# taz.de -- Friseur-Discounter gegen kleine Geschäfte: Der Kampf um die Köpfe | |
> Hart Zeiten für Friseure: Vor allem kleine Salons sehen ihr Geschäft von | |
> Discountanbietern bedroht - wie der von Andrea Melte. Sie setzt auf | |
> persönlichen Service gegen Dumpingpreise. | |
Bild: Das Friseur-Handwerk ist zur Nobelware geworden - oder zur Billigdienstle… | |
Manchmal geht Andrea Melte auf die andere Seite. Zehn Meter sind es, raus | |
aus der Ladentür und einmal quer über die Straße. Wie ein Grenzstreifen | |
trennt sie die Welt von Andrea Melte von der ihrer Konkurrenten: hier der | |
kleine Laden mit den Fotos in der Auslage und den Fischchen-Aufklebern auf | |
der Scheibe, dort die grellen Lichter, die schicken Loungemöbel und | |
Haarschnitte, die nur die Hälfte von dem kosten, was Melte verlangt. | |
"Stehen bleiben tu ich eigentlich nie", sagt die 35-Jährige. Melte ist | |
nicht ihr richtiger Name, sie will anonym bleiben, die Konkurrenz da drüben | |
soll nicht zu viel wissen über sie. Dann zündet sie sich eine Zigarette an | |
und sagt: "Schauen tu ich aber schon, wer da so drin sitzt." Könnte ja | |
sein, dass es wieder einer ihrer Kunden ist. | |
1.400 Friseure gibt es in München, deutschlandweit sind es fast 80.000. Die | |
Branche boomt, Friseur ist immer noch einer der beliebtesten | |
Ausbildungsberufe bei Jugendlichen. Und allein in den letzten fünf Jahren | |
wurden in Deutschland fast 10.000 neue Salons eröffnet. Mit der Zahl der | |
Betriebe wachsen aber auch die Konkurrenz und der Preisdruck. In München | |
und anderen deutschen Großstädten kann man sich heute für 10 Euro die Haare | |
schneiden lassen - aber auch für 100. Das Handwerk ist zur Nobelware | |
geworden - oder zur Billigdienstleistung. Nach oben und nach unten sind die | |
Preisgrenzen noch offen, in der Mitte aber, zwischen Luxus und Discount, | |
wird es immer enger. | |
Andrea Meltes Salon liegt in Obergiesing, einem alten Arbeiterviertel im | |
Osten von München. Hier ist Bayerns Hauptstadt noch bodenständig, die | |
Schickeria und ihre Cafés sind weit weg, die Kneipen heißen wie Berggipfel | |
und man schimpft auf die Bonzen vom FC Bayern. Meltes Salon passt hier hin. | |
Kein schickes Studio, sondern ein ganz normaler Friseur für ganz normale | |
Frisuren. Melte selbst hat keine Strähnchen, keine Zöpfe, keinen | |
Schnickschnack, die halblangen braunen Haare fallen einfach auf ihr | |
T-Shirt. | |
Bessere Zeiten | |
Vor knapp 15 Jahren kam Melte von Würzburg nach München, sie hatte ihre | |
Ausbildung beendet und fand schnell eine Stelle in einem mittelgroßen | |
Friseurladen. Sieben Jahre später eröffnet sie ihren eigenen, heute sagt | |
sie: "Das würde ich jetzt nicht mehr machen." Es ist zehn Uhr morgens und | |
Melte bürstet gerade die letzten Haare aus dem Nacken eines Kunden. An den | |
Wänden hängen Bilder von fernen Ländern und von Tieren, dazwischen kleben | |
Fotos von Models mit extrem schicken Frisuren. "Die hat aber auch schon | |
bessere Zeiten gesehen", sagt der Kunde und deutet auf eine Topfpflanze | |
neben der Kasse, die ihre gelben Blätter hängen lässt. "Ja, stimmt", grinst | |
Melte, "aber das wird schon wieder." | |
20 Euro kostet ein Herrenhaarschnitt bei Melte. Dafür darf sie nicht länger | |
als eine halbe Stunde brauchen, sonst lohnt sich die Arbeit nicht. Bei | |
Frauen nimmt sich Melte doppelt so viel Zeit, eine ganze Stunde, dafür | |
zahlen Frauen aber auch mehr. Zehn Kunden braucht sie so pro Tag, Melte hat | |
alles durchgerechnet, genau kalkuliert, anders geht es nicht. | |
Für ihren Salon hat sie einiges aufgegeben, Urlaub zum Beispiel: "Mehr als | |
eineinhalb Wochen am Stück sind nicht drin", sagt sie. Ihr Geschäft | |
betreibt sie allein, kein Azubi, keine Kollegin hilft. Wenn Melte im Urlaub | |
ist, müssen ihre Kunden zu anderen Friseuren, manche gehen dann rüber, auf | |
die andere Seite - und kommen nie wieder. | |
Vor drei Jahren hat dort der erste Billigfriseur aufgemacht. "Damals hab | |
ich noch gehofft, dass der bald wieder dichtmacht", sagt Melte. Heute gibt | |
es im näheren Umkreis noch zwei weitere Läden mit dem Discountmodell. Für | |
Männer kostet ein Haarschnitt dort zwischen acht und zehn Euro, Frauen | |
zahlen zwölf. Aus den Boxen wummert RnB, Termine gibt es keine, die Kunden | |
warten auf bunten Plastikstühlen, bis einer der drei Friseure frei ist. | |
Waschen, schneiden, föhnen, nach 15 Minuten kommt der Nächste dran. Die | |
Arbeit sei toll, meint eine Friseurin, die Kollegen nett, der Verdienst gut | |
- mit der Presse reden wolle sie aber trotzdem nicht. So wie Melte will | |
auch sie anonym bleiben, man beäugt sich auf beiden Seiten, ist argwöhnisch | |
darauf bedacht, nicht zu viel von sich preiszugeben. | |
In der Zeitung konnte man in den letzten Jahren vor allem Schlechtes über | |
Discountfriseure lesen. Es gab Berichte über Dumpinglöhne, Ausbeutung, bei | |
Razzien fand der Zoll immer wieder Schwarzarbeiter und Löhne weit unter dem | |
Tarif. "Es gab Kontrollen, da wurde der Zoll in 100 Prozent der Fälle | |
fündig", sagt Christian Kaiser von der Friseurinnung München. Kaiser ist | |
Friseurobermeister, in seinem Laden in München arbeiten drei Angestellte. | |
Das Preissegment: gehoben, die Kundschaft: gut situiert. Er kennt die | |
Branche, weiß, dass viele kleine Läden mit den Billiganbietern kämpfen - | |
aber er sagt auch: "Discountfriseure sind nicht neu, die gab es schon | |
immer." Lange Zeit sei das auch gar kein Problem gewesen, die hatten ihre | |
Kundschaft und waren ein Randphänomen. Erst durch die Aufweichung des | |
Inhaberprinzips habe sich die Situation verschärft. 2004 wurde für viele | |
Handwerksbetriebe in Deutschland der Meisterzwang aufgehoben oder | |
abgeschwächt. Bei Friseuren reicht es seitdem, wenn der Inhaber eines | |
Salons einen Meister in seinem Laden beschäftigt. "Das hat dazu geführt, | |
dass die Betriebe heute am Reißbrett entworfen werden", sagt Kaiser. Nicht | |
mehr die Friseurmeister bestimmen, sondern die Ökonomen. Seitdem wird in | |
der Branche anders kalkuliert, knapper, härter. | |
Ein Discountladen alleine lohnt sich nicht, erst eine Kette ist rentabel. | |
Große Firmen dominieren deshalb den Markt - und die Preise. Auch die | |
Haarproduktehersteller unterstützten den Aufstieg der Billigfriseure, sie | |
halfen kräftig mit beim Preisdrücken, weil sie einen neuen, | |
vielversprechenden Markt witterten. In vielen Salons kann man deshalb | |
Shampoos und Gels einer bestimmten Marke kaufen - dafür gibt es dann zum | |
Beispiel kräftige Rabatte. | |
Schlechtere Löhne | |
Doch wieso machen die Friseure mit beim Lohndumping? Durch den Preisdruck | |
der Billigketten können es sich die meisten kleineren Betriebe heute kaum | |
noch leisten, junge Friseure einzustellen. Weil sie neu im Geschäft sind, | |
haben sie noch keine Kunden - das Kapital in der Branche. Früher wären sie | |
die erste Zeit mitgeschliffen worden, heute ist das zu teuer. Also landen | |
viele nach ihrer Lehre bei den Billigfriseuren und nehmen Jobs zu | |
Konditionen an, die früher undenkbar gewesen wären. Vor allem im Osten von | |
Deutschland ist der Verdienst oft so gering, dass die Friseure mit | |
Sozialleistungen aufstocken müssen. | |
Ohne die große Nachfrage bei den Kunden hätten die Billigfriseure sich aber | |
trotzdem nicht lange halten können. Das Konzept "schnell und billig, | |
Qualität egal" schloss eine Marktlücke. "Es ist okay, dass es solche | |
Friseure gibt", sagt deshalb auch Innungsmann Kaiser. "Nur darf das Image | |
des Handwerks nicht darunter leiden. Mit der Maschine schneiden ist kein | |
Handwerk, sondern eine Dienstleistung." Als der Boom der Billigfriseure in | |
ihrer Nachbarschaft begann, verlor Melte fast die Hälfte ihrer männlichen | |
Kunden. Ein Kollege in der Nähe gab nach einem Jahr auf, sie nicht. "Mit | |
dem Preis kann ich nicht runtergehen", sagte Melte sich, "also muss ich es | |
mit anderen Mitteln versuchen." | |
Wenn es beim Discounter billig ist, dann soll es bei ihr persönlich sein, | |
findet Melte. Sie kennt alle Kunden mit Namen, weiß, wann sie arbeiten, | |
wann in Urlaub fahren, wie die Kinder heißen und wie es dem Partner geht. | |
Kranke Kunden holt sie von zu Hause ab oder besucht sie im Krankenhaus. Ihr | |
ist klar: Ohne ihre Stammkunden wäre sie verloren. Unter dem Tresen im | |
Salon liegt ein dickes, beiges Buch. Melte schreibt darin alle Termine auf, | |
Uhrzeit, Name, Dauer. Das Buch ist voll, das Geschäft läuft. 50 bis 60 | |
Stunden arbeitet Melte pro Woche. | |
Von Dienstag bis Freitag steht sie in ihrem Salon, schneidet ihren Kunden | |
die Haare und tratscht mit ihnen, damit sie das nächste Mal wiederkommen | |
und nicht auf die andere Seite wechseln. Zwei Tage in der Woche, montags | |
und samstags, fährt sie in ein Altenheim, um den Bewohnern die Haare zu | |
schneiden. Nicht unbedingt ein schöner Job und auf keinen Fall einfach, | |
sagt sie, aber ohne ihn könnte Melte nicht überleben. "Man muss sehen, wo | |
man bleibt", sagt sie. Dann kommt die nächste Kundin. | |
1 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Christoph Gurk | |
## TAGS | |
Handwerk | |
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