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# taz.de -- Zentralverband muss löschen: Diskriminierte Dachdecker
> Erneut hat in Bremen ein Handwerker erfolgreich gegen die Unterstellung
> geklagt, freie Dachdecker seien unseriös.
Bild: Einen Meister muss ein guter Reetdachdecker nicht haben.
BREMEN taz | Erneut hat ein freier Handwerker erfolgreich gegen die
Behauptung geklagt, reisende Dachdecker böten allesamt unseriöse
Haustürgeschäfte an. Am Donnerstag entschied das Landgericht Bremen, dass
der Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH) entsprechende
Behauptungen von seiner Homepage entfernen muss.
Auf Unterlassung geklagt hatte der freie Bremer Dachdecker Lutz Newiger,
weil der ZVDH in einer von der Verbandshomepage herunterzuladenden
„[1][Resolution für die Meisterpflicht]“ behauptet, „seriöse
Dachdeckerarbeiten können nicht durch umherziehende Gewerbetreibende
ausgeführt werden“. Unter der Überschrift „10 Gründe für die Meisterpfl…
im Dachdeckerhandwerk“ heißt es dort außerdem, dass die Meisterpflicht
Betrügereien verhindere und Schäden durch sogenannte „Dach-Haie“ in die
Millionen gingen. Zudem sei die Meisterarbeit ihren Preis wert, weil der
Meisterbetrieb für Beratung und Ausführung mit allen Konsequenzen die
Gewährleistung übernehme – was fälschlich suggeriert, freie Handwerker
täten dies nicht.
Reisende Gewerbetreibende, stellte jetzt das Landgericht klar, würden durch
solche Behauptungen als unseriös dargestellt. Die Unterstellungen fielen
dabei nicht unter die Meinungsfreiheit, da es sich hier um unwahre
Tatsachenbehauptungen ohne jeden Beleg handele. „Es ist gut möglich, die
Tätigkeit der Dach-Haie zu beschreiben, ohne andere herabzusetzen“, so der
Richter. Das muss der ZVDH nun tun – und Newiger bis zum 25. Februar einen
Umformulierungsvorschlag unterbreiten. Sollte der mit dem Vorschlag
unzufrieden sein, fällt das Landgericht am 10. März ein Urteil.
Jonas Kuckuk, freier Reetdachdecker und Vorstand des Berufsverbandes
unabhängiger Handwerkerinnen und Handwerker, zweifelt freilich daran, dass
der ZVDH das tun wird: „Wenn er das wollte, hätte er es kaum nötig, uns
pauschal herabzuwürdigen“, sagt er. Er verweist auf die Bremer
Dachdecker-Innung: Vor anderthalb Jahren war auch sie wegen ähnlicher
Behauptungen von freien Handwerkern verklagt worden. Die Innung wurde
verdonnert, entsprechende Passagen auf ihrer Homepage zu ändern: „Auch die
Aufforderung an Kunden, Aufträge nur an Innungsbetriebe zu vergeben, wurde
verboten,“ so Kuckuk. Die Innung änderte nichts, sondern löschte ihre
Behauptungen: „Es ist anzunehmen, dass der ZVDH das ebenfalls tun wird –
was aber auch völlig okay wäre“, sagt Kuckuk.
Natürlich, sagt er, gebe es auch schwarze Schafe unter den freien
Handwerkern, aber mindestens ebenso viele gebe es unter Angestellten von
Handwerksbetrieben: „Unter verurteilten Dach-Haien finden sich auch
Meisterbetriebe“, sagt Kuckuk. Die „Fremden“, vor denen Innungen und
Verbände so gern warnten, befänden sich ebenfalls überall: „Der Handwerker
eines Innungsbetriebs, mit dem Sie telefonieren, ist noch lange nicht
derjenige, der dann zu Ihnen nach Hause kommt.“
Kunden müssten immer die Möglichkeit bekommen, Kostenvergleiche aufstellen
zu können: „Werden sie überrumpelt, ist das unseriös – aber das gilt sow…
für freie Handwerker als auch für Betriebe“, sagt Kuckuk. Wer mit einer
Reisegewerbekarte tätig sei, arbeite aber im Normalfall mit denselben
Verbindlichkeiten wie Angebot, Auftragsbestätigung und Rechnung wie die
niedergelassenen Kollegen.
Dennoch hält sich das Gerücht über betrügerische freie Handwerker – auch
wenn Handwerkskammer und Innung schon seit 2007 gerichtlich verpflichtet
wurden, solche Behauptungen zu unterlassen. Selbst die Polizei warnt vor
„nicht bestellten Handwerkern.“ Zu denen, sagt Kuckuk, gehöre er aber auch:
„Auch wenn unser Thema branchenspezifisch ist: Solche Pauschalierungen sind
ein gutes Beispiel dafür, wie in Deutschland mit Minderheiten umgegegangen
wird.“
Die Ursache für die Diffamierung der freien Handwerker liegt für ihn im
gesellschaftlich verwurzelten „zünftischen Denken“ – und im
Obrigkeitsglauben: „Mitte Januar ist in der [2][Süddeutschen Zeitung ein
Artikel erschienen mit dem Titel ‚Vorsicht, Dachhaie‘] – dort wurde mit
keinem einzigen Wort die Seite der freien Handwerker dargestellt“, empört
sich Kuckuk. Die verantwortliche Redakteurin habe ihm auf Nachfrage gesagt:
„Die Behauptungen über freie Dachdecker müssen stimmen, denn das sagt ja
sogar die Polizei.“ Kuckuk hat jetzt im Namen seines Berufsverbandes
Beschwerde beim Presserat gegen den Artikel eingelegt: „Wir fühlen uns
massiv diskriminiert“, sagt er.
31 Jan 2016
## LINKS
[1] http://dachdecker.org/hp14119/Resolution-fuer-die-Meisterpflicht-im-Dachdec…
[2] http://www.sueddeutsche.de/geld/betrugsmasche-vorsicht-dachhaie-1.2817868
## AUTOREN
Simone Schnase
Laura Weigele
## TAGS
Handwerk
Bremen
Torte
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Schwerpunkt Nationalsozialismus
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