Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nachts im Callcenter: Out of the dark
> Wenn die Amerikaner aufstehen, geht man auf den Philippinen schlafen.
> Manche aber sitzen im Callcenter und sagen: „Welcome“.
Bild: Mit bis zu 200 Kunden spricht Angie in einer Nacht. Ein Telefonat soll ma…
Manila taz | Angie Rodriguez bereitet sich auf ihre Arbeit vor. Sie legt
ein paar Halsbonbons neben die Tastatur, prüft das Headset und holt sich
noch schnell einen Kaffee. Hier ist es spät am Abend, aber an der
US-Ostküste beginnt ein neuer Tag. Und das ist das Entscheidende.
Um 21.45 Uhr beginnt ihre Schicht. Sie klickt auf den grünen
Rufannahmeknopf. In dem Moment wird sie eine von vielen. Sie sagt genau die
gleichen Dinge, die um sie herum gesagt werden, nur der Name der
Mietwagenfirma unterscheidet sich. „Welcome“, sagt sie. Willkommen bei
Dollar. Wie kann ich Ihnen helfen?
Angie Rodriguez ist 30 Jahre alt, eine schmale Frau mit zurückgebundenen
Haaren, sie lacht viel, ein fröhliches Lachen, das manchmal aber auch
Unsicherheit überspielt. Sie sitzt in einem Großraumbüro im 20. Stock eines
Büroturms, gelegen in der Bonifacio Global City im Südosten Manilas, der
Hauptstadt der Philippinen. In ihrer offenen Kabine, etwa ein Quadratmeter
groß: ein Computer, ein Monitor, Tastatur und Maus und ein Headset. Außer
der Trinkflasche und einem Kaffeebecher, den sie mit ins Büro nimmt, stehen
hier keine persönlichen Gegenstände.
Der Grund, warum sie hier arbeitet, ist, wenn man so will, die
Globalisierung. Zahlreiche US-Firmen lagern ihre Call Center nach Asien
aus, der Kosten wegen. Angie Rodriguez etwa verdient 370 Euro im Monat.
Zunächst befanden sich die meisten Call Center in Indien. Seit einiger Zeit
aber sind die Philippinen weltweit die Nummer eins. Etwa eine Million
Menschen arbeiten in der Branche.
Die Philippinen sind hervorragend geeignet, Telefondienstleistungen für
US-Firmen zu übernehmen, ein regelrechtes Outsourcing-Paradies, wie manche
sagen. Denn es gibt viele motivierte junge Filipinos, die vergleichsweise
gut ausgebildet sind. Sie können sich hervorragend auf Englisch ausdrücken,
es ist – neben Filipino – die Nationalsprache und dem Englisch der USA
ziemlich nahe, Jahrzehnte unter US-Verwaltung haben Spuren hinterlassen.
Über die Mitarbeiter in Indien haben sich manche beschwert: diese
Aussprache.
## Anrufe: 198 Sekunden
Für Angie Rodriguez und ihre Kollegen wird also die Nacht zum Tag. Sie
arbeitet in der Abteilung, in der Mietwagenverträge verlängert werden.
„Geben Sie mir bitte Ihre Mietvertragsnummer. Wie ist Ihr Nachname?“ Sie
tippt die Nummer ein. Enter. „Sie möchten den Wagen zwei Tage später
zurückgeben? An der gleichen Station?“ Zwei Klicks und schon beginnt das
zweite Gespräch.
Angie Rodriguez jongliert zwischen zehn Fenstern auf ihrem Desktop. Dem
Mitwagenreservierungssystem, einem Dokument, in dem die Details der Anrufer
festgehalten werden, dem Telefonprogramm und so weiter. Manchmal loggt sich
das Reservierungsprogramm automatisch aus. Dann muss sie blitzschnell das
Passwort neu in die Eingabemaske eingeben. Sonst verliert sie wertvolle
Zeit am Telefon.
Ein Telefonat soll maximal 198 Sekunden dauern. Dauert es länger, muss die
Zeit in den Folgegesprächen wieder gut gemacht werden. Mit bis zu 200
Kunden spricht Angie Rodriguez in einer Nacht. Während sie arbeitet,
beobachtet ihr Freund sie über die Kameras, die im gesamten Büro angebracht
sind. Er arbeitet auch in der Firma – er leitet das Gebäudemanagement –
scherzhaft nennt sie ihn einen „Semi-Stalker-Typ“.
Sie kam schon am Nachmittag in die Firma. Wenn sie abends fahren würde,
bräuchte sie ein bis zwei Stunden, am Nachmittag nur eine halbe, denn dann
ist weniger Verkehr und sie kann bei ihrem Freund auf dem Motorroller
mitfahren. Für ein paar Stunden schlief sie dann in einem kleinen,
fensterlosen Raum mit drei Hochbetten. Die Matratzen sind dünn, die
Erholung nur so mittel, aber besser als nichts.
Angie Rodriguez braucht Energie, denn manchmal nerven sie die Anrufer, so
wie jetzt diese Frau in den USA. Sie schaltet das Mikro ihres Headsets aus,
klappt es nach oben und fragt: „Ernsthaft?“ Die Frau hat eine falsche
Mietvertragsnummer angegeben. Auch die Abholstation, die sie genannt hat,
ist nicht korrekt. Das System findet keinen Vorgang. Für Angie Rodriguez
sind solche Anrufer zeitraubend und ärgerlich. „Ihr Vertrag ist nicht im
System hinterlegt“, antwortet sie der Frau. „Bitte wenden Sie sich an die
Mietwagenstation, bei der Sie den Wagen erhalten haben.“
„Das Nervigste ist, wenn sie die Vertragsdetails nicht gelesen haben“, sagt
sie. Manche Kunden reagieren gereizt, wenn sie auf die
Bearbeitungspauschale für Mietverlängerungen hingewiesen werden, dabei
steht das in den Mietbedingungen. Wenn die Unternehmen in den USA die
Verträge ändern, bekommen die Callcenter-Mitarbeiter eine halbstündige
Schulung, um auf dem neuesten Stand zu sein.
## Entspannung: 45 Sekunden
Mehr als 13.000 Kilometer sind es von Manila nach New York. Kulturell sind
die Philippinen zwar nicht so weit weg von den USA, wie man denken könnte.
Aber natürlich gibt es Unterschiede und dadurch Schwierigkeiten. Es sei
mitunter kompliziert, regionale Dialekte zu verstehen, gibt Angie Rodriguez
zu. „Ab und an werden die Kunden auch ausfallend und beleidigend, wenn es
nicht so läuft, wie sie möchten.“ Das sei aber nur die ersten zwei Monate
anstrengend gewesen. Inzwischen verweist sie die Anrufer einfach an einen
Vorgesetzten.
Wenn sie sich mit den Kunden unterhält, kommt das Gespräch manchmal auf
ihre Heimat. Die Leute wollen dann etwa wissen, wie es in Manila so ist,
erzählt sie. Sie und ihre Kollegen dürfen darüber sprechen, dass sie sich
in einem anderen Teil der Welt befinden. Die meisten Auftraggeber in den
USA gingen mittlerweile ganz offen damit um, dass ihre Callcenter auf die
Philippinen ausgelagert wurden, sagt Angie Rodriguez‘ Chef Andy Sarakines.
Manche Banken allerdings hielten das nach wie vor lieber geheim, weil es
vielleicht nicht alle Kunden gut finden.
Während jeder Schicht macht ein Team eines Gesundheitsunternehmens die
Runde durch das Großraumbüro, LiveWell heißt es. Es ist 22.10 Uhr und die
LiveWell-Mitarbeiter sind mit ihrem Gymnastikball in Angie Rodriguez‘ Reihe
angekommen. 45 Sekunden wird jeder Mitarbeiter auf den Ball gesetzt. Sind
die 45 Sekunden vorbei, geht es zurück in gebückter Haltung auf den
Bürostuhl vor dem Computer. Die LiveWell-Mitarbeiter tippen etwas in einen
mitgebrachten Laptop.
Geschäftsführer Sarakines sagt, er sei um das Wohl seiner Mitarbeiter
bemüht. „Wir sind sehr darauf bedacht, Gesundheitsverständnis zu fördern.
Einen Raum haben wir in ein Fitnessstudio verwandelt.“ Dafür müssen die
Mitarbeiter allerdings bezahlen.
## Schlaf: 3 bis 5 Stunden
Wenn Angie Rodriguez Sport macht, dann ist es Tanzen. Vor Kurzem hat sie
mit einigen Kolleginnen und Kollegen auf der Weihnachtsfeier getanzt. An
den Tagen, an denen sie geprobt haben, hat sie noch weniger geschlafen als
sonst. Selbst an normalen Tagen sind es nicht mehr als drei bis fünf
Stunden.
Um 24 Uhr hat ihr Freund Feierabend – und sie Pause. Die beiden fahren mit
dem Fahrstuhl nach unten. Am Fuße des Büroturms warten McDonald’s,Burger
King, Kentucky Fried Chicken und lokale Fastfoodketten auf die nächtliche
Kundschaft. Jeder Callcenterjob auf den Philippinen schaffe drei bis vier
weitere Arbeitsplätze, sagt ihr Chef, den sie nur „großer Bruder“ nennt.
Nach dem Essen läuft Angie Rodriguez zurück in den Büroturm. Im
Eingangsbereich hält sie ihre Mitarbeiterkarte an das Lesegerät, die
Schranke geht auf, und sie fährt mit dem Aufzug nach oben. Im Büro läuft
sie an Kollegen vorbei, die auf dem Sofa im Vorraum eingeschlafen sind,
Kissen und Jacken über dem Kopf, zum Schutz vor dem grellen Licht der
Neonröhren.
1 Uhr, wieder „Willkommen bei Dollar. Wie kann ich Ihnen helfen?“ Fast
mechanisch klingt Angie Rodriguez. Und zusehend abgekämpft. Dabei ist die
Schicht noch lange nicht zu Ende, bis 6.45 Uhr geht sie.
Schon bei Schichtbeginn wirkte sie etwas müde. Fragt man sie, wie die
Nachtarbeit für sie ist, beharrt sie darauf: „Ich arbeite gerne nachts.“ An
den neuen Rhythmus habe sie sich gewöhnt. Vor zwei Jahren hatte sie eine
Fehlgeburt, nach nur einem Monat Schwangerschaft. Schuld war der Stress, so
sagte es ihr Arzt. Davon erzählt sie erstaunlich gelassen.
Angie Rodriguez hat einmal Krankenschwester gelernt, in dem Beruf hat sie
weniger verdient als jetzt. Ihr Traum war immer, in ein paar Jahren mit
ihrer Mutter oder ihrer Schwester in die USA zu ziehen. Krankenschwestern
werden da gebraucht. Vor einer Weile aber hat sie ihre Meinung geändert.
Jetzt hat sie ja ihren Freund und außerdem: Durch ihre Arbeit, durch die
Zeitverschiebung und die Gespräche mit den Kunden, sei ihr Leben doch
ohnehin so, als lebe sie dort.
Es gibt wenige Momente, in denen sie ihren Job nicht so toll findet.
Weihnachten gehört dazu. Denn das ist auch auf den Philippinen ein
wichtiges Fest, die meisten Menschen sind katholisch. Sie wird auch in
diesem Jahr wieder nicht mit ihrer Familie feiern können, sie arbeitet in
den Nächten des 24. und 25. Dezember. Wenn die Menschen in den USA frei
haben, dann haben sie im Callcenter in Manila viel zu tun.
26 Dec 2015
## AUTOREN
Malte E. Kollenberg
## TAGS
USA
Philippinen
Bundesverwaltungsgericht
Kosovo
Telekom
Verbraucherschutz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Urteil über Sonntagsarbeit: Feuerwehr ja, Callcenter nein
Dürfen auch Videotheken und Callcenter am Wochenende geöffnet sein? Nein,
sagt das Bundesverwaltungsgericht und schiebt der Sonntagsarbeit einen
Riegel vor.
Callcenter in Kosovo: Bei Anruf Deutsch
„Ich vermisse das Leben in Deutschland“, sagt Beka. Im Callcenter musste
der junge Kosovare Deutsch sprechen – und Kunden abzocken.
T-Mobile in den USA: Callterror mit Narrenkappe
Gewerkschaften schlagen Alarm: Die Telekomtochter soll in den USA ihre
Angestellten systematisch demütigen. Das Unternehmen schweigt zu den
Vorwürfen.
Gebühren für Service-Rufnummern: Wut in der Warteschleife
Trotz einer Gesetzesänderung sind Warteschleifen am Telefon immer noch
teuer. Die Grünen kritisieren, dass Kunden damit abkassiert werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.