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# taz.de -- Rechtskonservative Politiker in Israel: Die Herrschaft der Clowns
> In Israel machen rechte und nationalreligiöse Politiker mit absurden
> Gesetzesvorschlägen auf sich aufmerksam. Das Ziel ist nicht deren
> Umsetzung.
Bild: Der israelische Ministerpräsident Netanjahu (l.) und Ayreh Deri, Vorsitz…
In den letzten Wochen konnte man in der israelischen Politik etwas
Seltsames beobachten: Rechtskonservative und nationalreligiöse israelische
Politiker schienen beschlossen zu haben, das Feld der Politik hinter sich
zu lassen und sich stattdessen auf eine neue Karriere zu konzentrieren –
eine Karriere als Komiker. In der Folge erschien Israel nur noch als
Parodie eines Staates – als eine Clownokratie.
Nehmen wir die hitzigen Reaktionen auf einen Kommentar der schwedischen
Außenministerin Margot Wallström. Angeblich – so wurde behauptet – habe s…
Israel eine Mitverantwortung für die terroristischen Angriffe des IS in
Paris vorgeworfen. Gesagt hatte Wallström das so nicht (obwohl man der
Fairness halber sagen muss, dass sie eine fragwürdige Verbindungslinie
zwischen IS und der Misere der Palästinenser unter israelischer Besatzung
zog). Aber diese Tatsache hielt die israelische Rechte nicht davon ab, sich
an Wallströms „zynischer, beleidigender und scheinheiliger Tat“, wie sie
der frühere Außenminister Avigdor Liebermann (“Jüdisches Heim“) nannte,
abzuarbeiten.
Was die nationalkonservativen Politiker nicht verstanden haben, war, dass
es nicht Wallström war, die als Erste diese katastrophale Verbindung
zwischen dem israelisch-palästinensischen Konflikt und den Anschlägen von
Paris hergestellt hatte. Die Rechte hatte es selbst getan. Nur wenige
Stunden nach den Anschlägen begannen israelische Politiker aus der Tragödie
politisches Kapital zu schlagen und sie mit palästinensischem Terror
gleichzusetzen.
„In Israel, ebenso wie in Frankreich, ist Terrorismus gleich Terrorismus.
Er bezieht seine Motivation aus dem radikalen Islam und dessen Wunsch nach
Vernichtung“, schrieb Premierminister Benjamin Netanjahu auf seiner
Facebook-Seite. Und Kulturministerin Miri Regev (beide Likud) postete ein
Bild auf Facebook, auf dem zu lesen war: „Paris 13/11, New York 9/11,
Israel 24/7”.
## Ein Sturm im Wasserglas
In Wahrheit vergleichen israelische Politiker die Palästinenser schon seit
Jahren mit dem IS – und schaden mit diesem furchtbaren Vergleich sowohl
Israel selbst als auch den Palästinensern. Diese Form der Überhöhung nützt
einzig dem IS. Aber als Wallström eine ähnliche Verbindung herstellte,
machte das konservative Politiker erst verlegen und dann wütend – Wallström
hatte sich nicht an ihre Regeln gehalten. Nun mag das Theater um ihre
Bemerkung letztlich bloß einen Sturm im Wasserglas entfacht haben. Dennoch
ist es ein gutes Beispiel, welche Form der Torheit Israel in den letzten
Jahren erfasst hat.
So hatte Israels Außenministerin Tzipi Hotovely (Likud) einige Wochen zuvor
in einer offenbar an Martin Luther King orientierten Rede erklärt, sie habe
„einen Traum“. Sie träume davon, dass eines Tages die israelische Flagge
über dem Tempelberg weht. Damit hat Hotovely die Regierung dazu aufgerufen,
eben jenen Status quo zu brechen, den diese Regierung einzuhalten
geschworen hat. Hotovely wünscht sich stattdessen, dass es Juden künftig
erlaubt sein soll, auf dem Tempelberg zu beten – bisher ist das Muslimen
vorbehalten.
Die letzten sechs Wochen voller Gewalt in Jerusalem, dem Westjordanland und
dem Rest von Israel sind nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was
passieren könnte, wenn der Status quo gebrochen wird. Keine
rechtsgerichtete Regierung hätte den Mut, diese Kehrtwende vollständig zu
vollziehen.
Wenige Tage später präsentierte Justizministerin Ayelet Shaked (“Jüdisches
Heim“) ein neues „Transparenzgesetz“, demzufolge NGOs künftig jede
internationale Finanzierung offenlegen müssen. Darüber hinaus sieht der
Entwurf vor, dass Mitglieder solcher NGOs bei einem Besuch der Knesset
künftig „Identifikationsschildchen“ tragen, auf denen die ausländischen
Geldgeber vermerkt sind. Ohne zu zögern gab Shaked zu, dass sich ihr
Entwurf gegen linke Organisationen richtet, von denen einige von
ausländischen Regierungen finanziell unterstützt werden, zum Beispiel auch
von der deutschen Regierung.
## Katzen und Kalkül
Auch Israels Landwirtschaftsminister Uri Ariel sorgte vor zwei Wochen für
Erstaunen: Ariel, der der Partei „Jüdisches Heim“ angehört, hat ein Probl…
mit dem staatlichen Programm zur Sterilisierung von Straßenkatzen.
Fruchtbare Katzen unfruchtbar zu machen widerspreche den religiösen
Vorschriften, sagte er. Stattdessen schlug er vor: Man solle alle
fruchtbaren Katzen Israels in andere Länder ausweisen.
Haben rechte und rechtskonservative Politiker in Israel den Verstand
verloren? Angesichts solcher Vorschläge wäre es ein Leichtes, genau das
anzunehmen. Aber was wie Wahnsinn aussieht, ist in der Tat das Ergebnis
scharfsinnigen politischen Kalküls.
Machen wir uns nichts vor: Ariel, Hotovely, Shaked und andere
rechtskonservative und nationalreligiöse Politiker, die in der
Vergangenheit ähnlich groteske Vorschläge gemacht haben, erwarten gar
nicht, dass ihre Ideen jemals umgesetzt werden. Das ist gar nicht das Ziel.
Es geht ihnen darum, die globale Linke wütend zu machen und so
internationale Verurteilungen zu provozieren. Ein internationaler Aufschrei
macht sie in den eigenen Reihen populär. Die rechte Basis begreift
ausländische Anschuldigungen als Ehrenabzeichen. Je wütender die Linke im
Ausland wird, umso beliebter werden Politiker wie Shaked und Ariel in
Israel.
Shaked weiß ganz genau, dass ihre „Brandmarkung der Linken“-Vorschlag
niemals Gesetz werden wird. Andere rechte Abgeordnete haben seit dem Jahr
2011 versucht, linke NGOs und Menschenrechtsorganisationen auf ähnliche
Weise zu benachteiligen, und sind gescheitert.
Viel wichtiger aber ist: Shaked kann gar kein Interesse daran haben, dass
ihr Entwurf durchkommt. Zum einen würde ihr dieses Gesetz selbst schaden.
Denn die Justizministerin hat in den letzten zwei Jahren eine Reihe
ausländische Spenden entgegengenommen, wie der israelische Sender Channel 2
im Juni aufdeckte, auch von dem belgischen Millionär Serge Muller, der in
diesem Jahr von Interpol wegen Verdachts auf Geldwäsche und illegalen
Waffen- und Drogenhandel festgenommen wurde. Zum anderen werden auch rechte
Organisationen, Think Tanks und Politiker in Israel mindestens in gleichem
Maße von ausländischen Geldgebern unterstützt.
## Politische Entertainer
Angesichts der Sachlage erscheinen all diese Vorschläge wertlos. Jedoch
verleihen sie ihren Ideengebern den Status internationaler personae non
gratae. Der Wert liegt in der Entrüstung selbst. Unterstützt durch die
zunehmende Isolation der israelischen Gesellschaft und dem Gefühl, das
viele Israelis haben, „die Welt werde immer gegen uns sein“, hat es sich
für rechte Politiker in den letzten Jahren stets gelohnt, internationale
Empörung zu schüren.
Netanjahus Warnung vor der letzten Wahl im März, dass „arabische Wähler in
Scharen zu den Urnen rennen“ würden, wurde international verurteilt.
Gleichzeitig hat sie dafür gesorgt, dass er mit einem erdrutschartigen Sieg
die Wahl für sich entschied. Seine Behauptung, dass der palästinensische
Mufti Haj Amin al-Husseini Hitler zum Holocaust inspiriert haben könnte,
sorgte weltweit für Aufsehen. Ihn hat diese Episode beliebter gemacht.
Dieses Phänomen, unterstützt durch Israels fragmentierte internationale
Politik, verwandelt Israel bald in einen Staat, der von politischen
Entertainern regiert wird, die es vorziehen, seltsame Vorschläge zu machen,
statt das Land tatsächlich zu regieren.
Das heißt aber nicht, dass man diese Vorschläge nicht ernst nehmen muss.
Israels „Clownokratie“ ist alles andere als lustig. Sie verstärkt die
schlimmsten Elemente, Gruppen und Trends innerhalb der Gesellschaft. Etwa,
indem die Scheindebatten von ebenjenen Kräften ablenken: Während die
Aufmerksamkeit auf die exzentrischen Vorschläge seiner Parlamentskollegen
konzentriert war, machte Netanjahu große Fortschritte bei seinem Plan,
einen nationalen Gasdeal abzuschließen, der das größte und mächtigste
Monopol der israelischen Geschichte zementieren würde.
Und die israelischen Sicherheitskräfte sind währenddessen ihrem Ziel einen
Schritt nähergekommen, das jetzt schon aufgeblasene Militärbudget zu
erhöhen, und auch die Brutalität der israelischen Besatzung im
Westjordanland geht uneingeschränkt weiter.
Es besteht die Gefahr, dass Israel sich in die Parodie eines Staates
verwandelt. Die Fundamente der Demokratie werden dem Unsinn nicht für immer
standhalten. Eines Tages werden sie den zerstörerischen Kräften des
Zynismus und der Idiotie unterliegen. Wenn es so weit ist, wird der
Wahnsinn, der von der israelischen Gesellschaft Besitz ergriffen hat, die
neue Normalität sein.
Übersetzung: Marlene Halser
1 Dec 2015
## AUTOREN
Asher Schechter
## TAGS
Israel
Politiker
Demokratie
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Schwerpunkt Klimawandel
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Schach
Palästinenser
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Israel
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