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# taz.de -- Regisseur und Schauspieler Uli Lommel: "Warhol gab dir einen Schlü…
> Ulli Lommel ist Schauspieler und Regisseur. Er arbeitete mit Rainer
> Werner Fassbinder und Andy Warhol. Nun bringt er in Bremen ein
> "Anti-Musical" auf die Bühne.
Bild: "Der Amerikanische Traum ist nur ein Witz": Ulli Lommel.
taz: Herr Lommel, sie haben einige Jahre Ihrer Kindheit im
niedersächsischen Wildeshausen verbracht. Kennen Sie Bremen noch von
früher?
Ulli Lommel: Ja. Meine Mutter hat erzählt, dass ich als Sechsjähriger
stundenlang vor den Stadtmusikanten gestanden habe und gar nicht weg
wollte. Die waren damals sehr groß. Als ich jetzt wiederkam, konnte ich gar
nicht glauben, dass die so klein sind.
Und seitdem waren Sie nie wieder hier?
Einmal für eine Lesung und einmal für einen Auftritt bei "3 nach 9". Das
war im April letzten Jahres. Davor bin ich fast 55 Jahre nicht hier
gewesen. Wir wohnten damals ein bisschen außerhalb von Wildeshausen. Wir
hatten ein Haus mit 10.000 Quadratmetern Wald. Da hab ich früher immer
Cowboys und Indianer gespielt. Neulich sind wir zu dem Haus gefahren. Das
gibt es noch, der Wald ist komplett weg. Da steht jetzt ein Haus neben dem
anderen. Dabei ist das nicht mal im Zentrum von Wildeshausen.
Der letzte Film, in dem Sie mitgespielt haben, "Daniel - Der Zauberer" von
2009, wird in der Internet Movie Database unter den 100 schlechtesten
Filmen aller Zeiten aktuell auf Platz 4 geführt. Er handelt von Daniel
Küblböck.
Ich war für ein Wochenende in Deutschland und las in den Zeitungen die
Hasstiraden über Daniel. Ich dachte: Warum flippen denn die Leute aus wegen
dem armen Teufel? Da bin ich zu einem Konzert von ihm gegangen und habe das
Gegenteil gesehen: Zehntausend Leute, die geweint haben. Das war unfassbar,
was sich da abspielte. Und weil ich schon immer davon fasziniert war, wie
in Deutschland mit Emotionen umgegangen wird, hab ich gesagt: Ich und mein
Bruder begleiten dich mit der Kamera und nehmen das alles auf.
Und dann?
Als der Film herauskam, gab es die wahnsinnigsten Reaktionen, genau wie auf
Daniel selbst. Die Süddeutsche hat eine Hymne geschrieben, andere Zeitungen
haben es gehasst. Da war ich wieder da, wo ich damals bei Fassbinder schon
war: bei der Kontroverse.
In Ihrem Buch "Zärtlichkeit der Wölfe" erzählen Sie von all den Menschen,
die Sie getroffen haben: Fassbinder, Warhol, Curd Jürgens, Mohammed Ali,
William S. Burroughs, Orson Welles oder Klaus Kinski. Und von einigen, die
Sie nicht getroffen haben: Marilyn Monroe etwa. Passt er in diese Reihe?
Irgendwie passt er da schon rein. Wenn man sich erinnert, dass Andy Warhol
damals Filme gemacht hat wie "Trash" oder "Flesh", die wurden zum Teil ja
zerfetzt. Andy nannte die ja selbst Trash. Und Daniel Küblböck ist für
viele eben auch Trash. Das finde ich aber auch sehr schön daran. Dass es
nicht mittelmäßig ist.
Ist das eine Leitlinie für Ihre Arbeit: die Extreme zu suchen? Sie haben in
den vergangenen Jahren ja vor allem Horrorfilme gedreht.
Ja. Wobei ich den Horrorfilm so benutzt habe wie die Kommunisten zur Zeit
des Film Noir: Ich habe das Genre benutzt, um das rüberzubringen, was ich
rüberbringen wollte. In "Zodiac Killer", in dem ich auch die Hauptrolle
spiele, verarbeite ich meine Lieblingsthemen, vom Raubtierkapitalismus bis
zu der Tatsache, dass Werte wie Freiheit, Gleichheit oder der Amerikanische
Traum nur ein Witz sind. Viele Horror-Fans hat das total genervt. Aber
eigentlich sind das keine Horrorfilme, sondern einfach meine politischen
Statements.
Sie haben beinahe systematisch die Geschichte der Serienmörder bearbeitet,
von Fritz Haarmann über den "Green River Killer" bis hin zum Heckenschützen
von Washington: Um den geht es in Ihrem letzten Film, "D.C. Sniper" - auch
ein politischer Film?
Oh ja! Ich hab versucht, den Film in Deutschland zu verkaufen, da hat man
mir gesagt, der würde von der FSK verboten, weil er staatsgefährdend sei.
Weil dieser Film mit den so genannten Terrroristen sympathisiert, wenn man
so will. In dem Moment, wo man pausenlos bei ihnen ist, entsteht Sympathie.
Das nervt mich bei den ganzen Tatort-Geschichten so, dass du immer mit der
Polizei bist. Daraus entsteht Sympathie für die Polizei, für den
Staatsanwalt, für den Richter. Und gerade gegen die und deren Methoden
wende ich mich in meinen Serial-Killer-Filmen. Ich sympathisiere in all
diesen Filmen mit dem Killer, bin in dessen Hirn. Und zeige von seinem
Standpunkt aus, was mir an dieser Gesellschaft nicht gefällt, was ich
verlogen finde und so weiter.
Sympathisieren Sie auch mit den Methoden?
Nein. Die sind ja nur der Vorwand. Ich benutze das Genre und zeige, was
gezeigt werden muss. Was ja auch realistisch ist, weil das ja wirklich
passiert ist. Und dann kann ich da meine ganzen Themen verbraten.
Dem Spiegel haben Sie gesagt, Sie hätten diese Filme gemacht, um Ihre
dunkle Seite zu ergründen. Das passt nicht unbedingt zusammen.
Ach, das war nur ein Statement für die, mit denen ich mich nicht über
politische Themen unterhalten wollte. Da wollte ich einfach nur das Thema
beenden.
Sie haben die letzten 30 Jahre in den USA gelebt.
Ich wollte nie nach Amerika. Amerika war für mich all das, was ich an
dieser Welt nicht mochte. Das Land hatte gerade erst den Vietnamkrieg
beendet, als ich ankam. Das war das allerletzte Land, das ich besuchen oder
in dem ich arbeiten wollte. Aber manchmal kommt es im Leben eben anders,
als du denkst. Und als ich 1977 zu Andy Warhol in die Factory kam, hab ich
eine Dynamik gespürt, die ich bei Fassbinder vermisst hatte.
Mit dem Sie lange zusammengearbeitet hatten.
Ich habe zwischen 1967 und 1977 zwanzig Produktionen mit Fassbinder
gemacht. Der war wie ein Gefängniswärter, der dich in eine Zelle einsperrt
und von dir bestimmte Dinge verlangt. Und wenn er Lust hatte, öffnete er
die Tür für dich, aber auch nur, um mit dir zu spielen. Bei Warhol war das
anders. Da warst du im Gefängnis, bevor du ihn trafst. Aber er hat dir den
Schlüssel gegeben, damit du machen kannst, was du willst. Er hat ja alle zu
Superstars machen wollen. Das genaue Gegenteil von Fassbinder. Aber es war
auch eine Gruppenerfahrung, was mich immer schon interessiert hat.
In der Factory, Warhols legendären Ateliers in New York, traf sich damals
alles, was Rang und Namen hatte. Was hat Sie ausgerechnet nach Bremen
gebracht, um darüber ein Stück zu machen?
Ich bin im vergangenen Jahr während meiner Lesereise durch ganz Deutschland
getingelt und habe unter anderem auch im alten Saal der Schwankhalle aus
meinem Buch gelesen. Da dachte ich sofort: Das erinnert mich an die
Factory: der Raum, die Atmosphäre. Ich arbeitete schon seit längerem an
einem Drehbuch über die Factory. Da kam ich auf die Idee, die Geschichte
hier als "Anti-Musical" zu machen. Nachdem wir jetzt schon seit einigen
Wochen proben, bin ich mehr denn je der Meinung, dass die Schwankhalle
genau der richtige Ort dafür ist.
Sie haben auch mit Rainer Langhans gedreht, der - wie Daniel Küblböck - ins
"Dschungelcamp" gegangen ist. Auch eine Art Gruppenerfahrung.
Rainer Langhans habe ich neulich zufällig wiedergetroffen. Der vermarktet
sich gnadenlos. Sobald da eine Kamera ist, ist er nur noch Produkt, und
sobald die Kamera wieder aus ist, kann man ganz normal mit dem reden. Aber
das Dschungelcamp und dieser ganze Mist, der im Fernsehen zu sehen ist: Das
interessiert mich überhaupt nicht.
17 Apr 2011
## AUTOREN
Andreas Schnell
## TAGS
Serienmörder
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