# taz.de -- Kommentar Tennis und Handball: Das große deutsche Sportwochenende | |
> Der Alltag ist berechenbar, großer Sport ist es nicht. Die Siege von | |
> Angelique Kerber und dem Handballteam beflügeln Fans und Vermarkter. | |
Bild: Alle wollen jetzt ein Selfie mit Angelique Kerber. | |
Manchmal passieren im Sport Dinge, die vielleicht nur in dieser | |
Parallelwelt möglich sind. Die Sportfans, von denen es in Deutschland | |
verdammt viele gibt, wissen aus Erfahrung, dass sie in ihrem Alltag nicht | |
auf die wundersame Wendung oder das schicksalhafte Glück hoffen sollten. | |
Aber in jener Welt, in der kleine gelbe Filzbälle und klebrige Handbälle | |
durch Arenen fliegen, ist es möglich, dass [1][eine Außenseiterin zur | |
Heldin von Melbourne wird] und junge Draufgänger, von denen man nicht viel | |
erwartete, plötzlich [2][Europameister im Handball werden]. Die | |
Metamorphose von Sportlern, die eben noch von dieser Welt waren und im | |
nächsten Moment über sich hinaus wachsen, ihr Können mit dem Faktor x | |
multiplizieren und im Handumdrehen ein neues Niveau erreichen, übt eine | |
riesengroße Faszination aus. | |
Die Aussicht auf ein spielerisches Drama fesselt eben mehr als die Aussicht | |
auf eine weitere Woche im Büro, den Elternabend in der Kita oder | |
festgefahrene Diskussionen über Zuwanderung. Der Alltag ist berechenbar, | |
großer Sport ist es nicht. Großer Sport kann Sinn stiften. Er kann | |
Illusionen, neue Weltsichten erzeugen – und Ablenkung verschaffen von den | |
Zumutungen des Lebens. Ja, Sport lenkt ab, aber das muss nichts Schlechtes | |
sein, denn Gesellschaften brauchen diesen sportlichen Eskapismus, weil das | |
zu ihrem Funktionieren beiträgt. | |
Steckt in jedem großen Sportereignis die Sehnsucht nach einem ozeanischen | |
Gefühl der Gemeinsamkeit, so wirken seine Begleiterscheinungen geradezu als | |
Abtörner. Gemeint sind die Schattenseiten: Doping, Korruption, Betrug. Sie | |
machen siegestrunkene Fans schlagartig nüchtern. Aber davon hatte dieses | |
Wochenende der deutschen Erfolge zum Glück gar nichts. | |
## Jubelstürme in Deutschland | |
Die Fans konnten ganz ungezwungen in die offenkundig heile Parallelwelt | |
eintauchen, ein Teil von ihr werden, ein Stück abhaben von den | |
Übersportlern, die das schier Unmögliche geschafft haben: Angelique Kerber, | |
die zum ersten Mal in einem Grand-Slam-Finale stand, es gewann und | |
Erinnerungen wach rief an eine große deutsche Tennis-Ära. Dann die | |
Handballer, das jüngste Team der EM, das sich rauschhaft steigern konnte, | |
bis hin zur Qualifikation für die Olympischen Spiele in Rio. Im Sport hat | |
die Parole „Wir schaffen das“ einen anderen, entspannteren Klang. Auch das | |
mag die Jubelstürme in Deutschland erklären. | |
Das Fernsehen, das über die Heldentaten der Aufsteiger berichtet, macht die | |
Tür ganz weit auf in diese wunderbare Parallelwelt des Sports. Es wirkt wie | |
ein Verstärker. Es verstärkt die Emotionen und jenes Phänomen, das 2006 auf | |
den Namen „positiver Patriotismus“ getauft wurde. Der deutsche Fan in Kiel, | |
Melsungen oder Gummersbach jubelt zwar gern seinen Heroen zu, aber den | |
deutschen Pass sollten sie schon haben. Falls nicht, wird schnell | |
weitergezappt. Der Fan denkt lokal, nicht global. | |
Wenn der Erfolg deutscher Sportler die ersten politischen Nutznießer findet | |
und Glückwunschtelegramme aus der Berliner Republik an eine Tennisspielerin | |
gehen oder an Handballer, dann ist der Sport wieder mal zum nationalen | |
Projekt geworden. Aber das ist ja das Schöne an der Winterszeit, in der die | |
Loipen und Schanzenausläufe – und nun auch die Centrecourts und | |
Handballhallen – mit deutschen Erfolgen nur so gepflastert sind. Und die | |
richtigen Verkäufer dieser Erfolge gibt es auch. | |
## Sympathische Sieger im Quotenkampf | |
Die Sport-Kommentatoren kriegen sich, sobald das Ereignis auf den Höhepunkt | |
zusteuert, gar nicht mehr ein. Aber große Sportdramen brauchen nun mal | |
Marktschreier. Also werden die spektakulären Geschichten, die Kerber und | |
die deutschen Handballer geschrieben haben, mit Lautsprecherstimme unters | |
Volk gebracht. Das hat mit Journalismus nicht mehr viel zu tun, aber kann | |
man das den Öffentlich-Rechtlichen und den anderen TV-Anstalten vorwerfen? | |
Wohl kaum, denn sie haben die Rechte an den Sportmärchen teilweise teuer | |
erworben. | |
Dieses Produkt muss, mit allem, was man hat, beworben werden. Am besten | |
geht das natürlich, wenn man sympathische Sieger in den Quotenkampf | |
schicken kann. In so einem Fall läuft die Verkaufe des eigenen Produkts wie | |
geschmiert. Und manchmal kann das Soll sogar übererfüllt werden, mit einer | |
Sondersendung (“Super, Jungs!), dem Empfang der EM-Handballer gewidmet. Je | |
größer der Hai, desto mehr Putzerfische hängen an ihm. Die dritte Halbzeit | |
läuft. Auch das ist ganz großer Sport. | |
1 Feb 2016 | |
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## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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