# taz.de -- Nach den Regionalwahlen in Frankreich: Der aufhaltsame Aufstieg des… | |
> Der rechtsextreme Front National liegt in Führung. Die Strategie war seit | |
> Langem bekannt, aber niemand nahm sie ernst. | |
Bild: In Siegerpose: FN-AnhängerInnen. | |
PARIS taz | Das waren ja nur Zwischenwahlen in den Regionen und die haben | |
auch nur eine sehr beschränkte Macht – so versuchte man sich am Montag in | |
den Parteizentralen von Sozialisten, Grünen und Kommunisten zu beruhigen | |
oder zu trösten. Genauso wie im bürgerlichen Lager bei den Konservativen | |
und Zentrumsdemokraten. | |
Tatsächlich aber ist beim ersten Durchgang der Regionalwahlen etwas | |
eingetreten, was die Gegner der extremen Rechten in Frankreich seit vielen | |
Jahren geahnt, aber nicht wirklich als politische Perspektive ernst | |
genommen haben: Die Machteroberung durch den Front National ist nicht mehr | |
eine spielerische Hypothese von Politologen, sondern eine reelle Aussicht. | |
Das kann man nach diesem ersten Wahlsonntag in den Regionen nicht mehr | |
wegreden. Denn in 6 von 13 Regionen liegt der Front National (FN) in | |
Führung. Und dies zum Teil sehr deutlich mit mehr als 40 Prozent der | |
Stimmen im Süden zwischen Marseille und Nizza | |
(Provence-Alpes-Côted’Azur)und auch im Norden vom Ärmelkanal bis ins Elsass | |
(in den Regionen Nord-Pas-de-Calais-Picardie und | |
Alsace-Lorraine-Champagne-Ardenne). Und mit klaren Abstand zu den Gegnern. | |
Außer vielleicht bei den Präsidentschaftswahlen von 2002, als Jean-Marie Le | |
Pen gegen Jacques Chirac in die Stichwahl kam, hat der FN noch nie einen | |
solchen Triumph feiern können. Anders als ihr Vater will aber die heutige | |
Parteichefin Marine Le Pen nicht nur provozieren und schockieren. Sie will | |
wirklich an die Macht. Für sie sind diese Regionalwahlen kein Selbstzweck, | |
sondern eine letzte Etappe vor 2017, wenn es um die Präsidentschaft und die | |
Regierungsmacht geht. Das wusste man seit Langem, so unaufhaltsam wäre | |
dieser Marsch durch die Institutionen nicht. | |
## Spiel gegen das System | |
In den Analysen der Ergebnisse wird immer wieder betont, es handelt sich um | |
ein Votum der Angst und der angestauten Wut in Volksschichten, die sich von | |
den übrigen Parteien vergessen und verraten fühlen. Doch daran dürfte sich | |
in knapp zwei Jahren nichts ändern. | |
Der FN spielte auch in dieser Wahlkampagne geschickt mit dem Image einer | |
„Antisystem“-Partei, die vom Establishment der Politik und der Medien | |
ausgegrenzt wird. Viele FN-Wähler kennen das FN-Programm nicht oder sind | |
mit dessen Inhalt nicht einverstanden; aber sie identifizieren sich mit | |
einer Partei, die ihnen sagt, sie sei als einzige für die herrschenden | |
Verhältnisse überhaupt nicht mitverantwortlich. | |
Die Sozialisten, die seit 2004 und 2010 mit anderen Linksparteien und den | |
Grünen außer im Elsass in allen Regionen (damals waren es noch 22) eine | |
Mehrheit hatten, sind dieses Mal fast überall auf dem dritten Platz | |
gelandet und haben in einigen nicht einmal mehr 20 Prozent. Sie bezahlen | |
damit die Zeche für eine Regierung, deren Leistungsbilanz auch in den | |
eigenen Reihen schwer enttäuscht hat. | |
Eben daher trat die Linke zudem gespalten und zerstritten an. Die Grünen | |
hatten in den meisten Fällen das Angebot der Sozialisten, gemeinsame Listen | |
zu bilden, abgelehnt. Auch die „Linksfront“ aus Linkspartei und Kommunisten | |
trat mit eigenen Listen an, während die parlamentarische Rechte überall | |
geeint kandidierte. | |
## Zersplitterte Linke | |
Zusammengezählt wären die Listen der gesamten Linke eindeutig die stärkste | |
Kraft. Jetzt aber ist der FN ebenso klar mit einem durchschnittlichen | |
Wähleranteil von 28 bis 30 Prozent die stärkste Partei Frankreichs. | |
Für das bürgerliche Lager hat sich die Wahleinheit gelohnt. Wo der FN | |
besonders stark ist, liegen die Listen von Konservativen und Zentristen auf | |
dem zweiten Platz. Kleinlaut, aber im Namen ihrer Prinzipien haben die | |
Sozialisten darum angekündigt, dass sie mindestens in den drei Fällen, wo | |
der FN die größten Chancen auf die Eroberung der Region hat, ihre Listen | |
aus der Stichwahl zurückziehen. Sie ziehen es damit vor, den konservativen | |
Gegnern eine Chance in der Stichwahl zu geben. Ob das reicht, um den FN am | |
kommenden Sonntag im Norden oder an der Côted’Azuran der Wahlurne zu | |
stoppen, ist ungewiss. | |
Auch in den übrigen Fällen wird die gespaltene Linke ihre Mühe haben, sich | |
jetzt in wenigen Tagen noch zusammenzuraufen. Ihre einzige Motivation dazu | |
ist, den FN mit allen Mitteln am Durchbruch zu hindern: Wo immer es geht | |
mit einer letzten dramatischen Mobilisierung; und andernfalls mit dem | |
Gegenteil: einem Verzicht, der den Bürgerlichen das Feld überlässt. | |
## Kapitulation aus Angst | |
Für die Linke ist diese Kapitulation aus Angst vor einem totalen Wahlsieg | |
der extremen Rechten eine politische Katastrophe, denn die Geste aus | |
demokratischer Überzeugung wird von rechts nicht erwidert. Expräsident | |
Nicolas Sarkozy, der Chef der konservativen Partei Le Républicains (LR), | |
hat noch am Wahlabend sofort erklärt, dass seine Listen nirgends | |
zurückgezogen werden, wo sie für den zweiten Durchgang qualifiziert sind – | |
also heißt auch dort nicht, wo diese keine Chancen haben und wo die Linke | |
im Finale gegen den FN klar die besseren Aussichten hätte. | |
Das kann angesichts der Ausgangslage nichts anderes heißen, als dem FN | |
voraussichtlich zwei oder drei Regionen zu überlassen. Sarkozy hat mehrfach | |
gesagt, dass die extreme Rechte des FN für ihn als Gegner nicht schlimmer | |
sei als die Sozialisten. | |
So oder so sind diese Wahlen in den Regionen für Staatspräsident François | |
Hollande und seine sozialistische Regierung eine Katastrophe zu einem | |
Zeitpunkt, wo die französische Staatsführung im Kampf gegen den Terrorismus | |
oder auch in laufenden Verhandlungen an der Pariser Klimakonferenz ein | |
Maximum an Glaubwürdigkeit und Autorität bräuchte. | |
7 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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