| # taz.de -- Berliner Szenen: Böll beim Zahnarzt | |
| > Wenn beim Freitagstermin fiktive Figuren echt werden: In den schicken | |
| > Praxen in Mitte ist alles möglich. | |
| Bild: Links der Zahnarzt (Mario Adorf), rechts die „echte“ Katharina Blum (… | |
| Freitagnachmittag, ein ungünstiger Termin, um Schmerzen zu haben. Aber | |
| bevor sie stärker zu werden drohten, saß ich in dem schicken Wartebereich | |
| der schicken Zahnarztpraxis in Mitte, die mir meine damalige Chefin | |
| empfohlen hatte. Der Zahnarzt hatte seine kleine Tochter auf dem Arm und | |
| überblickte müde das elende Häuflein Patienten, die sich trauten, um diese | |
| Uhrzeit auf eine Spontanbehandlung zu warten. | |
| Mir gegenüber saß eine vielleicht siebzehnjährige Schülerin in Begleitung | |
| ihrer Mutter, die besorgt aussah, während ihre Tochter ihre Fähigkeiten im | |
| Multitasking demonstrierte: Sie switchte problemlos zwischen | |
| Whatsapp-Nachrichten und dem Gespräch mit ihrer Mutter hin und her. Zwei | |
| Frauen aus zwei Generationen, gut gekleidet, habituell dem Alter gemäß | |
| unterschiedlich, aber doch von derselben Klasse. Ich fühlte meinem Schmerz | |
| nach, der hinsichtlich der Drohung einer zahnärztlichen Behandlung dabei | |
| war, milde abzuklingen, und sah von meinem Mickymaus-Heft auf, als die | |
| Tochter aufgerufen wurde. Ich hatte ja keine Ahnung! Ich hatte einer | |
| Böll’schen Romanfigur gegenüber gesessen! Ich warf der Mutter einen | |
| erstaunten Blick zu: War der Name Absicht? | |
| Aber bevor es zur Klärung kommen konnte, wurde ich selbst aufgerufen. Der | |
| Zahnarzt hatte natürlich keine rechte Lust, mich zu behandeln, das | |
| Wochenende stand vor der Tür, und die Familie saß bereits in den | |
| Startlöchern. Also schickte er mich zum Röntgen, schlug daraufhin das | |
| Einsetzen eines überteuerten Implantats vor, stellte ein Rezept für ein | |
| Antibiotikum aus und schickte mich nach Hause. | |
| Katharina Blum wurde in einem anderen Behandlungsraum behandelt. | |
| Die Antibiotika brauchte ich gar nicht, denn der Schmerz war bereits | |
| verschwunden. Er tauchte auch nicht noch mal auf. | |
| 21 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| René Hamann | |
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