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# taz.de -- Streit um Chancengleichheit: „Das erhöht den Druck“
> In Schleswig-Holstein sollen Schwerbehinderte künftig bessere Chancen auf
> dem ersten Arbeitsmarkt haben. Verbände halten das Modell für
> inpraktikabel.
Bild: Freier Arbeitsplatz: Schwerbehinderte sollen künftig leichter an einen J…
KIEL taz | Für Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen ist
der Berufsweg meist kurz und endet in einer Werkstatt. Um ihnen den Zugang
zum ersten Arbeitsmarkt zu ebnen, hat Schleswig-Holstein in diesem Jahr ein
sogenanntes „Budget für Arbeit“ geschaffen. Die Idee ist, dass Behinderte,
anders als etwa in Hamburg und Niedersachsen, nach einer Übergangszeit den
„Status der Erwerbsunfähigkeit überwinden“, erklärte Christian Kohl,
Sprecher des Sozialministeriums.
## 50 Prozent Zuschuss
Das Integrationsamt solle künftig Lohnkostenzuschüsse in Höhe von 50
Prozent des Arbeitgeberbruttos an die Arbeitgeber leisten, die um weitere
20 Prozent aus Leistungen der Eingliederungshilfe ergänzt werden, teilte
das Ministerium mit. Und Schleswig-Holsteins Sozialministerin Kristin
Alheit (SPD) freute sich über das „bundesweit einmalige“ Konzept. Dumm nur,
dass sie mit ihrer Freude recht allein ist.
„Werkstattbeschäftigte müssen ohne Not ihren Schutzstatus aufgeben – das
erhöht den Druck auf die Firmen und vor allem auf die Menschen, die das
Budget beantragen“, kritisiert Dirk Mitzloff, stellvertretender
Landesbeauftragter für Menschen mit Behinderung. Das Sozialministerium hat
auch vorsichtshalber „keine Zielgröße vorgesehen“, wie vielen Menschen das
Budget beim Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt helfen könnte.
Den Werkstätten könnte das Recht sein, schließlich verdienen sie an jeder
Arbeitskraft, die sie behalten. Aber Axel Willenberg, Geschäftsführer der
Lübecker Marli GmbH und Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der
Werkstätten, betont: „Wir freuen uns über neue Modelle, und wenn unsere
Beschäftigten es draußen schaffen, ist das für uns ein Erfolg.“ Allerdings
sieht auch er das Konzept kritisch. „Hier wird etwas installiert, das
hinter die Diskussion auf Bundesebene im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes
zurückfällt“, sagt Willenberg. Im besagten Gesetz ist von einem Zuschuss
für die Firmen von 75 Prozent die Rede, in Schleswig-Holstein erhalten
Betriebe 70 Prozent.
„Wichtig ist, dass qualifizierte Menschen mit Behinderungen, die ihre
Chance am allgemeinen Arbeitsmarkt suchen, eng begleitet und unterstützt
werden und erforderlichenfalls der Weg zurück zur Werkstatt offen ist“,
sagte Ministerin Ahlheit. Und stößt damit bei Willenberg auf Kritik. Ihn
störe, dass nicht die Werkstätten, sondern der kommunale
Integrationsfachdienst die Begleitung in der neuen Firma übernimmt.
„Wir würden uns zumindest eine Wahlmöglichkeit wünschen“, sagt er. „Wir
kennen die Menschen ja lange und wissen, welche Unterstützung sie
brauchen.“ Nach dem jetzigen Konzept müsste die Werkstatt Anträge stellen,
Wechselwillige in der schwierigen Phase betreuen, um am Ende einen guten
Mitarbeiter abzugeben. Unklar sei, so Willenberg, wie aktiv sich die
Integrationsfachdienste um die für sie neue Gruppe kümmern könnten. „Ich
höre von Kommunen, dass sie zurzeit keine Zeit und kein Personal haben.“
Für Verärgerung sorgt auch, dass das Ministerium nur Eckpunkte nennt und
das neue Modell ohne Beteiligung der Betroffenen entwickelt hat. „Das ist
sicher nicht im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention“, kritisiert der
stellvertretende Behindertenbeauftragte Mitzloff.
## „Wir waren schon weiter“
„Wir waren eigentlich schon weiter“, sagt Jörg Adler vom Paritätischen
Wohlfahrtsverband. Er hatte in einer Arbeitsgruppe mit Arbeitsamt,
Rentenversicherung, Behindertenverbänden, Werkstätten, Kreis- und Städtetag
und auch dem Sozialministerium „etwas vorgelegt, dass wir für praktikabel
halten“.
Das Sozialministerium war allerdings im Herbst 2014 aus der gemeinsamen
Arbeitsgruppe ausgestiegen und hat nun ein eigenes Konzept vorgestellt:
„Den Grund kennen wir nicht“, sagt Adler.
4 Feb 2016
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Gleichstellung
Schwerbehinderter
Arbeitsplätze
Leben mit Behinderung
Familie
Inklusion
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