# taz.de -- Debatte um Filmqualität: Kann Fernsehen Kino sein? | |
> Amphibienfilme: So heißen Filme, die fürs Kino und fürs Fernsehen | |
> produziert werden. Aktuelles Beispiel: "Buddenbrooks". Versaut das | |
> Fernsehen das Kino, wie Kritiker fürchten? | |
Bild: Frisst das amphibische Fernsehen das Kino auf? | |
Gernot Roll teilt Volker Schlöndorffs Meinung nicht. In der Süddeutschen | |
Zeitung warnte Regisseur Schlöndorff 2007 vor einer Gefährdung der | |
ästhetischen Autonomie des Kinos. "Für eine Trennung von Film und TV" hieß | |
sein Plädoyer, und die Kurzzusammenfassung lautete: Das Fernsehen versaue | |
das Kino, weil es zu viel reinquatsche. | |
Roll gehört zu den großen deutschen Kameraleuten. Er lebt von Kino und | |
Fernsehen gleichermaßen; soeben hat er die Kino- und die Fernsehfassung der | |
"Buddenbrooks" in Bilder gegossen, vorher den Kinofilm "Nirgendwo in | |
Afrika" oder den Fernsehfilm "Das Mädchen Rosemarie". Und sein Beitrag zur | |
Debatte über die Trennung von Kino und Fernsehen lautet: Es gebe nichts zu | |
trennen. "Hier wie da geht es um das Erzählen von Geschichten mit Bildern", | |
sagt er. "Aus meiner Arbeit heraus kann ich sagen: Es gibt keinen | |
Unterschied." | |
Auch "Buddenbrooks"-Regisseur Heinrich Breloer hat sich gegen eine | |
"medientheoretische Debatte" ausgesprochen, in der Kino und Fernsehen | |
gegeneinander ausgespielt würden. Die Grenzen seien fließend, sagte er dem | |
Evangelischen Pressedienst. Und er liebe beides. | |
Nur - ganz so einfach ist es dann doch nicht. Es geht schließlich auch um | |
Geld und Einfluss. Und da hört wie allgemein bekannt die Liebe auf. | |
Wenn am 25. Dezember "Die Buddenbrooks" im Kino anläuft, ist der Einfluss | |
des Fernsehens auf das Kino wieder einmal erwiesen. Die Frage ist nur: Wie | |
schlecht oder gut ist er? Ohne die Öffentlich-Rechtlichen - in diesem Fall | |
sind etwa WDR, BR, NDR, SWR und Arte Koproduzenten - würde es diesen Film | |
so nicht geben, und alle anderen sogenannten Amphibienfilme auch nicht. | |
Günter Rohrbach prägte den Begriff "Amphibienfilm" in den 70ern, als er | |
Fernsehspielchef des WDR war und, stellvertretend für den | |
öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den jungen deutschen Film und damit die | |
Arbeit von Regisseuren wie Schlöndorff oder Fassbinder mitfinanzierte. | |
500.000 Mark etwa steuerte der WDR 1975 zu Schlöndorffs "Die verlorene Ehre | |
der Katharina Blum" bei. Der Begriff "Amphibienfilm" sollte ausdrücken, | |
dass ein Film in beiden Medien die gleiche Berechtigung habe, so wie | |
Amphibien zu Lande und im Wasser leben. | |
Nur ist heute nicht mehr 1975. Wenn nun von Amphibienfilmen die Rede ist, | |
geht es um Kinofilme, von denen zusätzlich eine längere Fernsehfassung | |
angefertigt wird. Schon Wolfgang Petersens "Das Boot" (1980/81, von | |
Rohrbach produziert) existierte in einer Kinoversion wie als TV-Mehrteiler. | |
Mittlerweile hat das Modell Konjunktur: Von den Kinofilmen "Untergang", | |
"Anonyma", "Baader Meinhof Komplex", "Die Päpstin", "Die Buddenbrooks" und | |
dem gerade entstehenden "Henri Quatre" nach Heinrich Mann gibt es ebenfalls | |
längere Fernsehversionen. "Buddenbrooks" etwa dauert im Kino 150 Minuten, | |
im Fernsehen laufen später zweimal 90 Minuten. | |
Finanziert wurden diese exklusiven TV-Fassungen auch mit Mitteln aus den | |
Kinoförderungstöpfen. Wie "Staubsauger", schrieb Schlöndorff, leerten die | |
öffentlich-rechtlichen Sender zur Finanzierung eigener großer Projekte | |
diese Töpfe (die, was die Sache vertrackt macht, von den Sendern zuvor | |
mitgefüllt werden). Und er monierte, man sei bei Amphibienprojekten zum | |
Schludern gezwungen. Zwar erhöhe sich die Länge eines Films, Drehzeit und | |
Budget aber nicht. | |
Das nennt Kameramann Gernot Roll "Blödsinn: Fernsehen wird mit der gleichen | |
Akribie und der gleichen Hingabe gemacht wie Kino", sagt er. "Es ist ja | |
nicht so, dass die Teile, die exklusiv fürs Fernsehen entstehen, billiger | |
gemacht werden." Natürlich gebe es immer wieder Konflikte mit | |
Fernsehredakteuren, "die versuchen, sich auch inhaltlich einzubringen", | |
sagt Roll. "Aber das ist immer eine Frage der personellen Konstellation." | |
Gebhard Henke ist der Nachfolger von Günter Rohrbach als | |
WDR-Fernsehspielchef, der federführenden ARD-Anstalt bei der Produktion der | |
"Buddenbrooks", und auch er weist die Kritik zurück: "Wenn man dem | |
Fernsehen wirklich diesen negativen Einfluss unterstellt, muss man auch | |
fragen: Wie soll diese Beeinflussung eigentlich konkret vor sich gehen? Es | |
kommt ja niemand vom WDR an den Set und sagt: Hallöchen, jetzt macht mal | |
eine miese Einstellung, das ist fürs Fernsehen." Es sei, findet er, "naiv | |
zu sagen, das allmächtige Fernsehen darf sich nicht des Kinos bemächtigen. | |
Das Kino verändert sich ja ohnehin. Man spielt mit Material, mit | |
Videoästhetik, und vice versa hat sich auch die Ästhetik des Fernsehens | |
verändert." Er folgert: "Kino und Fernsehen verschwimmen. Das hat aber | |
nichts mit dem Modell des Amphibienfilms zu tun." | |
Warum es das Amphibienmodell überhaupt geben muss? Gebhard Henkes Sicht ist | |
die: Ein Film, der ohne die Leistung des WDR nicht zustande gekommen wäre, | |
komme ins Kino, dann würden DVDs verkauft, dann laufe der Film im | |
Bezahlfernsehen, dann bei Arte, und ganz am Ende im Ersten. "Wird uns das | |
am Ende der Kette wirklich gutgeschrieben? Nö", sagt Henke. Wogegen man - | |
wie immer, wenn es um die Öffentlich-Rechtlichen geht - einwenden kann, | |
dass sie eben immer noch Gebührengelder ausgeben. | |
Wie es zu einer Entkrampfung kommen soll? Vielleicht durch Zeit. Gebhard | |
Henke sagt: "Es handelt sich hier um einen ideologischen Grabenkampf der | |
Älteren, und ich glaube, er erledigt sich in 20 Jahren. Junge Regisseure | |
machen ganz selbstverständlich ihr Kinodebüt und anschließend einen | |
,Tatort'." Zur Aufweichung harter Positionen hat er schon einmal ein paar | |
warme Worte parat: " 'Ben Hur' kann man mit Erfolg im Fernsehen zeigen", | |
sagt er, "aber Sie können 'Lindenstraße' oder 'Schwarzwaldklinik' nicht im | |
Kino zeigen." Kino, sagt Henke, besitze eine "unique Wertigkeit". Klingt | |
wie von Schlöndorff. Ist von einem Mann des öffentlich-rechtlichen | |
Fernsehens. | |
22 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Klaus Raab | |
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Berliner Szenen | |
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