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# taz.de -- Städtepartnerschaft mit Stettin: Mal den Nachbarn kennenlernen
> Seit 20 Jahren tauschen sich die Städtepartner Kreuzberg und Stettin aus.
> Dabei geht es weniger um offizielle Anlässe, sondern um gegenseitiges
> Kennenlernen.
Bild: Berlin so nah: Stettin, hier von der Oder aus gesehen
Ewa Maria Slaska steht am Bahnsteig, sie wartet auf einen Nachzügler. Kurz
vor Abfahrt des Zuges kommt er. Slaska ist erleichtert, weil der Nachzügler
das Gruppenticket bei sich hat. Auf Gleis 7 wartet bereits der
Regionalexpress mit Fahrziel Szczecin Główny. Slaska und ihre Gruppe
steigen ein. Dem Arbeitstreffen der Städtepartnerschaft
Kreuzberg-Friedrichshain mit Stettin steht nichts mehr im Weg.
Zwanzig Jahre ist es inzwischen her, dass ein paar Kreuzbergerinnen und
Kreuzberger damit begonnen haben, das Thema „Städtepartnerschaft“ neu zu
definieren. Weniger bei offiziellen oder politischen Anlässen wollte man
sich treffen, sondern neue Kontakte knüpfen und sich im Alltag
kennenlernen. Eine Städtepartnerschaft von unten. Weil der Mauerfall noch
nicht lange her war, fiel die Wahl auf Stettin, sagt Folker Schmidt,
pensionierter Lehrer, während der Bahnfahrt. „Es gab welche, die wollten
eine Partnerschaft mit Breslau, aber die Wahl fiel auf Stettin, wohl auch,
weil es einfach näher liegt.“ Das Naheliegende war also erfolgreich.
Stettin mit seinen 400.000 Einwohnern ist die nächstgelegene Großstadt
Berlins.
Ewa Maria Slaska ist seit 2015 Vorsitzende des Partnerschaftsvereins und
hat der Kreuzberg-Stettin-Connection neues Leben eingehaucht. „Viele
Berliner wissen immer noch wenig über Stettin“, sagt sie. Abhilfe solle
eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Stettin für Berliner“ in der
Kreuzberger Regenbogenfabrik schaffen. Ein Dozent der Viadrina berichtete
von der Stettiner Nachkriegsgeschichte, ein Stettiner Autor von deutschen
Friedhöfen im polnischen Szczecin. „Wir brauchen mehr persönliche
Kontakte“, sagt Slaska. „Und wir müssen mehr übereinander wissen.“
Die in Danzig geborene Schriftstellerin war 1985 nach Westberlin geflohen
und ist mit den Jahrzehnten eine Brückenbauerin geworden. Auch beim
aktuellen Flüchtlingsthema will Slaska aufklären. Auf der Internetseite der
Städtepartnerschaft findet sich auch der Hinweis auf einen
polnischsprachigen Flyer der Landeszentrale für politische Bildung in
Schwerin, auf dem den polnischen Bewohnern in Vorpommern und der Uckermark
erklärt wird, warum in Deutschland so viele Flüchtlinge aufgenommen werden.
9.50 Uhr. Pünktlich fährt der Regionalexpress in den Stettiner
Hauptbahnhof. Auf dem Bahnsteig wartet Zbigniew Zaucha. Zaucha ist der
Vorsitzende des Siedlungsrates von Turzyn, einem Gründerzeitstadtteil
Stettins westlich der Innenstadt. Die Selbstverwaltungsgremien der
Stettiner Stadtteile sind die Partner des Friedrichshain-Kreuzberger
Vereins. „Stettin hat sich sehr verändert, vieles wurde renoviert“, sagt
Zaucha und fährt die Besucher zum Sektor 3, einem NGO-Zentrum in der Aleja
Wojska Polskiego 63. Dort wartet bereits Anna Graczyk mit dem Frühstück.
Der Sektor 3 befindet sich in einem Altbau, wie er auch in Kreuzberg stehen
könnte. Fünf Stockwerke hoch, im Hof eine Remise, zur Straße hin der Blick
auf andere Gründerzeitbauten. Nicht nur in Berlin, sondern auch in Stettin
hat der Stadtplaner James Hobrecht den Weg für eine dicht bebaute
Mietskasernenstadt geebnet. Wer zum ersten Mal nach Kreuzberg oder Stettin
und umgekehrt fährt, fühlt sich nicht fremd. „Dennoch haben wir ganz andere
Erfahrungen“, sagt Anna Graczyk, als sie vor den Kreuzberger und Stettiner
Städtepartnern ihre Arbeit vorstellt. Eine davon ist das Stadtbild. In
Stettin ist es homogen, in Kreuzberg gibt es die viel gerühmte bunte
Mischung.
Anna Graczyk ist eine der jungen Aktivistinnen, die für das moderne,
weltoffene Stettin stehen. Als Vorsitzende des Vereins Polites organisiert
sie Trainingsprogramme mit Jugendlichen für Freiwilligenarbeit,
thematisiert den Beitrag von Frauen bei der Solidarność und in der
DDR-Opposition, engagiert sich für Multikulti. „Demokratie ist etwas, das
wir im Alltag leben müssen“, sagt Anna Graczyk bei ihrer Präsentation im
Sektor 3 und weiß doch, wie schwierig das ist. „Gerade zwischen Deutschen
und Polen gibt es immer noch verschiedene Erzählungen der Vergangenheit“,
sagt sie. Im Städtepartnerschaftsprogramm 2016 will sie deshalb einen Film
zeigen, der von einer alten Polin handelt, die nach 1945 in das Haus einer
ehemaligen deutschen Stettinerin gezogen ist. „Verflechtungsgeschichte“
nennt Graczyk dieses Konzept.
Bevor es mit dem Zug wieder zurück nach Berlin geht, werden weitere
Programmpunkte besprochen. Zwei Besuche jährlich organisieren die Stettiner
für die Kreuzberger und umgekehrt. Da darf natürlich auch das Sightseeing
nicht zu kurz kommen. Unter anderem ist ein Besuch auf dem
St.-Matthäus-Friedhof geplant. Der liegt zwar in Schöneberg, aber
beherbergt unter anderem die Gräber von Rio Reiser und Xafer Scharwenka,
eines Komponisten polnisch-tschechischer Herkunft. „Da können wir dann
spontan ein Konzert veranstalten“, lacht Slaska. Kreuzberg und Stettin, das
ist ein Stück gelebte Nachbarschaft. In Zeiten wie diesen ist das nicht
wenig.
8 Feb 2016
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Städte
Friedrichshain-Kreuzberg
Istanbul
Kino Polen
Polen
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