# taz.de -- Afghanistan: Die Wut der Bevölkerung wächst | |
> Eine Fraktion der Taliban hat Reisende entführt und ermordet. Das sorgt | |
> für beispiellose Proteste über ethnische Grenzen hinweg. | |
Bild: An den Protesten beteiligen sich auch viele Frauen wie hier am Mittwoch i… | |
KABUL taz | Die Proteste gegen den Mord an sieben entführten Angehörigen | |
der schiitischen Hasara-Minderheit – darunter ein neunjähriges Mädchen – | |
durch Taliban-Dissidenten haben sich am Donnerstag über ganz Afghanistan | |
ausgeweitet. Tausende protestierten in mindestens acht Provinzen. | |
Darunter waren auch wieder viele Frauen – außer im konservativen Sabul, | |
wohin die Entführten vor über einem Monat verschleppt worden waren. In der | |
Kabuler Öffentlichkeit wurde das trotzdem goutiert. | |
Die Morde werden von einigen Hasara-Aktivisten als Ausdruck eines | |
ethno-religiösen Konflikts mit den überwiegend paschtunischen Taliban | |
interpretiert. Die Demonstranten im ebenfalls paschtunischeReutersn | |
Dschalalabad wandten sich aber dagegen und riefen gestern: „Ich bin Hasara | |
und Paschtune.“ | |
Die „Sabul-Sieben“, wie die Mordopfer in afghanischen Medien genannt | |
werden, waren Ende September auf dem Rückweg in ihren Heimatdistrikt | |
Dschaghori von Bewaffneten entführt worden. Dschaghori liegt mitten in | |
einem Taliban-Gebiet. Dort gerieten sie in den Konflikt zweier Gruppen, die | |
nach dem Tod des Taliban-Führers Mullah Muhammad Omar um seine Nachfolge | |
kämpfen. | |
## Opfer eines Machtkampfes innerhalb der Taliban | |
Mainstream-Taliban griffen am Wochenende die Dissidenten in Sabul an und | |
fanden die Leichen der Entführten. Ihnen waren offenbar kurz zuvor die | |
Kehlen durchgeschnitten worden. | |
Statt die Toten zu Hause zu begraben, zogen wütende Angehörige am Mittwoch | |
mit den Särgen zum Präsidentenpalast. Auf dem Weg wuchs der Zug auf über | |
10.000 Protestierende, die größte Demonstration in Kabul seit Jahren. | |
Die Protestierenden klagten die Regierung an, ihre Sicherheit zu | |
vernachlässigen. Rufe nach ihrem Rücktritt wurden laut. Auch die Taliban, | |
der „Islamische Staat“ (IS) und einheimische Warlords wurden verdammt. | |
Trotz Nieselregens und Kälte hielten die Demonstranten bis zum Abend durch. | |
Nafisa Azizi (Name geändert), eine junge Tadschikin, sagte der taz, die | |
Polizei habe ihr nachmittags den Wiederzutritt zum Ort des Protests | |
verwehrt, als sie Essen und Decken bringen wollte. | |
## Furcht vor einem afghanischen „Tahrir“ | |
Polizei und Regierung fürchteten offenbar, dass ein „afghanischer Tahrir“ | |
entstehen könnte. Dem Tahrir-Platz in Kairo war ein wichtiger Ort der | |
sogenannten Arabellion. Solch ein Szenarium hatten Aktivisten in den | |
sozialen Medien diskutiert. | |
Präsident Aschraf Ghani weigerte sich lange, eine Delegation der | |
Protestierenden anzuhören. Erst als enttäuschte Demonstranten versuchen, | |
über die Mauern des stark gesicherten Präsidentenpalast zu klettern, und | |
nur durch Warnschüsse zurückgehalten werden konnten, ließ er sich | |
erweichen. | |
Die Protestierenden verlangten den Bau einer lange geplanten, ganze 24 | |
Kilometer langen Straße nach Dschaghori, um Einheimischen den Weg durch das | |
Taliban-Gebiet zu ersparen. Ghani blieb aber konkrete Zusagen schuldig. | |
Gestern wurde bekannt, dass der Drahtzieher der Entführungen und Chef der | |
Taliban-Dissidenten in Sabul, Mansur Dadullah, bei den Fraktionskämpfen | |
getötet wurde. | |
12 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
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