz vor Schluss gekreuzigt und dabei zu
dem Geständnis gezwungen, dass es seine Idee gewesen sei, dieses
Haarmann-Musical. Tatsächlich käme die zum einsamen und ungehörten
intellektuellen Rufer stilisierte Figur des Autors etwas zu gut weg, würde
dieser nicht am Ende als gealterter Nobelpreisträger für sein
revolutionäres Musical „Amerikanisches Detektivinstitut Lasso“ gelobt,
getreu seinem Mantra „Erinnern ist Erfinden“.
18 Feb 2016
## AUTOREN
Kornelius Friz
## TAGS
Serienmörder
Hannover
Musical
Serienmörder
Theater
Ostern
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