# taz.de -- Russland fahndet nach Kremlkritiker: Haftbefehl gegen Chodorkowski | |
> Gegen den Oligarchen Chodorkowski wird wegen eines Mordfalls aus dem Jahr | |
> 1998 ermittelt. Chodorkowski ließ mitteilen, seine Reisen nicht | |
> einzuschränken. | |
Bild: Kremlkritiker Michail Chodorkowski spricht 2013 im Mauermuseum in Berlin. | |
Moskau taz | Ganz unvorbereitet dürfte die Nachricht aus Russland Michail | |
Chodorkowski nicht mehr getroffen haben. Am Mittwoch erließ ein Moskauer | |
Gericht gegen den früheren Yukos-Eigentümer und Öl-Oligarchen Haftbefehl. | |
Außerdem wurde der zurzeit im Londoner Exil lebende Ex-Öl-Milliardär | |
international zur Fahndung ausgeschrieben. Das teilte Moskaus | |
Ermittlungsbehörde mit. | |
Bereits vor zwei Wochen hatte sich eine neue Runde im Fall Chodorkowski | |
angekündigt. Die russischen Ermittler leiteten ein neues, drittes Verfahren | |
gegen den früheren prominentesten Ex-Häftling Russlands ein. Demnach sei | |
der 52 jährige in den 90er Jahren an zwei Morden und vier Mordversuchen | |
beteiligt gewesen. Aus niederen materiellen Motiven soll er die Verbrechen | |
in Auftrag gegeben haben. | |
Chodorkowski war 2003 festgenommen worden. 2005 wurde er wegen Betrugs und | |
Geldwäscherei zu Lagerhaft verurteilt. In einem zweiten Prozess 2010 folgte | |
eine dubiose Anklage wegen Öl-Diebstahls. Nach einem fragwürdigen Verfahren | |
wurde der Magnat zu einer weiteren Haftstrafe bis 2014 verurteilt. Im | |
Dezember 2013 am Vorabend der Olympischen Winterspiele in Sotschi | |
begnadigte ihn Präsident Wladimir Putin überraschend nach mehr als zehn | |
Jahren Haft. Chodorkowski soll sich verpflichtet haben, Russland zu | |
verlassen und sich aus der Politik herauszuhalten. Vorübergehend zumindest. | |
Chodorkowski hegte damals eigene politische Ambitionen und unterstützte die | |
Opposition. Auch das war einer der Gründe, warum der Kreml ihn mit | |
alttestamentarischer Härte verfolgte. | |
Der Vorladung zur Vernehmung im neuen Verfahren nach Moskau folgte | |
Chodorkowski nicht. Im Mittelpunkt der Anklage steht der Mord an Wladimir | |
Petuchow, dem Bürgermeister des sibirischen Neftejugansk, das die größte | |
Förderstätte des Yukos-Konzerns beherbergte. Petuchow hatte Chodorkowski | |
wegen Steuerunterschlagung verklagt. 2007 wurde ein ehemaliger | |
Sicherheitschef des Yukos-Konzerns wegen Anstiftung zum Mord zu | |
lebenslanger Haft verurteilt. Letzte Beweise konnte die Anklage nicht | |
vorbringen, zumal die gedungenen Mörder schon 1998 ermittelt worden waren | |
und kurz darauf selbst den Tod fanden. Laut Ermittlungsbehörde sollen nun | |
ganz neue Erkenntnisse vorliegen, die auf Chodorkowski als Auftraggeber | |
hindeuten. | |
## „Blutige Hände“ | |
Vor zwei Wochen in London wies Chodorkowski die Anschuldigungen als Farce | |
und Fälschung zurück. Spurlos scheint die Anklage an ihm jedoch nicht | |
vorbeizugehen. Er machte einen angespannten Eindruck. Auch der Einwurf, er | |
sei es gewohnt, Ende des Jahres von der Justiz mit Überraschungen bedacht | |
zu werden, löste die Spannungen nicht. Dreimal hätte Kremlchef Putin zum | |
Jahreswechsel neue Anklagen gegen ihn erhoben, sagte Chodorkowski. | |
Beobachter fragen unterdessen: Warum wurde ihm der Mord nicht vorher zur | |
Last gelegt? Warum jetzt? Wieso wurde er trotz Mordverdacht begnadigt? | |
Der Pressesprecher des Kreml behauptet, Präsident Putin hätte zum Zeitpunkt | |
der Begnadigung nichts von der Verstrickung des Magnaten gewusst. | |
Allerdings hatte Putin bereits 2010 im Fernsehen von „blutigen Händen“ des | |
Oligarchen gesprochen. Er beließ es jedoch bei Andeutungen. Die Zuschauer | |
hatten den Eindruck, es sei nur ein weiterer Versuch, den entmachteten | |
Oligarchen zu diffamieren. | |
Am Dienstag wurden auch die Räume der von Chodorkowski gegründeten Stiftung | |
Open Russia durchsucht. „Nur Kopier- und Toilettenpapier“ hätten die | |
Fahnder im Büro zurückgelassen, sagten Mitarbeiter. Die Durchsuchung steht | |
laut Ermittlungskomitee im Zusammenhang mit einem Fall aus dem Jahr 2003. | |
Es geht um eine umstrittene Privatisierung des Düngemittelunternehmens | |
Apatit, an der Chodorkowski beteiligt gewesen sein soll. | |
Tatsächlich dürfte die Razzia mit der aufklärerischen Tätigkeit der | |
Stiftung verbunden sein. Sie stellt eine Plattform für oppositionelle | |
Kräfte dar. Vor kurzem veröffentlichte sie einen Bericht der spanischen | |
Staatsanwaltschaft. Dessen brisante Kernaussage lautete: Wladimir Putin | |
ernannte den Chef des Ermittlungskomitees, Alexander Bastrykin, auf | |
Empfehlung des Petersburger Mafiachefs Gennadij Petrow. Bastrykin ist auch | |
der Ermittlungsleiter im Fall Open Russia. | |
## Verdacht des Extremismus | |
Chodorkowski vermutet, dass die Neuauflage der Mordfälle auch etwas mit | |
Forderungen der Yukos-Aktionäre zu tun haben könnte. Als der Kreml den | |
Konzern dem staatlichen „Rosneft“ einverleibte, waren diese leer | |
ausgegangen. Russland wurde vom Internationalen Gerichtshof für | |
Menschenrechte in Straßburg letztes Jahr zu einer Zahlung von zwei | |
Milliarden Dollar verurteilt. Ein Internationales Schiedsgericht in Den | |
Haag verhängte gleichzeitig eine Zahlung von 50 Milliarden Dollar | |
Entschädigung. Russland weigert sich indes, die Urteile anzuerkennen. Der | |
wieder aufgerollte Mordfall soll nun auf die Aktionäre Druck ausüben, | |
vermutet Chodorkowski. | |
„Open Russia“ als Plattform, die Korruption hoher Amtsträger offenlegt, ist | |
dem Kreml ohnehin ein Dorn im Auge. Wiederholt wurden Mitarbeiter | |
festgenommen. | |
Womöglich steht dem Exilanten noch eine Klage ins Haus. In London sprach er | |
von der Unausweichlichkeit einer Revolution in Russland. In Moskau fällt | |
dies bereits unter den Verdacht des Extremismus. Trotz internationalem | |
Haftbefehl wird der Ex-Tycoon auch weiter reisen. Für Interpol gilt der | |
Befehl nicht. | |
23 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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