# taz.de -- Theaterfestival Kaltstart: Auf wackligen Beinen | |
> An Leidenschaft mangelt es dem Theaternachwuchs durchweg nicht, aber die | |
> qualitativen Unterschiede sind enorm. Zu sehen ist das derzeit auf dem | |
> Hamburger Theaterfestival Kaltstart. | |
Bild: Klassische Selbstbespiegelung: In der Performance "Dont Cry - Work!" erz�… | |
HAMBURG taz | Die Liebe wird in den Stücken des Hamburger | |
Kaltstart-Festivals selten thematisiert, und doch spielt sie bei jeder | |
Aufführung eine Rolle. Sie wird immer dann sichtbar, wenn das Stück | |
gelaufen ist und sich die Akteure den Schlussapplaus abholen. Egal, wie | |
viele Zuschauer gekommen sind, man kann die Liebe in den euphorischen | |
Gesichtern der SchauspielerInnen sehen. Es ist die Liebe zum Theater, die | |
in diesem Moment stärker ist als der Gedanke daran, dass kaum Zuschauer | |
gekommen sind und man mal wieder kein Geld bekommt für das, was man tut. | |
Es ist eine ambivalente Liebe, die man auf diesem Theaterfestival noch bis | |
zum 2. Juli erleben kann: Einerseits ist die Liebe frisch und | |
leidenschaftlich, andererseits wissen alle Beteiligten, dass sie auf | |
wackligen Beinen steht. Denn das Kaltstart-Festival ist ein | |
Nachwuchsfestival für Theaterschaffende, die sich an der Schwelle zur | |
Professionalität befinden. | |
Manche der aus dem Bundesgebiet und Österreich angereisten Akteure haben | |
den Sprung in ein staatlich finanziertes Theater geschafft und sind dabei, | |
Erfahrung zu sammeln. Manche wollen frei arbeiten und sind dabei, sich zu | |
etablieren. Manche wissen schon, dass aus der Geschichte mit ihnen und dem | |
Theater etwas wird, und manche wissen es noch nicht. Für sie ist das | |
Kaltstart-Festival die Gelegenheit herauszufinden, ob ihre Liebe fürs | |
Theater eine Einbahnstraße ist - oder ob sie zurückgeliebt werden vom | |
Publikum, den Kritikern, den anderen Theatermachern. | |
Rund 70 Produktionen sind auf dem diesjährigen Hamburger Kaltstart-Festival | |
zu sehen, unterteilt in die Programmsparten Kaltstart-Pro, Finale, Fringe, | |
Youngstar und Autorenlounge. Der zentrale Aufführungsort ist das Haus 73 im | |
Hamburger Schanzenviertel, daneben gibt es sieben weitere | |
Veranstaltungshäuser sowie diverse Open-Air-Spielstätten. | |
Während bei Kaltstart-Pro kleine Produktionen aus Häusern wie dem | |
Schauspiel Hannover, den Kammerspielen Wiesbaden oder dem Theater Aachen | |
laufen, gibt es bei Fringe Off-Produktionen freier Gruppen. Die | |
Qualitätsunterschiede sind zum Teil enorm, die Bedingungen aber sind für | |
alle gleich mies: Keine der Gruppen bekommt eine Gage, bezahlt werden | |
lediglich die Anreise sowie Verpflegung und Unterbringung. Ferner ist der | |
Aufwand für Bühnenbild und Technik bei allen Produktionen begrenzt - in der | |
Leitungsriege des Festivals spricht man von "Theater unplugged". | |
Bei der Hamburger Gruppe "No Budget" beispielsweise steht lediglich ein | |
Tisch mit Akten auf der Bühne des Foolsgarden Theaters, nichts weiter. | |
Gegeben wird das Stück "Die Haarmann-Protokolle": Aus den Protokollen der | |
Gespräche zwischen dem hannoverschen Serienmörder Fritz Haarmann und dem | |
Gerichtspsychologen aus dem Jahr 1924 hat die Gruppe ein | |
Zwei-Personen-Stück zusammengebastelt. | |
Dieser Abend ist ein Beispiel für eine Entdeckung, die man als Zuschauer | |
beim Kaltstart-Festival machen kann: "Die Haarmann-Protokolle" verlassen | |
sich völlig zu Recht ganz auf die beiden Schauspieler Claus-Peter Ratjen | |
und Viola Neumann - wobei letztere den Serienmörder Haarmann spielt. | |
Stark vertreten ist auf dem Festival aber auch das Experimentieren mit | |
Formen, und das birgt einige Risiken. "Ich, Georg Büchner" beispielsweise | |
ist ein Versuch des Münchners Ludo Vici, einen Monolog aus Büchner-Texten | |
zu kombinieren mit den Formaten Rockkonzert und Deutschunterricht. Davon | |
hat niemand etwas, zumal die Idee, ein heutiger Büchner würde Rockmusik | |
machen, doch einigermaßen langweilig ist. | |
Fern jeder Klassiker-Bearbeitung aber dennoch schon wieder klassisch in | |
ihrer Selbstbespiegelung ist die Performance "Dont Cry - Work!" der | |
Berliner Gruppe 000A. Drei junge Frauen sitzen hinter ihren Laptops und | |
erzählen sich und dem Publikum ihre Erwerbsbiographie im Kulturbereich, die | |
aus unbezahlten Praktika, unterbezahlten Engagements, viel Suchbewegung und | |
wenig Anerkennung besteht. Fiese Relevanz bekommt die Klage durch den Blick | |
in den Zuschauerraum: Abzüglich der beteiligten oder bekannten Personen ist | |
an diesem frühen Dienstagabend in der Bernsteinbar exakt eine Zuschauerin | |
auszumachen. | |
Dass den Schauspielerinnen die Laune trotzdem nicht vergeht, mag auch daran | |
liegen, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. Das Kaltstart-Festival sei ein | |
Nachwuchsfestival, das gerade nicht für die bereits gehypten Top-Leute | |
gedacht sei, sagt Festivalleiter Falk Hocquél. Es gehe vielmehr um | |
diejenigen, die bislang nicht im Fokus der Aufmerksamkeit standen. | |
"Für die Mitwirkenden ist das Festival eine Chance, Kollegen zu treffen und | |
Publikum, aber auch von jemandem gesehen zu werden, der sie engagiert", | |
sagt Hocquél. Die Intendantin der Theaterfabrik Kampnagel, Amelie | |
Deufelhard, sei beispielsweise schon gesichtet worden. | |
Hocquél spricht gerne von einem Sprungbrett, das das Festival sei. Das Bild | |
passt nur eingedenk der Tatsache, dass so ein Sprungbrett-Sprung zwar nach | |
oben zielt, die Möglichkeit einer Bauchlandung aber keineswegs | |
ausgeschlossen ist. | |
21 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Klaus Irler | |
Klaus Irler | |
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