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# taz.de -- EU verwässert Fleischkontrolle: Brandbrief vom Fleischbeschauer
> Niedersachsens Tierärzte und Kontrolleure sorgen sich um die Güte der
> Fleischkontrollen. Wegen EU-Vorgabe dürfen sie nur noch schauen statt
> schneiden.
Bild: „Unter diesen Voraussetzungen sehen wir keinen Sinn mehr in unserer Arb…
HANNOVER taz | Für August Höne ist die Sache klar. „Das Fleisch muss bei
der Kontrolle angeschnitten werden“, sagt er. „Sonst können wir viele
Abszesse und Krankheiten gar nicht erkennen.“ Rentner Höne weiß, wovon er
spricht. Sein ganzes Berufsleben lang war er Fleischkontrolleur, 25 Jahre
leitete er den Niedersächsischen Landesverband der Fleischfachassistenten.
Die gesetzlichen Vorgaben zur Fleischuntersuchung hätten eine
ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung schon immer schwierig gemacht, sagt Höne.
Doch bis vor zwei Jahren hatten er seine Kollegen immerhin 50 Sekunden zur
Verfügung, um ein geschlachtetes Schwein zu kontrollieren. Gerade genug, um
das Fleisch anzuschauen, zu betasten, bei Verdachtsmomenten anzuschneiden
und gegebenenfalls zu entsorgen.
Doch seit Juni 2014 hat die Europäische Union per Verordnung die sogenannte
visuelle Fleischuntersuchung eingeführt. Die amtlichen Kontrolleure dürfen
die an den Schlachtbändern vorbeiziehenden Tiere nur noch angucken –
maximal 12 Sekunden lang. Als einen wesentlichen Grund für diese
Untersuchungsform gibt die EU an, dass die Gefahr von
„Kreuzkontaminationen“ so vermieden würde. Damit ist die ungewollte
Übertragung von Verunreinigungen auf einwandfreie Lebensmittel über die
Hände und Bestecke der Beschäftigten und Kontrolleure gemeint.
Herbert Ahrens, der jetzige Vorsitzende des Landesverbandes, glaubt
hingegen, dass die großen Fleischfabrikanten wie „Danish Crown“ Druck auf
Brüssel gemacht haben. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz im dänischen
Randers, die größte deutsche Niederlassung ist im Kreis Cloppenburg.
„Danish Crown“ habe nur die Stückzahlen und den Umsatz im Blick. Ahrens
belässt es aber nicht bei mündlicher Kritik. In einem Brief an das
Niedersächsische Landwirtschaftsministerium, den Kreis Cloppenburg und
weitere Empfänger listet er auf, was ihm an der EU-Vorgabe alles nicht
passt. Das Schreiben, das der taz vorliegt, haben bislang 50
Fleischkontrolleure und Tierärzte unterzeichnet.
„Neuerdings kennzeichnen wir die Beanstandungen nur noch mit blauer Farbe“,
heißt es dort etwa: „Dabei ist es völlig gleichgültig ob es sich um eine
eitrige Pneunomie handelt, eine Enteritis oder eine Perikarditis. Alles was
blau markiert ist, soll von ‚Werksvertragsarbeitern‘ abgearbeitet werden.“
Angesichts der hohen Bandgeschwindigkeit – rund 750 Schweine passieren bei
„Danish Crown“ die einzelnen Stationen – gelingt das den Beschäftigten o…
nicht. Auch eine Reinigung der Hände und der Messer sei wegen des immensen
Zeitdrucks nur selten möglich.
Auch beanstandete Partien am Tierkörper würden im Akkord, „unter
Nichtbeachtung der Schlachthygiene“ von den Beschäftigten mit Werkverträgen
entfernt. „Das amtliche Fachpersonal, Tierärzte und amtliche
Fachassistenten, steht daneben und greift vor Angst vor ständigen Debatten
mit den Verantwortlichen des Schlachthofbetriebes nicht mehr ein.“
Weil im Frühjahr Stellen wegfielen, sagt Ahrens, muss eine Person pro
Stunde mehr als 700 tote Tiere untersuchen. Unter diesen Voraussetzungen
„sehen wir keinen Sinn mehr in unserer Arbeit“.
„Danish Crown“ hält die Vorwürfe aus dem Brief für falsch. „Das Schrei…
ist nicht korrekt, die Kritik ist nicht berechtigt“, sagte Geschäftsführer
Andreas Rode dem NDR. Der Verbraucherschutz und die Lebensmittelsicherheit
seien gewährleistet. Die Kritik an der „visuellen Fleischbeschau“ erklärt
sich Rode mit der „Unsicherheit der Fleischfachassistenten“.
Bei Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer rennen die
Kontrolleure hingegen offene Türen ein. Der Grünen-Politiker ist für
schärfere Kontrollen. „Wir haben als einziges Bundesland mit zwei Erlassen
gesagt: Man muss mehr kontrollieren, man muss mehr Untersuchungszeit
aufwenden.“ Jetzt komme es aber darauf an, dass die Kommunen die Erlasse
auch richtig umsetzten. Die EU-Verordnung selbst kann Meyer allerdings
nicht kippen.
13 Dec 2015
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
EU-Verordnung
Fleisch
Bundesverfassungsgericht
Schweinefleisch
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