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# taz.de -- Reisetauglich per Ferndiagnose: Abschiebung macht gesund
> Ein kranker Sudanese soll abgeschoben werden. Eine Amtsärztin hatte ihr
> Okay gegeben, ohne den Patienten jemals untersucht zu haben.
Bild: Reisefähig? Amtsärztin schaut sich Asylbewerber vor der Abschiebung nic…
Hamburg taz | Eigentlich hätte der sudanesische Asylbewerber S. schon
längst in Italien sein sollen: Seine Abschiebung vom Hamburger Flughafen
aus war für Freitag angesetzt. Doch daraus wurde nichts. S. liegt derzeit
wieder in einem Krankenhaus in Hannover. Eine Amtsärztin der Region
Hannover, wo der Mann lebt, hatte dem 45-Jährigen trotz einer schweren
Augenverletzung zuvor noch die Flugreisefähigkeit bescheinigt – allerdings
ohne S. ein einziges Mal persönlich untersucht zu haben. Das geht aus dem
Gutachten der Ärztin an den Fachbereich Öffentliche Sicherheit hervor, das
der taz vorliegt.
Der Asylbewerber litt am Freitag unter Schwindelattacken und starken
Kopfschmerzen – mögliche Folge eines gestiegenen Augeninnendrucks. Als er
sich in der Notaufnahme meldete, wurde er sofort stationär aufgenommen.
„Die Amtsärztin wusste nicht, in welchem Zustand er war“, kritisiert der
Anwalt des Sudanesen, Paulo Dias. Er vermutet, dass die Medizinerin nicht
einmal persönlich mit den behandelnden Ärzten gesprochen hatte. In ihrem
Gutachten steht: „Nach Rücksprache der Ausländerbehörde mit den Ärzten des
behandelnden Krankenhauses besteht Flugreisefähigkeit.“
Warum sollte die Amtsärztin schreiben, dass die Behörde mit den Ärzten in
Kontakt gestanden habe, wenn sie selbst mit ihnen gesprochen hätte, fragt
Dias. Weder die Region Hannover noch das niedersächsische Innenministerium
äußerten sich gestern vor Redaktionsschluss zu dem Fall oder der Frage, ob
solche Ferndiagnosen gängige Praxis seien.
Dias kritisiert die Behörden. Wenn Asylbewerber abgeschoben würden,
verändere das ihr ganzes Leben. „Da können sie wohl erwarten, dass man sie
persönlich untersucht“, sagt Dias. Zudem bestehe bei seinem Mandanten eine
echte Gefahr für Leib und Leben. Wie lange dieser noch in der Klinik
bleiben muss, sei bisher unklar.
S. war Ende August mit dem Fahrrad gestürzt und hatte sich dabei das linke
Auge schwer verletzt. Im Oktober musste der Asylbewerber operiert werden.
Die Ärzte entfernten ihm die Linse und ersetzten sie durch eine künstliche.
Nach der Operation kam es zu Komplikationen. Die Fachärzte des Klinikums
Nordstadt schrieben deshalb in ihrem Bericht, dass weitere ambulante
ärztliche Kontrollen nötig seien. Wenn erneut der Augendruck ansteige oder
es zu einer Infektion komme und dies nicht schnell behandelt würde,
bestünde sogar das Risiko, dass S. erblinden könne.
Eine angemessene medizinische Nachsorge sei in Italien, dem Land in das S.
nach der europäischen Dublin-Regelung abgeschoben werden sollte, für
Flüchtlinge nicht sichergestellt, sagt der Geschäftsführer des
niedersächsischen Flüchtlingsrates, Kai Weber. In Italien funktioniere
nicht einmal die Unterbringung der Asylbewerber reibungslos. Viele
Flüchtlinge schlafen auf der Straße. „Wenn Menschen krank sind, brauchen
sie die Chance, hier in Deutschland ein Asylverfahren zu bekommen“, sagt
Weber deshalb.
Die Frage, wie gut Asylbewerber in den Ländern, in die sie abgeschoben
werden, medizinisch versorgt würden, werde von der Politik ausgeblendet,
kritisiert Weber. Es solle verhindert werden, dass Abschiebungen an
gesundheitlichen Gründen scheiterten. „Es geht nur darum, ob sie den Flug
zum Zielort überleben“, sagt Weber. Deshalb würde den Patienten lediglich
eine „Flugreisefähigkeit“ und nicht wie zuvor eine „Reisefähigkeit“
attestiert.
## Ferndiagnosen eher selten
Im Fall von S. schrieb die Amtsärztin, dass er „flug-/reisetauglich“ sei,
wenn er von einem Arzt begleitet und mit Medikamenten versorgt werde. Die
Augenerkrankung war der Amtsärztin bekannt, ein Hindernis sah sie darin
nicht. Laut Weber sind solche Ferndiagnosen die Ausnahme. „Viele Amtsärzte
machen ihre Arbeit sehr gewissenhaft.“ Es gebe aber auch schwarze Schafe,
die „beflügelt durch die Wünsche der Behörden“ auf die Untersuchung der
Asylbewerber verzichteten.
Für Anwalt Dias hätten Flüchtlinge das Recht, bei drohender Abschiebung von
einem Amtsarzt untersucht zu werden. Ein Gutachten auf ältliche Berichte zu
stützen, sei gefährlich: der Gesundheitszustand könne sich ändern.
1 Dec 2015
## AUTOREN
Andrea Scharpen
## TAGS
Abschiebung
Sudanesische Flüchtlinge
Flüchtlinge in Niedersachsen
Flüchtlinge
Psychotherapie
Abschiebung
Schwerpunkt Flucht
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Flüchtlinge
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