# taz.de -- Komödie „Mistress America“: Das Ich der eigenen Likes | |
> Nach „Frances Ha“ ist „Mistress America“ die zweite enge Zusammenarbe… | |
> zwischen Noah Baumbach und Greta Gerwig. Ein gelungener Film. | |
Bild: Brooke (Greta Gerwig, l.) braucht Tracy (Lola Kirk, r.) fürs Ego – und… | |
Auf den ersten Blick lebt Brooke (Greta Gerwig) den amerikanischen Traum in | |
der New Yorker Thirtysomethings-Variante: Demonstrativ selbstbewusst saugt | |
sie den Honig des Lebens auf, sprudelt über vor Ideen, pflegt ihre | |
populären Social-Media-Profile und bleibt, trotz allem | |
Eigenblutdoping-Gedöns, noch so cool, dass sie bei einem Konzert ganz ohne | |
Yolo-Getue mit auf die Bühne klettert. Bei der jungen Tracy (Lola Kirke) – | |
noch keine zwanzig und als Literaturstudentin so frisch in der Stadt wie | |
orientierungslos, sozial überfordert und prokrastinationsanfällig – kann | |
sie damit prächtig punkten. | |
Brookes Vater und Tracys Mutter wollen heiraten. Aus den Millennials, die | |
dennoch gefühlt eine Generation trennt, macht das quasi Geschwister. Auch | |
wenn das Verhältnis bald unterschwellig vampirisch wird: Brooke braucht | |
Tracy fürs Ego – und Tracy sieht in Brooke Stoff für ihre ersten | |
literarischen Versuche. | |
Brookes Leben ist vor allem eine prächtig vermarktete Fassade – mit | |
deutlich sichtbaren Rissen. Am Telefon schlägt sie den Times Square als | |
Treffpunkt vor: „Weißt du, wo der ist?“ Als ob der Times Square ein | |
klandestiner Hipster-Szenetreff wäre. Ihre positive Einstellung zum Leben | |
markiert sie in Sätzen, die so aufgesagt wirken wie die Maßregelungen, mit | |
denen sie Tracy zuweilen bedenkt. | |
Überhaupt, was sie nicht alles ist, was sie noch werden will, was sie für | |
Ideen hat: Von einer Musikshow über eine Fernsehserie bis hin zum | |
Restaurant mit Manufaktum-Gediegenheit, für die ihr allerdings in letzter | |
Sekunde der Investor abspringt. Überhaupt, wie ihr niemand je eine Chance | |
gibt: Eine alte Freundin habe ihr vor Jahren erst den Verlobten ausgespannt | |
und sei dann auch noch mit Brookes Designideen reich geworden. Die tollen | |
Wohnungen, durch die Brooke Tracy schleppt, sind nicht ihre – Brooke ist | |
faktisch broke, pleite. | |
## Konfrontation mit den eigenen Lebenslügen | |
Nach dem Schwarz-Weiß-Indie-New-York-Film „Frances Ha“ (2012) ist „Mistr… | |
America“ die zweite enge künstlerische Zusammenarbeit zwischen Noah | |
Baumbach und Greta Gerwig. In beiden Filmen geht es darum, sich in New York | |
zu verwirklichen, beide kennzeichnet eine Bewegung aus der Stadt heraus, | |
bei der es zur Konfrontation mit den eigenen Lebenslügen kommt. | |
Doch war Gerwig in „Frances Ha“ noch eine untermotivierte, vielleicht noch | |
den Vorstellungen einer New Yorker Boheme verhafteten Drifterin, stellt | |
Brooke nun gewissermaßen die Kehrseite dar: Sie spielt das Spiel des | |
Spätkapitalismus, wenn auch kläglich, mit, will ein Stück vom Kuchen – und | |
setzt sich dafür eine Persönlichkeit wie aus dem Katalog zusammen: | |
Interessen, Lebensweisheiten, Vorlieben und Meinungen. | |
Einen beträchtlichen Teil ihres Witzes zieht diese ziemlich gelungene | |
Komödie daher auch daraus, dass die Leute noch nicht mal aneinander | |
vorbeireden: Die Dialoge sind geradezu erratisch perforiert. Auch wenn die | |
sozialen Medien als Kommunikationsparadigma der Gegenwart kaum ins Bild | |
rücken, erinnert das an die Gesprächskultur im Web, wo der Austausch oft | |
reflexhaft geschieht, Multitasking-Kompetenzen erfordert und es oft um | |
bloße Präferenzartikulationen statt um tatsächliche Debatten geht: Die | |
Summe der eigenen Likes als Ersatz eines Subjekts, das sich in der | |
Überfülle an Lebensstiloptionen, die der Spätkapitalismus bietet, gar nicht | |
erst ausprägt, aber als Marke umso aggressiver beworben werden muss. | |
Man könnte Brooke recht modisch diagnostizieren: Narzissmus, Hysterie, | |
Borderline. Schön an Noah Baumbachs und Greta Gerwigs so lebenskluger wie | |
witziger und stellenweise grandios abstruser Komödie ist, dass sie weder | |
pathologisiert noch richtet. „Mistress America“ ist der Titel einer | |
Fernsehserie, die sich Brooke einmal ausmalt. Darin geht es geht um eine | |
Superheldin, die die Essenz Amerikas darstelle. | |
Tracy entlehnt den Titel für ihre erste Kurzgeschichte, die von Brooke | |
handelt – einer Sinnfigur unserer Tage. Die zeigt sich verletzt, als sie | |
ihr Leben als literarische Ressource missbraucht sieht. In Interviews | |
spricht Gerwig von ähnlichen Reaktionen ihrer Freunde auf „Frances Ha“. | |
„Mistress America“ ist auch ein Film über die Selbstverständlichkeit, wie | |
im Spätkapitalismus Alltag und persönliches Netzwerk zum kulturellen | |
Kapital und die eigene Persönlichkeit zur Marke werden. | |
10 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Thomas Groh | |
## TAGS | |
Greta Gerwig | |
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