# taz.de -- Ausstellung in Hannover: Einfach mal innehalten | |
> Was tun wir, wenn wir nichts tun? Und warum tun wir das so selten? | |
> Gekonnt widmet sich eine Ausstellung in Hannover dem Nichtstun und dem | |
> Faulenzen. | |
Bild: Berückend: Kollektives Wenigtun, 1957 in Ostberlin. | |
HANNOVER taz | Was Matthias heute wohl macht? Vielleicht hat er | |
mittlerweile selbst Kinder, die in ihrem Zimmer die Poster ihrer Stars | |
hängen haben. So wie Matthias damals in seinem Zimmer, von den Beatles und | |
anderen Kerlen mit langen Haaren. Dazu sein typisches Jugendlichenbett, | |
schmal in die Ecke gedrängt. | |
Am 1. September des Jahres 1979 stellte Matthias dem Fotokünstler Heinrich | |
Riebesehl dieses Bett zur Verfügung. Der zückte tags darauf seine Kamera, | |
und so gehören Bett und Zimmer zu Riebesehls Serie „Unterwegs in fremden | |
Betten“: eine illustre Reihe von Betten samt Zimmern, in denen der Künstler | |
die 70er-Jahre hindurch schlief; mal in Pensionen, oft aber auch privat, so | |
wie bei Matthias’ Eltern in Ratzeburg. | |
Zu sehen ist das zurzeit im Sprengel-Museum in Hannover. Dort beschäftigt | |
sich die [1][Ausstellung „Auszeit“] mit den Momenten, in denen wir nichts | |
tun – oder zumindest glauben, dass wir nichts täten. Verantwortlich ist | |
dafür Dörthe Wilke, die derzeitige wissenschaftliche Volontärin des Hauses: | |
Sie hatte die Idee und arbeitete sich anschließend tapfer durch die nicht | |
gerade schmale Sammlung des Museums. Weit über 500 Arbeiten hat sie | |
gesichtet, ausgewählt, wieder verworfen und am Ende 110 aufhängen und | |
manchmal auch aufstellen lassen. | |
„Eine Ausstellung über das Nichtstun zu konzipieren“, sagt Wilke im | |
Rückblick, „macht wahnsinnig viel Arbeit.“ Und sie erzählt von einer | |
Grunderfahrung, die sie während dieser Arbeit machen durfte: Zur Zeit, die | |
einem fehlt oder die zumindest immer zu knapp bemessen scheint, habe jeder, | |
aber auch wirklich jeder etwas zu sagen. | |
Erst einmal aber gibt es viel zu gucken auf diesem so unterhaltsamen wie | |
klugen und hintersinnigen Rundgang durch die Kunstgeschichte: Max Beckmann, | |
Franz Marc, Emil Nolde und Pablo Picasso sind mit Motiven Ruhender, | |
Schlafender oder auch nur Verharrender vertreten. Von Helga Paris sind | |
Exponate ihrer schön-delierirenden SW-Serie „Berliner Kneipen“ zu sehen; | |
Arthur Kampf zeigt auf einer Radierung von 1902, wie ein Mann nutzlos | |
Badenden zuschaut – betitelt: „Der Einsame“. | |
So ist es eine feine, fast stille Themenausstellung geworden, die den | |
Besucher nicht mit steilen Thesen aufwühlen will, sondern ihn eher sanft | |
auf das verweist, was uns so oft fehlt: dass wir einfach mal stehen | |
bleiben, einfach mal innehalten, uns einfach mal verlieren – wobei das | |
gedämpfte Licht des Untergeschosses sehr hilfreich ist. | |
Berückend wirkt da etwa eine frühe Fotografie von Arno Fischer, aufgenommen | |
1957 in einem Ostberliner Park: Menschen erholen sich vom Tage. Es ist kein | |
technisch perfektes Bild, leicht unscharf sogar, aber eines, das ganz | |
eigensinnig diese Stimmung wiedergibt, wenn wir beim Entspannen nicht | |
alleine sind. Auch Boris Mikhailov, der Berserker unter den | |
zeitgenössischen Fotografen, kommt ungewohnt leise und ruhig daher: Er hat | |
eine Gruppe älterer Frauen auf einer Parkbank abgelichtet; sie sitzen | |
einfach da und wirken sehr zufrieden und entspannt. Auch, als würden sie | |
gerade nichts vermissen. | |
## Kreuzzug gegen die Zigarette | |
Was geschieht, wenn der dem Klischee nach immer tätige Künstler mal nicht | |
den Zeichenstift führt, nicht das Linolmesser zückt und nicht auf den | |
Auflöser drückt? Gut gefällt dazu die Arbeit „Work“ von Pavel Büchler: | |
Büchler ist leidenschaftlicher Raucher und so hat er in den vergangenen | |
sieben Jahren Momente festgehalten, in denen er zur Zigarette griff. Oft | |
alleine ist er zu sehen, aber auch mit Künstlerkollegen oder | |
Ausstellungsmachern, darunter Sprengel-Chef Reinhard Spieler. | |
Gezeigt werden diese Bilder nun als Slideshow, die jedes Bild gut vier | |
Minuten stehen lässt – etwa eine Zigarettenlänge. Eine Hommage, die das | |
Verdrängen des Rauchens aus dem öffentlichen und zunehmend auch dem | |
privaten Raum in ein anderes Licht setzt: Gesundheit hin oder her – ist der | |
Kreuzzug gegen die Zigarette vielleicht auch einer gegen die Pause, gegen | |
die Auszeit? | |
Es fehlen allerdings auch nicht die Gegenbilder: Eindrücke von | |
unfreiwilligem Stillstand, wie ihn Arbeitslosigkeit oder auch Krankheit | |
hervorbringen. Und nach Ausruhen und Schlaf ist auch der Tod, der jede | |
Diskussion über den rechten Umgang mit der uns zugewiesenen Zeit auf seine | |
Weise beenden wird, immer wieder Thema. | |
Die Ausstellung soll aber nicht nur Anregungen nach außen geben. Sie soll | |
auch nach innen wirken, in den Museumsbetrieb hinein. Eine erste Folge: Das | |
Haus selbst hat die Eröffnung seines Erweiterungsbaus gerade verschoben, | |
von vor den Sommerferien auf die Wochen danach – um, ja, mehr Zeit zu | |
haben. | |
Zugleich soll der neue Bau drei Logen enthalten, in denen man sich | |
unbehelligt ausruhen und seinen vielleicht ganz eigenen Gedanken nachhängen | |
kann. „Der Zeitnachhall zeigt auch so seine Wirkung“, ist sich Hausherr | |
Reinhard Spieler sicher, „und das vorher Gesehene kann ohne zielgerichtetes | |
Nachdenken sacken.“ Er plädiert überhaupt dafür, dass das Kunstmuseum sich | |
seinerseits nicht hetzen lassen sollte. | |
## Am Ende: Versinken | |
Dazu passend kann sich der Besucher am Ende dieser Ausstellung ruhig zu | |
Boden sinken lassen; kann auf einem von vier grauen Sitzsäcken lümmelnd | |
eintauchen in Piero Steinles „Triphibious Construction“: Ein Schwimmer | |
zieht durch ein vom Meer getrenntes Schwimmbecken, dazu erklingt ein | |
wohliges Stück für Streicher und Bläser von John Cage. Was für ein Stück | |
genau? | |
Spieler muss passen. „Ich wollte schon bei Shazam nachschauen, aber hier | |
unten ist kein Empfang“, sagt er entschuldigend. Und lauscht der Musik, die | |
einen auf gänzlich unaufgeregte Art mitnimmt, und sieht dem Schwimmer zu, | |
der jetzt unter düsterem Himmel nach rechts verschwindet, aber gleich | |
wieder auftauchen wird, mit kräftigen, exakten Armschlägen, konzentriert | |
und verlässlich. | |
## „Auszeit. Vom Faulenzen und Nichtstun“: bis 30. August, Hannover, | |
Sprengel Museum | |
13 May 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.sprengel-museum.de/ausstellungen/vorschau/auszeit-vom-faulenzen-… | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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