# taz.de -- Die Wahrheit: Die große Kränkung | |
> Albanien trotzt dem Siegel „Sicheres Herkunftsland“ und verteidigt seinen | |
> hart erarbeiteten Ruf auf dem Balkan, in Europa und der Welt. | |
Bild: Von allen Menschen dieser Welt ein ewig unverstandenes Land der Herzen �… | |
Deutschland will seine Flüchtlinge loswerden. Wenigstens einen Teil von | |
ihnen. Um das zu erreichen, erklärt die Bundesregierung ein Balkanland nach | |
dem anderen zum „sicheren Herkunftsland“. Nach Serbien, Mazedonien und | |
Bosnien sind im Jahr 2016 das Kosovo, Montenegro und Albanien dran. Alle | |
Beteiligten sind sich über diesen Schritt einig. Fast alle. | |
„Askurrë! Niemals!“, empört sich der albanische Diplomat Tarik Rexhepi, a… | |
wir uns zum Interview in einer Berliner Bar treffen. „Zum einen beraubt das | |
die Bürger Albaniens der Möglichkeit, sich dauerhaft nach Deutschland | |
abzusetzen. Zum anderen und vor allem trifft das die Ehre unseres Landes in | |
seinem Kern!“ | |
Albanien, ein stolzes Land, bekannt durch sagenumwobene Blutfehden, berühmt | |
für seinen Regierungsfilz, respektiert für seinen Waffen-, Drogen- und | |
Menschenschmuggel – ein Land, in dem mehr Schusswaffen pro Kopf kursieren | |
als in Texas, mehr Minderheitenwitze als in der deutschen Comedy und fast | |
so viel Korruption wie in der niedersächsischen CDU – solch ein blühendes | |
Land soll sich mit einer derartigen Diagnose abfinden? Soll sich zum | |
„sicheren Herkunftsland“ weichspülen lassen, zum behüteten Gute-Laune-Lan… | |
zum Dänemark des Balkans? | |
## Die Albanier sind besorgt | |
„'Sicher‘: wenn ich das Wort nur höre!“, höhnt Tarik Rexhepi nach der | |
dritten Runde Raki-O. „Das ist der Stempel für ‚schwach, charakterlos und | |
langweilig‘!“ Rexhepi legt die vernarbte Stirn sorgenvoll in die Hände. | |
„Und bald sollen unsere Zuhälter auch noch Elternzeit einreichen, oder wie? | |
Und was kommt als nächstes? Anschnallgurte für Roma?“, seufzt der junge | |
Diplomat, der mit der halben Regierung seines Heimatlands blutsverwandt | |
ist. | |
Die Sorge treibt ganz Albanien um. Auch Bujar Nishani. In der Hauptstadt | |
Tirana, auf dem Skanderbeg-Platz, hielt der Staatspräsident jüngst vor | |
Tausenden eine donnernde Rede zur Lage der Nation: „Mein Ururgroßvater war | |
korrupt. Mein Urgroßvater war korrupt. Mein Vater war korrupt, und auch ich | |
lasse mir diesen Spaß nicht nehmen!“ Zustimmende Pfiffe. „Bürger Albanien… | |
wir lassen uns nicht pampern – schon gar nicht von diesen Muttersöhnchen | |
aus Deutschland!“, gellte Nishani und erntete von allen Seiten frenetischen | |
Applaus. | |
Was den Staatsmann noch mehr beflügelte: „Uli Hoeneß, Helmut Kohl, Armin | |
Meiwes, das waren noch deutsche Männer mit Kante! Aber von diesen | |
verweichlichten Sitzpinklern wie Thomas de Maizière oder Wolfgang Schäuble | |
lassen wir uns gar nichts sagen!“ Dann malte Nishani mit markigen Worten | |
ein Horrorszenario in die winterlich-mediterrane Luft. Prophezeite in | |
apokalyptischen Worten ein Land voller Airbags, Zebrastreifen, | |
Fahrradschlössern und Treppenliften in Kellerpuffs. „Elternzeit für Männer? | |
Ich sage: Das ist Folter!“, schloss das Staatsoberhaupt seine Rede unter | |
donnerndem Jubel. | |
## Drohende Kränkung abwenden | |
Um die drohende Kränkung für Albanien noch rechtzeitig abzuwenden bleibt | |
einiges zu tun. Das angekratzte Image des verwegensten Landes Europas muss | |
gerettet und das Gütesiegel des „unsicheren Herkunftslandes“ ein für alle | |
Mal behalten werden. Zuhälter und Drogenbosse, Regierungsbeamte und | |
Ziegenhirten, Menschenhändler und Minister, Hütchenspieler und Polizisten, | |
alle müssen an einem Strang ziehen. Ein Menschenhandelsabkommen mit | |
Transnistrien wird gerade ratifiziert. Neue Diskriminierungsgesetze sind | |
unterwegs. International gesuchte Fifa-Funktionäre werden soeben einbürgert | |
und in die Regierung geholt. Eine Arbeitsgruppe arbeitet an der besseren | |
Vernetzung des organisierten Verbrechens. Der Ring albanischer | |
Wirtschaftsvettern lädt ein zu Thinktanks. In Tirana wird das neue | |
Korruptionsmuseum in Kürze eröffnet. Vom Kurator über den Pressesprecher | |
bis hin zum Sicherheitspersonal sind sämtliche Mitarbeiter minderjährige | |
Neffen des Staatspräsidenten. | |
Auto-Anschnallgurte für Minderjährige sind ab sofort verboten. Ohnehin rare | |
Leitplanken werden abmontiert und zu Munitionshülsen umgeschmiedet. Denn | |
die braucht man dringend für die geplanten Guerilla-Aktionen auf der | |
Balkanroute. Die entlangstromernden Flüchtlinge sollen ordentlich | |
erschrecken. Ob diese und weitere ehrgeizige Aktionen ausreichen, die | |
deutsche Regierung in ihren diabolischen Plänen noch zu stoppen, das | |
allerdings zeigt sich erst im neuen Jahr. | |
18 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Ella Carina Werner | |
## TAGS | |
Albanien | |
Flüchtlinge | |
Schwerpunkt Korruption | |
Arbeitsmarkt | |
Dinner | |
Theater | |
Deutschland | |
Duisburg | |
Oxfam | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Notare am Arsch | |
Roboter ersetzen die altehrwürdigen Juristen. Denn die können ebenso gut | |
Dokumente abstempeln und unterschreiben – und schneller. | |
Die Wahrheit: Brinner forever! | |
Gastronomie: Ein neuer Essenstrend macht vor gar nichts Halt. Ein Brinner | |
verbindet Breakfast und Dinner und den Morgen mit dem Abend. | |
Die Wahrheit: Rührend ungelenk | |
„Experten des Alltags“ erobern die Welt. Die Wahrheit stellt die fünf | |
wichtigsten Versuchsexemplare aus Theater und Wirklichkeit vor. | |
Die Wahrheit: Deutschland ist geil | |
Von jungen Menschen kann man es lernen: Der eigene Patriotismus lässt sich | |
am besten am schlechten Beispiel anderer Länder entfachen. | |
Die Wahrheit: Degrowth in Duisburg | |
Wer oder was ist eigentlich dieses Postwachstum? Eine Modellstadt am | |
Niederrhein macht bereits heute vor, wie Zukunft geht. | |
Die Wahrheit: Im dicken Doppeldecker | |
Die achtzig reichsten Menschen der Welt sitzen in einem Bus und fahren | |
durch London, während sie mit sich und anderen Fahrgästen zu tun haben. |