# taz.de -- „Immisitzung“ beim Kölner Karneval: Türkinnen, Spanier, sogar… | |
> „Jede Jeck is von woanders“, heißt das Motto der Kölner Immisitzung. Hi… | |
> stehen Zugezogene auf der Bühne und führen Vorurteile intelligent vor. | |
Bild: „Die Lage ist ernst, also lachen wir“: Das Boot ist voll bei der Immi… | |
Köln taz | Das Boot ist bereits zu Beginn voll. Dutzende von hoch erhobenen | |
Händen befördern es ins Rampenlicht. „Wo sind wir hier?“, fragt einer aus | |
dem Boot. „In Sicherheit – in Köln“, lautet die Antwort. | |
Die Flüchtlinge im Schlauchboot wackeln ungläubig mit ihren Puppenköpfen, | |
die Darsteller auf der Bühne machen gute Miene, und das bürgerliche | |
Publikum im Bürgerhaus Stollwerck in der Kölner Südstadt lacht im | |
ausverkauften Rund. Denn „die Lage“, so die Mimin Myriam Chebabi, „die La… | |
ist ernst, also lachen wir“. Dazu intonieren alle zusammen im ehemaligen | |
preußischen Proviantmagazin das Sitzungsmotto „Jede Jeck is von woanders“. | |
Man kann das peinlich finden, man muss es aber nicht, zumal in dieser | |
Nummernrevue ordentlich geschauspielert wird. Etwa wenn die | |
„Schönheitschirurgen ohne Grenzen“ aufzeigen, was mit den aufgelassenen | |
Schlauchbooten der Flüchtlinge passiert (werden zu Schlauchlippen | |
umfunktioniert) oder wenn sich eine gestandene Türkin der | |
Überfürsorglichkeit einer treudeutschen Sozialarbeiterin erwehrt. Dialog in | |
etwa: „Sie kommen ja bestimmt aus einer vielköpfigen Familie!“ – „Nein… | |
bin Einzelkind.“ – „Na, dann sind sie sicher einsam!“ | |
Auch der schwule Übersetzer bei einer Pressekonferenz des russischen | |
Ministerpräsidenten Medwedew überzeugt, vor allem beim Intonieren von „Eye | |
of the Taiga“. Drei Stunden geht das Programm und man bleibt, unverkleidet | |
beobachtend, weil kein Kostümzwang, weitgehend munter. Trotz Kölsch. | |
Überhaupt tut man sich zur Karnevalszeit leichter, wenn man einfach mal | |
nichts peinlich findet. Denn muss es nicht auch „nach Köln“ heißen könne… | |
egal ob Frau, Mann oder selbstgewähltes Geschlecht: Augen auf und durch? | |
Und dabei, Armlänge Abstand hin oder her, bloß nicht fremdeln? | |
## Die Immisitzung als Erholung | |
Dass man dann als Zugereiste an diesen „tollen Tagen“ doch fremdelt, hat | |
damit zu tun, dass, einmal drin im kreischenden Karneval die gedankliche | |
Distanz gen null geht. Genau jene Distanz braucht es aber, damit einem im | |
Leben nichts fremd ist. Außerhalb der jecken Zeit ist es ein angenehmer | |
Nebeneffekt, mit dieser Geisteshaltung nie irgendwo richtig dazuzugehören. | |
Karneval jedoch ist eventöser Nahkampf – auch wenn dieses Jahr die Kölner | |
Kostümierten fast keine Waffen tragen, manch einer von ihnen aber einen | |
Sprengstoffgürtel gefüllt mit Pfanddosen, andere auch schon mal ein | |
quiekendes Plüschschwein, das sie grölend „Drecksschwein“ rufen. Es hat | |
eben so jeder und jede sein Päckchen zu tragen. | |
Die Immisitzung bietet Erholung von der Straßenmeute. Myriam Chebabi, | |
genannt Mymmi und gebürtige Brasilianerin, ist die | |
grünfunkelnd-körperbetont gekleidete Conférencière dieses etablierten | |
Karnevalstermins, gedacht als Kontrastprogramm, als Alternative zum | |
klassischen „Alaaf“-Gedöns und als feine Kostümschlacht. Im siebten Jahr … | |
Folge und allein 23 Mal in dieser „Session“ – so heißt die Karnevalszeit… | |
dem 11. 11. – spielen die „Immis“. | |
Immis werden in Köln ausnahmslos alle genannt, die nicht innerhalb der | |
Stadtgrenzen wohnen und ganz besonders Düsseldorfer. Intra muros leben | |
natürlich auch nicht nur von Geburt an kölnische Kölner und Kölnerinnen, | |
nein, einige kommen sagenhafterweise aus Düsseldorf, ja aus Aachen gar, | |
manche sehen nordafrikanisch aus und lieben Kölsch, es gibt Italiener und | |
Türkinnen, Spanier und US-Passinhaberinnen, und jetzt noch die ganzen | |
Flüchtlinge. Wenn das nicht immi ist. Statt dem ollen Karnevalsruf „Seid | |
ihr gut drauf?“ schallt es auf der Immisitzung deshalb: „Seid ihr wirklich | |
tolerant?“ – „Ja, ja!“, johlt der Saal. | |
Zum Themenkreis „Hbf“ kommt vom weiblichen Teil der Bühne nur ein kurzes, | |
knappes Statement: „Mir sind kölsche Mädchen. Mir lassen net dran fummele, | |
Mir lassen niemand rein. Das ist es. Und jetzt geht’s weiter …„ | |
Im Netz klingt der Waschzettel der Immisitzung derweil arg bemüht: „Das | |
Multi-Kulti-Leben hierzulande bringt Spannungen und Konflikte ebenso wie | |
lustige und aberwitzige Situationen mit sich. Das Programm geht […] dem | |
gesellschaftlichen Treiben und dem Kölner Karneval aus Sicht der | |
Zugezogenen auf den Grund.“ Auf der Bühne geht es dann Gott, Allah, Jahwe | |
oder egal wem sei Dank, oft recht komisch zu. Ein fast 20-köpfiger Trupp | |
von nach Köln Zugezogenen aus aller Damen und Herren Länder schafft es mit | |
Kabarett und viel Musik, Vorurteile und was sonst noch so an Überkommenem | |
zum Thema „Wir und die anderen“ vorhanden ist, intelligent vorzuführen. | |
Alle Darbietungen schreibt das Team selbst. Myriam Chebabi , 47, die sich | |
nach 21 Jahren in Köln „weder brasilianisch noch deutsch noch sonst was | |
fühlt“, sondern einfach „neugierig, leicht übergewichtig und lustig“, | |
beschreibt das Wesen der Immisitzungen später im Interview als „Klischees | |
gleichzeitig brechen und erfüllen“. Und im Übrigen könne sie das Wort | |
„Flüchtling“ nicht ausstehen, sie denke dabei immer an „Frischlinge, | |
Fruchtzwerge oder gleich die Ausgebürgerte Puppenkiste.“ Treffer. | |
## Die 74-Jährige „kölsche Flüchtlingin“ | |
„Wie wär’s“, fragt die Komödiantin, „mit ‚Mensch’ oder noch besse… | |
‚Jeck‘?“ Am Immisitzungsabend, der hauptsächlich von mittelaltem, deutsch | |
aussehendem Publikum besucht wird (Achtung – der zweite Teil der Aussage | |
ist nicht pc!), fehlt hin und wieder die Zündung beim Feuerwerk der auf die | |
Spitze getriebenen Klischees. Doch, bitte: Es ist Karneval. Und man selbst | |
ist immer noch am fremdeln. | |
Dankbar greift man deshalb die Anregung von „Frau Stöbener“ auf der | |
Damentoilette auf, die für den morgigen Nachmittag Karneval bei Kaufhof an | |
der Hohe Straße empfiehlt. Frau Stöbener ist 74 und lebt als „kölsche | |
Flüchtlingin seit 13 Jahren in Marbella“, feiert aber jede | |
Karnevals-Session mit ihren alten Schulfreundinnen und vielen „Bützchen“, | |
lies Küsschen“ Die Immisitzung findet die ehemalige Tierpflegerin „1 a, da | |
wird endlich mal richtig auf den Putz gehauen“. | |
Die wuchtigen Mettwürste am nächsten Tag bei Kaufhof kosten nur zwei Euro | |
das Stück inklusive Brötchen und auf keinem Fall Düsseldorfer Löwensenf. Im | |
Atrium des Kaufhauses tobt die jecke Veranstaltung, drumherum geht der | |
Verkauf weiter, die Rolltreppen surren und von dort hat man den besten | |
Blick auf Alleinunterhalter Linus, der gerade einen „relativ überschaubaren | |
Text zum Mitsingen“ preist und dann spielt die Band und alle schunkeln und | |
singen „Lalala, lala, lalala“, ob mit Einkaufstüte oder im Ringelhemd. Das | |
Kölschgläschen stellt man derweil auf einem Kosmetikdekotisch ab. | |
## „Heidewitzka, Herr Kapitän“ | |
Alles im Normbereich, keine sichtbaren Polizeikontrollen, anscheinend nur | |
kostümierte Zivilbullen unter den mehr als sicherlich 500 sich selbst und | |
die Stadt Feiernden. Wie fast überall im Karneval wird auch hier nur | |
kölsches Liedgut zum Besten gegeben. Für Immis erschließt es sich meist nur | |
in Textbrocken. Einer der Brocken hört auf „Menschen wie wir“, ein anderer | |
auf „Heidewitzka, Herr Kapitän“. | |
Da fällt einem die Gebärdensprache-Nummer der Immisitzung ein. Die | |
Schauspieler hatten in Gebärdensprache Karnevalslieder mitgeteilt. Weder | |
verstand man die Gebärden, noch auch nur mehr als höchstens zwei Worte von | |
dem, was anschließend gemeinsam gesungen wurde. | |
Heidewitzka aber auch! Fremd ist man eingezogen nach Köln, fremd zieht man | |
wieder aus. Im ICE heim nach Berlin behält man dann die bei Kaufhof | |
erworbene Narrrenkappe dennoch trotzig auf. Bis zum Schluss. | |
8 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Harriet Wolff | |
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