# taz.de -- Großdemo für Berliner Hausprojekt: Cheerleader mit Müllsäcken | |
> Etwa 5.000 Menschen demonstrierten am Samstag in Berlin für die Rigaer94 | |
> und gegen Polizeikontrollen im Kiez. Auch 1.200 Polizisten waren da. | |
Bild: „Ein Kilometer Anarchie“: Transparent bei der Solidemo. | |
BERLIN taz | „Mal gucken, wie weit sie es schaffen“, sagt ein Anwohner | |
skeptisch-belustigt, als die Demo schnellen Schrittes mit dem halb | |
vermummtem Frontblock loszieht. Deutlich mehr als die ursprünglich 200 | |
angemeldeten Teilnehmer sind am Samstag zur Demo für die Rigaer 94 und | |
gegen die Polizeikontrollen in der Rigaer Straße gekommen. | |
„Rebellische Strukturen verteidigen, solidarische Kieze schaffen“, fordert | |
das Fronttransparent, inklusive Anarchie A. Dem Aufruf der Veranstalter, | |
keine Parteifahnen mitzuführen, wird Folge geleistet, Berliner Hausprojekte | |
aber halten Transparente in die Höhe. Für sie ist die Demonstration Auftakt | |
zur nächsten Runde im Berliner Häuserkampf, weil in den nächsten Monaten | |
gleich mehrere Projekte wie etwa der Kiezladen in der Friedelstraße in | |
Neukölln räumungsbedroht sind. | |
Sie wollen eine breite Solidarisierung der Anwohner erreichen und setzen | |
deswegen auf ironischen Agit-Prop: Vermummte Bewohner der Wagenburg in der | |
Gürtelstraße schwenken zum Demoauftakt Müllsäcke in Cheerleader-Manier zu | |
Bollywood-Musik. Eine Anspielung an die erneute Durchsuchung der Rigaer94 | |
am 17. Januar wegen einer vermeintlichen Müllbeutelattacke. | |
Der Demoaufruf distanziert sich zwar von „Verbalradikalität“, doch andere | |
mobilisieren genau damit: „Henkel klatschen“ ,fordert ein Plakat, und in | |
einem Video erklären Sprayer: All cops are targets. Doch die folgen dem | |
Aufruf zur Deeskalation der Bezirksverordnetenversammlung | |
Friedrichshain-Kreuzberg von Ende Januar. Mit 1.200 Einsatzkräften ist die | |
Polizei vertreten und hält auf der ersten Hälfte der Demo im | |
Friedrichshainer Südkiez Abstand, obwohl immer wieder Böller fliegen. | |
Im Vorfeld hatten autonome Strategen im Internet geschrieben: „Sie besetzen | |
den Nordkiez, doch sie können nicht überall sein.“ Mutmaßliche militante | |
Autonome handeln in der Nacht vor der Demo danach: In der Flottwellstraße | |
werden vier Autos angezündet, Scheiben von Neubauten und Geschäften werden | |
beschädigt, die Täter flüchten unerkannt. | |
## Das Tempo bleibt hoch | |
Die Hausprojekte in der Rigaer Straße aber haben in den letzten Tagen daran | |
gearbeitet, die soziale Basis ihres Protests zu erweitern, sie wollen den | |
„Kiez einen“. Etwa 100 Anwohner, laut einem Teilnehmer „zur Hälfte Szene, | |
zur Hälfte nicht“, kamen vergangenen Dienstag zu einer Anwohnerversammlung | |
in die Galiläakirche, Eltern einer Kita schrieben einen Protestbrief gegen | |
die Polizeikontrollen. | |
Auf der Frankfurter Allee wird die Demospitze ins Spalier genommen, in der | |
Samariterstraße folgt ein kurzer Schlagstockeinsatz. „Ab hier beginnt ‚1 | |
Kilometer Anarchie‘“, schallt es kurz danach triumphierend vom | |
Lautsprecherwagen, als die Demo unter Jubel in die Rigaer Straße einbiegt. | |
Auch in Transparentform ziert die BZ-Schlagzeile das Hausprojekt in der | |
Nummer 78. Das Tempo bleibt hoch, die geplanten Zwischenkundgebungen auf | |
der Strecke finden nicht statt, man will der Polizei keine Angriffsfläche | |
bieten. | |
Weiter hinten laufen Altpunker und Friedrichshainer Alternative, immer | |
wieder schließen sich weitere Anwohner an. Geschätzte 5.000 Menschen sind | |
es schließlich am Bersarinplatz. An der Ecke Grünberger Straße Warschauer | |
Straße brechen 200 Militante aus dem Demozug aus und attackieren einen | |
Polizeiwagen, ansonsten bleibt es weitgehend friedlich. | |
## Nicht in die „Bullenfalle“ tappen | |
An der Bushaltestelle Pillauer Straße hat sich währenddessen um 19 Uhr | |
Hans-Georg Lindenau, Besitzer des räumungsbedrohten Kreuzberger Ladens für | |
Revolutionsbedarf, in seinem Rollstuhl scheinbar strategisch gut | |
positioniert. „Ich habe abgekürzt“, sagt er und lacht. Doch wartet Lindenau | |
vergeblich nahe dem offiziellen Endpunkt der Demo, wo die Polizei | |
Seitenstraßen mit Gittern abgesperrt hat. Der Veranstalter kommt dieser | |
Polizeimaßnahme zuvor und löst die Demo an der Ecke Warschauer Straße | |
Revaler Straße auf. Man wolle „nicht in eine Bullenfalle tappen“, so die | |
Begründung. | |
36 Ingewahrsamnahmen unter anderem wegen Vermummung und Sachbeschädigung | |
meldet die Polizei, die in der Nacht auf Sonntag starke Präsenz in | |
Friedrichshain zeigt. Etwa 100 Vermummte randalieren Samstagnacht | |
stattdessen in Neukölln, ein dabei angegriffener Polizeiwagen muss | |
anschließend wegen erlittener „Beschädigungen“ ausgetauscht werden, so die | |
Polizei. | |
7 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Moritz Wichmann | |
## TAGS | |
Rigaer Straße | |
Berlin | |
Hausprojekt | |
Frank Henkel | |
Rigaer Straße | |
Rigaer Straße | |
Berliner Szenen | |
Linke | |
Rigaer Straße | |
Linke Szene | |
Rigaer Straße | |
Rigaer Straße | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Polizeieinsatz in der Rigaer Straße: Vorgeschmack auf die neue Kiezkultur | |
Die Polizei mischt mal wieder den Friedrichshainer Nordkiez auf. Mit einem | |
Großaufgebot „unterstützt“ sie Räumungsarbeiten eines Hausbesitzers. | |
Polizeieinsatz in der Rigaer Straße: Linke Szenekneipe geräumt | |
Mit einem Großaufgebot „unterstützt“ die Berliner Polizei die | |
Hausverwaltung der Rigaer Straße 94. Auch die Kadterschmiede wird geräumt. | |
Berliner Szenen: Böll beim Zahnarzt | |
Wenn beim Freitagstermin fiktive Figuren echt werden: In den schicken | |
Praxen in Mitte ist alles möglich. | |
Demo in Berlin für die „Rigaer Straße“: ARD-Journalistin auf Demo beraubt | |
Am Rande der „Freiräume“-Demo linker und autonomer Gruppen im Stadtteil | |
Friedrichshain wurde einer Journalistin das Mikrofon entrissen. | |
Soli-Demo für Rigaer Straße: Rund 1.100 Polizisten gehen mit | |
Bei der Demo gegen Polizeiwillkür und für die Hausbesetzerszene der Rigaer | |
Straße in Berlin sind 1.800 Menschen. Rund 1.100 Polizisten „begleiten“ | |
sie. | |
Das war die Woche in Berlin I: Gewaltiges Grollen der Szene | |
Die linke Szene verübt Farbanschläge auf SPD-Büros. Ein Vorgeplänkel für | |
die Demo für ein Hausprojekt an diesem Samstag? | |
Das war die Woche in Berlin II: Die Polizei braucht die Rigaer Straße | |
Nach dem Polizeieinsatz wird das Hausprojekt Rigaer Straße 94 zum Symbol | |
linksradikaler Politik. Doch das ist zuviel der Ehre. | |
Besuch im Hausprojekt Rigaer 94 in Berlin: „Ein politisches Haus“ | |
Während die Polizei „rechtsfreie Räume“ vermutet, sprechen die Linken von | |
Repression. Die Nachbarschaft zeigt Solidarität. |