| # taz.de -- Folgen der Exekutionen in Saudi-Arabien: Öl ins Feuer | |
| > Die Hinrichtung des Pazifisten Nimr al-Nimrs führt zu zusätzlichem Hass. | |
| > War das Kalkül oder Dummheit des saudischen Könighauses? | |
| Bild: Vor der saudi-arabischen Botschaft in Teheran: Demonstranten mit Plakaten… | |
| KAIRO taz | Dass die Exekution des prominenten Schiitenpredigers Scheich | |
| Nimr al-Nimr ein politisches Erdbeben auslösen würde, war absehbar. Umso | |
| verwunderlicher, welches Kalkül vonseiten der saudischen Herrscher | |
| dahintersteckte oder anders gesagt: welcher Teufel die Saudis geritten hat. | |
| Denn entweder war das ein bewusster Schritt, Öl ins Feuer der angespannten | |
| sunnitisch-schiitischen Beziehungen zu gießen oder politische Dummheit und | |
| der Glaube, sich mit diesem radikalen Schritt einen ungeliebten Dissidenten | |
| vom Leib zu schaffen, ohne auf die Folgen zu achten. Vielleicht hatten die | |
| Saudis einfach auch darauf gehofft, das Ganze in einem Gesamtpaket von 46 | |
| weiteren Exekutionen am Samstagmorgen verstecken zu können. Bei den anderen | |
| vollstreckten Todesurteilen handelt es sich um Menschen, die im | |
| Zusammenhang mit Anschlägen von al-Qaida im Königreich verurteilt worden | |
| waren. | |
| Was immer sich die saudischen Herrscher dabei gedacht haben, heftige | |
| Reaktionen blieben nicht aus. [1][In Teheran wurde die saudische Botschaft | |
| gestürmt und angezündet.] Aus dem Iran, dem Land, das sich selbst als die | |
| Schutzmacht aller Schiiten sieht, folgte die offizielle Reaktion. Der | |
| oberste Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei kündigte den Saudis gar | |
| „göttliche Rache“ an. Im benachbarten Bahrain, in dem eine sunnitische | |
| Königsfamilie über eine schiitische Mehrheit herrscht, kam es zu | |
| gewaltsamen Protesten, ebenso wie im Osten Saudi-Arabiens selbst. Neben dem | |
| Krieg im Jemen, in den die Saudis nun bereits seit Monaten verwickelt sind, | |
| haben sie nun im eigenen Land eine zweite Front ausgemacht. Das, gepaart | |
| mit der angespannten wirtschaftlichen Lage aufgrund des niedrigen | |
| Ölpreises, bedeutet, dass den saudischen Herrschern ein schwieriges Jahr | |
| bevorsteht. | |
| Scheich al-Nimr galt als die Führungsperson und Symbolfigur für den Kampf | |
| der schiitischen Minderheit Saudi-Arabiens im sunnitischen | |
| Wahhabiten-Staat, nicht als Bürger zweiter Klasse diskriminiert zu werden. | |
| Al-Nimr, ursprünglich eher ein religiöser Führer und Politiker aus der | |
| zweiten Reihe, erlangte Prominenz, als er sich in den Zeiten des Arabischen | |
| Frühlings an die Spitze einer schiitischen Bürgerbewegung im Osten | |
| Saudi-Arabiens stellte. Eine Rolle, die ihm vor allem eine große | |
| Gefolgschaft unter den schiitischen Jugendlichen einbrachte. Zwar bilden | |
| die Schiiten insgesamt in Saudi-Arabien eine Minderheit, aber im Osten des | |
| Landes stellen sie die Mehrheit. Für das Königshaus besonders prekär: Dort | |
| befindet sich auch ein Großteil der saudischen Ölvorkommen. | |
| ## Ein unfairer Prozess | |
| Nimrs Ansehen war den saudischen Herrschern damit schon lange ein Dorn im | |
| Auge. Im Juli 2012 war al-Nimr verhaftet worden. Er wurde des „Ungehorsams | |
| gegenüber den Herrschern“ und der Anzettelung von Demonstrationen und | |
| Aufständen angeklagt. Im Gefängnis soll al-Nimr auch gefoltert worden sein. | |
| Er trat in den Hungerstreik. Im Oktober 2014 war er zu Tode verurteilt | |
| worden. Er habe „ausländische Einmischung gefördert“, den Herrschern nicht | |
| gehorcht und habe zu einem bewaffneten Aufstand aufgerufen“, heißt es in | |
| dem Urteil. Den Prozess hatten Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty | |
| International und Human Rights Watch als „unfair“ bezeichnet, mit dem | |
| einzigen Ziel, einen unliebsamen Dissidenten aus dem Weg zu räumen. | |
| Derweil vertrat al-Nimr eher die Linie, mit friedlichen Mitteln gegen die | |
| Diskriminierung der Schiiten in Saudi-Arabien zu protestieren. Die | |
| schiitischen Demonstranten hatte er während des Arabischen Frühlings 2011 | |
| aufgerufen, „sich den Kugeln der Polizei mit dem Dröhnen des Worts | |
| entgegenzustellen“. Denn Worte seien stärker als Kugeln, und von einem | |
| bewaffneten Kampf würden nur die Herrscher profitieren. | |
| In von WikiLeaks veröffentlichten US-Geheimpapieren wird berichtet, dass | |
| Vertreter der US-Botschaft in Saudi-Arabien sich regelmäßig mit al-Nimr | |
| getroffen hatten, um seine Positionen auszuloten. „Er werde sich immer | |
| aufseiten seines Volkes gegen das, wie er es nannte, „reaktionäre saudische | |
| Regime“ stellen, erklärte er dort. Das bedeute aber nicht, dass er all | |
| deren Aktionen gutheiße, vor allem, wenn Gewalt angewendet würde, soll er | |
| nach diesen Berichten seinen Standpunkt dargelegt haben. Al-Nimr verwehrte | |
| sich bei den Treffen auch dagegen, eine iranische Marionette zu sein. Zwar | |
| machte er immer wieder deutlich, dass die saudischen Schiiten durchaus auch | |
| Hilfe von außen anfordern dürfen, gleichzeitig gab er sich aber auch | |
| kritisch gegenüber dem Iran. „Frömmigkeit gebührt nur Gott allein, nicht | |
| Staaten und Nationen, die in ihrem eigenen Interesse handeln“, wird er in | |
| einem WikiLeaks-Bericht zitiert. | |
| Der 56-jährige al-Nimr, der den geistlichen Rang eines Ajatollahs trug, | |
| wurde in einem Dorf im Bezirk Qatif geboren, der Hochburg der schiitischen | |
| Bürgerbewegung in Saudi-Arabien. Er studierte im Iran und in Syrien. 1994 | |
| kehrte er nach Saudi-Arabien zurück und erlangte schnell die Aufmerksamkeit | |
| des saudischen Sicherheitsapparats. | |
| ## „Schürt das Feuer nicht noch mehr!“ | |
| Ironie der Geschichte ist, dass nun ausgerechnet seine Exekution zu | |
| sunnitisch-schiitischen Spannungen führt, denn al-Nimr selbst hatte sich | |
| immer wieder dagegen verwehrt, sich vor einen konfessionellen Karren | |
| spannen zu lassen. In einer seiner berühmten religiösen Ansprachen hatte | |
| al-Nimr erklärt, dass die Unterdrückten einig gegen die Unterdrücker | |
| vorgehen sollten, anstatt zu Instrumenten in ihren Händen zu werden. So | |
| unterdrücke die sunnitische Chalifa-Königsfamilie in Bahrain die | |
| schiitische Mehrheit im Land, aber die Sunniten als solche seien nicht | |
| verantwortlich für diese Unterdrückung. Verantwortlich seien allein die | |
| Tyrannen. Das, führte al-Nimr aus, gelte auch für Syrien. Dort sei die | |
| Assad-Familie verantwortlich für die Unterdrückung, nicht aber der | |
| Schiismus. „Niemals sollte ein Unterdrückter die Unterdrückung eines | |
| anderen rechtfertigen“, formulierte er sein Verständnis von | |
| sunnitisch-schiitischer Einheit. Für al-Nimr waren nicht die Konfessionen, | |
| sondern die autokratischen Regimes das Problem. | |
| Umso tragischer, dass seine Exekution gerade diese konfessionellen | |
| Spannungen jetzt anheizt, anstatt einer kritischen Haltung gegenüber den | |
| Herrschern in Saudi-Arabien und in Iran, die in ihrem regionalen | |
| Machtinteresse immer wieder die konfessionelle Karte ausspielen mit den | |
| entsprechenden Folgen nach der Vollstreckung des Todesurteils gegen den | |
| populären Schiitenscheich im wahhabitischen Saudi-Arabien. | |
| Denn schon am Tag nach der Exekution gingen sich der Iran und Saudi-Arabien | |
| an die Gurgel. In einer Erklärung des saudischen Außenministerium ist vom | |
| „iranischen Staatsterrorismus“ die Rede, während die iranische Regierung | |
| die Straße vor der gestürmten und angezündeten Botschaft Saudi-Arabiens | |
| provokant zu Nimr-al-Nimr-Straße umbenennen ließ. Da verhallten Appelle wie | |
| der des emiratischen Internetaktivisten Sultan al-Qassime ungehört. „Es | |
| herrscht eine toxische Mischung aus Hypernationalismus und | |
| Konfessionalismus in der Region. Sie ist schon jetzt ein Pulverfass“, | |
| beschreibt er die Lage in einer Twittermeldung und ruft dazu auf: „Bitte | |
| schürt das Feuer nicht noch mehr!“ | |
| 3 Jan 2016 | |
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| ## AUTOREN | |
| Karim El-Gawhary | |
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