# taz.de -- Hightech-Geräte in Flüchtlingslagern: „Es muss auch ein Gewinn … | |
> Der Entwicklungshelfer Kilian Kleinschmidt erklärt, wieso 3-D-Drucker in | |
> jordanischen Flüchtlingslagern helfen können. | |
Bild: „Technologietransfer ist wichtig“: Teil des Flüchtlingslagers Zaatar… | |
taz.am wochenende: Herr Kleinschmidt, Sie wollen ein FabLab in Zaatari, dem | |
Flüchtlingscamp in Jordanien, einrichten: eine Werkstatt, in der | |
Flüchtlinge selbst an 3-D-Druckern, Fräsen oder Laser-Cuttern arbeiten | |
können. Warum? | |
Kilian Kleinschmidt: Erst mal geht es darum, dass man jungen Menschen | |
Zugang zu solchen Technologien ermöglicht. | |
Was stellen die Flüchtlinge dort her? | |
Eines der Produkte sind etwa Prothesen, die so kostengünstig unter anderem | |
mit Hilfe von 3-D-Druckern produziert werden können. Die Menschen lernen | |
den Umgang mit diesen Geräten und können dann selbstständig | |
unterschiedlichste Produkte herstellen. | |
Wie viel kostet die Einrichtung eines solchen FabLabs? | |
Es gibt verschiedene Stufen. Richtet man ein komplettes Lab mit allem Drum | |
und Dran ein, kostet das schon eine Million Euro. Man kann dann aber | |
wirklich nahezu alles basteln: vom Stuhl bis zum Computer. | |
Rechnet sich das? | |
Ja! Ein Großteil humanitärer Gelder wird für Personal ausgegeben. Das | |
reduzieren Sie so drastisch. Für einen künstlichen Arm belaufen sich die | |
Kosten dann langfristig nur noch auf 20, statt auf 2.000 US-Dollar. | |
Trotzdem ist das eine falsche Rechnung: Der Technologietransfer ist viel | |
wichtiger, dessen Wert kann man gar nicht beziffern. | |
Sie haben 22 Jahre lang für das UN-Hilfswerk gearbeitet. Warum haben Sie | |
jetzt Ihre eigene Agentur gegründet? | |
Es geht mir darum, das, was Entwickler, Firmen oder Städte irgendwo auf der | |
Welt gut können, auch an ärmeren Orten der Welt zu vermitteln. Ich will, | |
dass sich innovative Menschen kurzschließen können. Und, falls notwendig, | |
das auch begleiten. | |
Zum Beispiel? | |
Wir arbeiten auch in Dohuk im Nordirak: Dort hat sich die Zahl der Bewohner | |
durch den IS-Feldzug mehr als verdoppelt. Wir unterstützen sie gemeinsam | |
mit dem Land Baden-Württemberg dabei, auf einmal mit 2.000 statt 600 Tonnen | |
Müll pro Tag fertig zu werden, mit dem Abwasserproblem und dem Wohnungsbau. | |
Wir sind da eine Mischung aus booking.com und dem Speed-Dating-Konzept: Wir | |
bringen Leute, Know-how und Technologien zusammen. In der konventionellen | |
Hilfe dauert das noch viel zu lange. | |
Diese klassische Entwicklungshilfe haben Sie in der Vergangenheit harsch | |
kritisiert. Sehen Sie die Branche mittlerweile in Bewegung? | |
Jede Organisation, die etwas auf sich hält, hat heute eine | |
Innovationsabteilung. Die sind aber zentral gesteuert und oft schwerfällig. | |
Das ist auffällig: Wenn ich in Genf oder New York anrufe, werden sie mir | |
allerlei Spannendes und Innovatives erzählen. Schaut man sich aber vor Ort | |
um, finde ich kaum etwas davon. | |
Wie geht es denn besser? | |
Privatwirtschaft, Städte und Gemeinden können viel schneller arbeiten und | |
sich auch viel direkter vernetzen und Dinge so schneller ausprobieren. | |
Den deutschen Unternehmer müssen Sie aber erst mal dazu bringen, sein Geld | |
ausgerechnet im Irak zu investieren. | |
Die Leute müssen ihre Komfortzonen verlassen, ja. Sie überhaupt davon zu | |
überzeugen, Know-how zu transferieren und Kooperationen aufzubauen, das ist | |
die Schwierigkeit. Dafür muss Risikobereitschaft da sein. Man muss | |
kapieren, dass es wichtig und nützlich ist, dass auch die Armen in | |
Wirtschaftszyklen kommen. | |
Etwa, um mit ihnen Geld zu verdienen. Neue elektronische Lösungen führen zu | |
Daten über Zielgruppen, die man sonst kaum hätte. Diese Daten lassen sich | |
gut verkaufen. Muss das sein, wenn man mit der Privatwirtschaft die großen | |
NGOs überholen will? | |
Natürlich. Es geht ja nicht um Charity, also muss da ja auch irgendwo ein | |
Gewinn drin sein. Uns geht das Aushorchen natürlich auf die Nerven, aber | |
man muss begreifen, dass der Privatsektor auch Geld verdienen muss. Und | |
auch die Armen wollen ja nicht wie Meerschweinchen gehalten und gefüttert | |
werden. | |
Ist das die „Arroganz des Helfens“, die Sie kritisieren? | |
Genau. Wir sagen, wir müssten die Armen schützen vor den bösen | |
Kapitalisten. Das ist Paternalismus. Die meisten Armen wollen ja Teil von | |
all dem sein, deswegen kommen sie ja auch in zunehmenden Ausmaß zu uns. | |
Wie sieht also die Entwicklungszusammenarbeit der Zukunft aus? | |
Dezentralisierung wird die nächste industrielle Revolution sein. Wir sehen | |
das heute schon: Immer mehr Leute entwickeln irgendwelche Apps und machen | |
sie zugänglich für alle. Im Grunde braucht man die großen Institutionen gar | |
nicht mehr, wie man jetzt auch an den vielen freiwilligen Helfern in der | |
Flüchtlingskrise sieht. | |
Aber wenn wir die Hilfe auf Gruppen, Einzelne und Unternehmen abwälzen, | |
entlassen wir Staaten und internationale Organisationen aus der Pflicht. | |
Nachhaltig ist das nicht. | |
Natürlich brauchen wir die großen Organisationen, die in einer Notsituation | |
auf schiere Masse reagieren können. Das werden wir immer brauchen. Diese | |
humanitäre Feuerwehr würde ich nie in Frage stellen. | |
Was ist dann Ihr Problem? | |
Ich habe hier Tausende von Anfragen von Menschen, die etwas können und mal | |
eine Adresse etwa in Zaatari wollen, an die sie sich wenden könnten. Aber | |
diese Vernetzung will keiner machen. | |
Auf was für Reaktionen stoßen Sie denn bei diesen Organisationen? | |
Was ich erzähle, weiß eigentlich jeder, auch die Chefs der großen | |
Organisationen. Aber es gelingt noch nicht, das im Feld umzusetzen. Damit | |
sind die Leute noch überfordert, sie stecken mental teils noch im letzten | |
Jahrtausend. Das ist oft Hilfe wie die Carepakete vor 50 Jahren. | |
Von welchen Technologien erhoffen Sie sich am meisten? | |
Ohne Internet bringen ihnen viele elektronische Lösungen wenig. Deshalb bin | |
ich gespannt, wie sich das One-Web-Projekt entwickelt. Die wollen mit 700 | |
Minisatelliten Konnektivität auf der ganzen Welt sicherstellen, damit man | |
sich auch in abgelegenen Gebieten verbinden kann, oder an autoritären | |
Regimen vorbei. Auch die Dezentralisierung der Energieproduktion, etwa | |
durch immer bessere Batterien, ist eine riesige Chance. | |
Und in Deutschland? | |
Wir arbeiten jetzt mit AESD zusammen. Das ist ein Berliner Start-up, die | |
haben gemeinsam mit der Universität Marseille ein mobiles medizinisches | |
Labor entwickelt – in der Größe einer externen Festplatte. Damit können Sie | |
bis zu 5.000 Tests in Laborqualität durchführen. Von Krebs und Malaria über | |
Denguefieber. Ein Test kostet dann nur noch etwa 4 bis 5 Dollar. Über das | |
Mobiltelefon lassen sich die Daten dann zum Arzt verschicken. | |
Dann kann ja nichts mehr schiefgehen. | |
Freilich muss man auch die Gefahren im Auge behalten. Es gibt etwa viel | |
weniger Malaria-Tote, und große Erfolge im Kampf gegen Polio. Das ist gut, | |
aber jetzt kommt die Vermischung von Klima-, Armuts- und Kriegsflucht auf | |
uns zu, und damit eine Verschärfung der Urbanisierung. Wenn wir da nicht | |
schnell reagieren, kann uns alles um die Ohren fliegen. | |
Unterschätzen wir das? | |
Ja. Dass sich durch Flucht gewaltige urbane Zentren entwickeln, die aber | |
schlecht gemanagt sind, ist ein großes Risiko. Das hat ein riesiges | |
Gewaltpotenzial. | |
In der öffentlichen Debatte über Entwicklungspolitik ist Technologie noch | |
nicht wirklich angekommen. | |
Das stimmt. Ich war vor einiger Zeit auf der Smart City Expo in Barcelona. | |
Da gibt es inzwischen smarte Mülleimer, die wissen, wann sie voll sind. Als | |
ich meinte, dass man solche Dinge ja auch an ärmere Städte vermitteln | |
könnte, haben die mich mit großen Augen angesehen. Aber reiche Städte haben | |
Smartness ja nicht gepachtet. | |
25 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Jan-Niklas Kniewel | |
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