# taz.de -- Ausstellung „Max Beckmann und Berlin“: Berlin ist die Hölle | |
> Die Berlinische Galerie dokumentiert erstmals die Bedeutung der Großstadt | |
> Berlin für die Entwicklung des Künstlers Max Beckmann. | |
Bild: Max Beckmanns „Sintflut“ in der Berlinischen Galerie. | |
Die Verortungen von Max Beckmann, sind das nicht eigentlich die Städte | |
Leipzig, Frankfurt am Main, Amsterdam, Paris, New York, San Francisco? Von | |
diesen Arbeits- und Wohnorten erzählen berühmte Motive Beckmanns wie die | |
Frankfurter „Eiserne Brücke“ (1922), die „Party in Paris“ (1947) oder … | |
Francisco“ (1950). Aber Berlin? | |
Die Berlinische Galerie, das Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und | |
Architektur, bringt nun mit „Max Beckmann und Berlin“ in der Jubiläumsschau | |
zum 40. Geburtstag des Hauses Unerwartetes zum Vorschein: An der Stadt und | |
ihrer Kunstszene hat sich Max Beckmann (1884 bis 1950) jahrelang gerieben, | |
gehäutet, gestoßen. Trotzdem war es – manchmal – eine Liebesbeziehung. | |
Auf den ersten Blick irritiert die Gleichung Beckmann und Berlin. Beckmann | |
ist nicht der „Chronist der Großstadt“, nicht der Maler der „Hauptstadt | |
aller modernen Häßlichkeit“ wie Karl Scheffler 1910 Berlin betitelte. Zudem | |
ließ der Maler, als er 1937 Berlin verließ, um ins Amsterdamer Exil zu | |
gehen, wenig Gutes an der „gespenstischen Welt“ der Nazihauptstadt. | |
Nach dieser Flucht führte kein Weg zurück. Beckmann starb 1950 in New York. | |
Umgekehrt breitete Berlin nicht gerade rote Teppiche für den Künstler aus. | |
Eine große Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie liegt über 30 Jahre | |
zurück. Bilden Max Beckmann und Berlin darum nicht eher Antipoden? | |
Die Berlinische Galerie weicht dieser Frage nicht aus. Beckmanns späteres | |
Interesse für bekannte Straßen und Plätzen der Reichshauptstadt ist anfangs | |
gering, die Stadt als Sujet kaum Thema. Sein erstes Berliner Werk „Junge | |
Männer am Meer“ (1905), ein flirrend-leichtes Strandmotiv mit Akten, | |
erscheint ebenso wie das große, sanfte „Doppelbildnis Max Beckmann und | |
Minna Beckmann-Tube“ (1909) wie ein Zitat aus dem kunsthistorischen | |
Katalog. | |
## Beckmann verheddert sich | |
Statt nach Stadt ist der junge Max Beckmann zwar auf der Suche nach neuen | |
Ausdrucksformen, verheddert sich aber in den Traditionen des Symbolismus | |
und des Impressionismus sowie in den Vorbildern Max Liebermann, Edvard | |
Munch und Paul Cézanne. | |
Die ersten Berlinmotive schleichen sich – fast heimlich – in | |
denBeckmann’schen Themenradius ein. Nach seinem Kunststudium in Weimar und | |
einem Parisaufenthalt hatte der Maler 1904 sein erstes Atelier in | |
Berlin-Schöneberg bezogen. Berlin war für ihn hip. „Du solltest wirklich | |
nach Berlin kommen. | |
Ich bin nun schon ein ganzes Jahr dort und werde wahrscheinlich auch noch | |
lange dort sein, denn es gefällt mir ausgezeichnet“, schrieb er an einen | |
Studienfreund. Was ihm „gefällt“, sind der „Alte Botanische Garten“ (1… | |
und die „Ballonfahrer beim Gordon-Bennett-Rennen“ (1908), die als lichte | |
Impressionen an idyllische Garten- oder Häuserlandschaften oder sogar noch | |
William Turner denken lassen. | |
## Wild, grausam, prachtvoll | |
Als 1909 expressionistische Künstler in die Künstlervereinigung Berliner | |
Secession drängen und Berlin sich zum Kunstzentrum der Moderne entwickelt, | |
ist auch Beckmann vom emotionalen Blick auf das Thema Großstadt, die | |
Mobilität und die urbane Gesellschaft elektrisiert. Er suche in der Stadt, | |
im Nachtleben „etwas Rauschendes, Üppiges wie Seide, die man | |
auseinanderblättert und wildes, grausames, prachtvolles Leben“, notiert er | |
einmal. | |
Diese frühe expressive Sachlichkeit präsentiert die Berlinische Galerie in | |
einer überraschenden Serie von fünf Bildern, die sich allesamt dem Thema | |
„Straße“ zuwandten. Sie zeigen Stadtlandschaften geformt aus | |
Häuserschluchten und Verkehrswegen, in denen der spätere „Zirkus Beckmann“ | |
mit seinen wilden Großstadtorgien und aufgetürmten Menschenleibern | |
durchscheint. | |
Dass die Berlinische Galerie diese erste Berlinphase des Künstlers ganz im | |
Geist ihrer eigenen Sammlung breit ausstaffiert mit Werken der | |
Zeitgenossen, ist zwar schön anzusehen, bringt aber kaum mehr für das Thema | |
Beckmann und Berlin. Für die Navigation in neue Beckmann-Gewässer hätte es | |
genügt, die Entwicklung Beckmanns vom Berliner Spätimpressionisten zum | |
späteren Maler und besonders Grafiker der Großstadt inmitten des grausigen | |
Welttheaters zu veranschaulichen. | |
## Stadt als Raum der Moderne | |
Beckmanns zeichnerisches Werk ist radikal, expressiv, mit der Nadel oder | |
dem Stift wirft er harte Konturen auf das Blatt oder skizziert die | |
Situationen. Es überrascht in der Schau, dass Max Beckmann das Thema Berlin | |
als distanzierter Betrachter am besten bewältigt. Als der Künstler nach | |
seinem desaströsen Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg 1915 nach Frankfurt | |
zieht und von dort mit einem grafischen Werk auf Berlin zurückblickt, wird | |
die Stadt als Raum der Moderne sichtbar. | |
1919 erscheint seine Lithografienfolge „Die Hölle“, in der das | |
Nachkriegsberlin, die revolutionären Unruhen und die Ausgestoßenen in | |
manieristischer Überzeichnung thematisiert werden. „Die Hölle“ wurde zu | |
einem der epochalen grafischen Zyklen der frühen Weimarer Jahre. | |
Bei Beckmanns zweitem Berlinaufenthalt von 1933 bis 1937, nach seiner | |
Entlassung als Lehrer an der Frankfurter Städel-Schule, geht der Schau | |
etwas die Luft aus. Beckmann war zunehmend in eine Isolation geraten, seine | |
Bilder von den Nazis aus den Museen verbannt worden. Er malt wunderbare | |
Porträts von Freunden und macht sich auf die Suche nach den historischen, | |
mythologischen Themen, die sein Spätwerk bestimmen. Berlin hat er da schon | |
aus dem Blick verloren. | |
„Max Beckmann und Berlin“: Berlinischen Galerie bis zum 15. Februar 2016 | |
19 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Rolf Lautenschläger | |
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Hannover | |
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