# taz.de -- Berliner Szenen: Wertiges Kamelhaar | |
> Shoppen in Charlottenburg: Es zieht mich körperlich hin zu allem, auf | |
> oder unter dem man schlafen könnte. Den Rest brauche ich nicht. | |
Bild: Windowshopping, ok. Aber wer braucht schon immerzu neue Fenster? | |
Dieser Laden, nennen wir ihn „M.“, und es ist nicht McDonald’s, übt eine | |
perverse Faszination auf mich aus. Auf meinem Klo liegen die M.-Kataloge | |
zum Entspannen. Ich gucke sie an und freue mich über den ganzen Krempel, | |
den ich nicht brauche. Das ist mein Zen. | |
Es ist aber eine tricky Form von Zen, denn es sind auch schöne Sachen | |
dabei, keine Frage. Teekannen und freistehende Kupferbadewannen. Das | |
Einzige, was ich wirklich gern hätte, wäre eine dieser bauhausmäßigen | |
Wolldecken, aber das hat mit meiner unendlichen Müdigkeit zu tun. Es zieht | |
mich körperlich hin zu allem, auf oder unter dem man schlafen könnte. Den | |
Rest brauche ich nicht. | |
Wo ich nun aber schon mal in Charlottenburg bin, kann ich da auch hingehen. | |
C. sagt, ihr Mann war mal bei M., um ein „wertiges Beil“ zu kaufen, und hat | |
da Merkel beim Klamottenshoppen getroffen. Wie aufregend! Wen werde ich | |
treffen? | |
Aber die Frage erübrigt sich, ich kann mir nämlich keine Gesichter merken. | |
Merkel würde ich hinkriegen, aber da hört es sozusagen auch schon auf. Ich | |
betrete den Laden und finde ihn fast ein bisschen klein. Unten sind Küchen- | |
und Schreibsachen und oben der Rest. Hier und da stehen Leute, die maximal | |
mit sich und einer Kamelhaarstrickjacke beschäftigt sind. Oder einem | |
Holzspielzeug oder mexikanischer Vanille. | |
Es ist eigentlich genau so, wie wenn man jemanden im Krankenhaus oder in | |
der Psychiatrie besucht: Alle haben mit sich selbst und ihren Krankheiten | |
zu tun, man geht sich vornehm aus dem Weg. Dazwischen Personal, das | |
aufpasst, aber im Großen und Ganzen die Bekloppten machen lässt. Ich kaufe | |
zwei Wassergläser und ein Geburtstagsgeschenk für meine Mutter (Hallo Mama! | |
Ich verrate nicht, was). Den Rest des Tages riecht meine rechte Hand nach | |
Lavendel (okay) und die linke nach reichen Menschen (uh), weil ich mir | |
irgendwelches Parfum da drauf gesprüht hab. Das ist die Strafe. | |
28 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Margarete Stokowski | |
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