# taz.de -- Essener SPD im Streit: Flüchtlinge frusten Genossen | |
> Wohin mit den Flüchtlingen? Die Frage spaltet die SPD in Essen. Die | |
> Parteichefin tritt zurück, eine Bürgerinitiative will keine weiteren | |
> Unterkünfte. | |
Bild: Die SPD Essen streitet um die Unterbringung von Flüchtlingen in Alteness… | |
ESSEN taz | Theo Jansen ist eigentlich ein Sozialdemokrat, wie er im Buche | |
steht. Der 66-jährige, gelernte Volkswirt ist seit Jahrzehnten an der Basis | |
aktiv, kämpft für die Aufwertung der ehemaligen Bergarbeitersiedlungen im | |
strukturschwachen Essener Norden. | |
Jetzt aber hat der Sprecher der SPD-Fraktion in der dortigen | |
Bezirksvertretung eine überparteiliche Bürgerinitiative gegründet – mit | |
einem Ziel, das man bisher nicht mit seiner Partei verband: weitere | |
Flüchtlingsheime im Norden der Stadt zu verhindern. | |
Die Initiative knüpft an die Forderungen der drei SPD-Ortsvereine in den | |
Stadtteilen Altenessen, Vogelheim und Karnap an. Deren Vorsitzende hatten | |
schon vor zwei Wochen für Schlagzeilen gesorgt, als sie unter dem Motto | |
„Genug ist genug – der Norden ist voll“ zu einer Demonstration gegen neue | |
Asylunterkünfte aufgerufen hatten. | |
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hatte die Ortsvereinsvorsitzenden | |
scharf zurückgepfiffen: „Protestaktionen, die die Willkommenskultur für | |
Flüchtlinge infrage stellen könnten, lehnen wir entschieden ab.“ Die Demo | |
wurde abgesagt. | |
## Essens Norden ist gebeutelt | |
„Der Slogan war falsch“, räumt Theo Jansen ein. Er habe nichts gegen | |
Flüchtlinge, doch er teile die Sorge vor einer Ghettoisierung. Sein | |
Genosse, SPD-Ratsherr Guido Reil aus Essen-Karnap, fand bereits Anfang des | |
Jahres im Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung deutliche | |
Worte: „Wir schaffen das nicht. Bislang ist es uns nicht gelungen, Menschen | |
aus dem arabischen Kulturkreis zu integrieren.“ | |
Essen ist eine der am stärksten verschuldeten Städte Deutschlands. Die | |
Schließung von Zechen und der Niedergang der Stahlindustrie machen der | |
Ruhrgebietsstadt schwer zu schaffen. Vierzig Prozent der Einwohner im | |
Norden der Stadt sind Migranten, mehr als ein Drittel leben von Hartz IV. | |
Die Arbeitslosenquote ist dort mehr als doppelt so hoch als der landesweite | |
Durchschnitt. | |
Essen muss in diesem Jahr rund 8.000 Flüchtlinge aufnehmen. Geplant sind | |
für den Norden drei neue Unterkünfte für 2.400 Menschen. Damit gäbe es dort | |
insgesamt sechs Einrichtungen, darunter zwei Zeltstädte, alles zusammen | |
wären das dann 7.000 Flüchtlinge. | |
Besonders umstritten: Die Stadt will ein Prestigeprojekt im Essener Norden | |
zugunsten der Flüchtlinge kippen. Unter dem Namen „Marina Essen“ war ein | |
neues Hafenquartier geplant, es versprach Hunderte neue Arbeitsplätze, | |
hochwertige Wohnungen am Wasser, sogar Jacht-Anlegestellen. Auf diesem | |
Grundstück sollen nun stattdessen neue Flüchtlingsheime gebaut werden. | |
Vergeblich hatte Essens SPD-Vorsitzende Britta Altenkamp versucht, die | |
innerparteilichen Risse zu kitten. Vergangenen Freitag trat sie zurück. Die | |
51-jährige Landtagsabgeordnete, die auch stellvertretende Landesvorsitzende | |
der NRW-SPD ist, begründet gegenüber der taz ihre Entscheidung mit | |
Zeitmangel und fehlendem Rückhalt. | |
## Essen könnte Wahlkampfdebakel werden | |
Manche Genossen hätten ihr etwa nicht verziehen, dass sie im vorigen Sommer | |
den damaligen Oberbürgermeister Reinhard Paß (SPD) als ungeeignet für eine | |
erneute Kandidatur bezeichnet hatte. Der CDU-Mann Thomas Kufen wurde | |
schließlich Chef im Essener Rathaus. | |
Es kriselt also seit Längerem bei den Essener Sozis, die seit 2014 in einer | |
Großen Koalition mit den Christdemokraten regieren. Für Altenkamp ist die | |
Diskussion über die Verteilung der Flüchtlinge kein Einzelfall: „In vielen | |
Unterbezirken des Ruhrgebiets herrscht eine erhebliche Unruhe.“ | |
Die Landesparteispitze sucht nun das Gespräch, Generalsekretär André Stinka | |
war bereits vor Ort. Nur Hannelore Kraft ließ sich bislang nicht persönlich | |
blicken, obschon sich die Causa Essen zum Menetekel im Vorwahljahr | |
ausweiten könnte. | |
Die Zeiten, in denen drei Viertel der Bürger im Essener Norden die SPD | |
wählten, sind lange vorbei. Dennoch waren es noch immer mehr als vierzig | |
Prozent bei der vergangenen Kommunalwahl – im Süden hingegen nicht einmal | |
ein Viertel. Dort wird traditionell schwarz gewählt. SPD-Funktionär Theo | |
Jansen versteht daher seine Genossen nicht mehr: „Die holen sich die | |
Stimmen im Essener Norden, aber machen Politik für den Süden.“ | |
## 200 Unterstützer | |
Die Stadt hingegen weist den Vorwurf der ungerechten Verteilung von | |
Flüchtlingen von sich. Sozialdezernent Peter Renzel (CDU) bedauert die | |
Nord-Süd-Debatte, sie bringe die Stadt nicht weiter. Renzel zeigt aber | |
Verständnis für die verunsicherten Bürger im Norden, sie hätten sehr unter | |
dem rigiden Sparkurs der vergangenen Jahre gelitten. | |
So wurde etwa 2014 in Essen-Karnap das Bürgeramt wegen Überlastung | |
geschlossen. Jetzt werden dort 250 neue Verwaltungsstellen für die | |
Flüchtlinge geschaffen. Das sei schwer zu vermitteln, so Renzel: „Die | |
Menschen dort haben jahrelang noch nicht mal Schultoiletten saniert | |
bekommen.“ | |
Doch Essen habe vier Himmelsrichtungen, erklärt der Sozialdezernent und | |
hält andere Zahlen parat: Allein im Süden seien derzeit über dreißig | |
Prozent der Flüchtlinge untergebracht, im Norden seien es sogar ein paar | |
Prozent weniger. Noch. Werden die geplanten Unterkünfte umgesetzt – dann | |
sehe es bald anders aus, so die Befürchtung von Theo Jansen. | |
Der SPD-Funktionär hält wenig von den Zahlen der Stadtverwaltung. Er fragt | |
sich vielmehr, wie die Flüchtlinge die Sprache lernen sollen, wenn ihr | |
Wohnumfeld schlecht oder gar kein Deutsch spricht. Schon 200 Unterstützer | |
zählt Jansens überparteiliche Initiative, Anhänger der AfD sollen nicht | |
darunter sein. | |
In knapp zwei Wochen lädt die Initiative zur Bürgerversammlung ein. Ihr | |
Credo: „Auch der Norden hat ein Anrecht auf Zukunft“. Essens | |
Oberbürgermeister Kufen hat sich angekündigt. Zwei Tage später soll der | |
Stadtrat über die umstrittenen Asylstandorte entscheiden. | |
9 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Claudia Hennen | |
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