# taz.de -- Kältehilfe für Obdachlose startet: 700 Plätze für 3.000 Bedürf… | |
> Die Berliner Kältehilfe für Obdachlose wird in diesem Winter rund 700 | |
> Notschlafplätze anbieten. Ob das reicht, ist ungewiss - auch wegen der | |
> vielen Flüchtlinge. | |
Bild: Immer mehr Menschen in Berlin sind wohnungslos: Schuhregal der Notüberna… | |
Mit scharfer Kritik an „einer seit Jahrzehnten verfehlten Wohnungspolitik | |
und der immer stärker zutage tretenden sozialen Schere zwischen Arm und | |
Reich“, eröffnete die Berliner Caritas-Direktorin Ulrike Kostka am Freitag | |
die 26. Saison der Berliner Kältehilfe. Die Zahl der Wohnungslosen in | |
Deutschland sei auf einem neuen Höchststand und laut Zahlen der | |
Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe von 2012 bis 2014 um 18 | |
Prozent gestiegen. In Berlin gibt es Robert Veltmann von der Gebewo-Soziale | |
Dienste zufolge, die das Kältehilfetelefon betreibt, rund 3.000 obdachlose | |
Menschen, „genau weiß das niemand“. Andere Schätzungen gehen von 5.000 au… | |
Für sie soll es in dieser Wintersaison - die Kältehilfe für Obdachlose gibt | |
es jährlich von 1. November bis 31. März - rund 700 Notübernachtungsplätze | |
geben, 170 mehr als im vorigen Jahr, erklärte Barbara Eschen, Direktorin | |
des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg-Oberlausitz. Dazu gebe es eine | |
Vereinbarung mit Sozialsenator Mario Czaja (CDU), die Platzzahl aktuell zu | |
erhöhen, wenn „die Auslastung an mehreren Tagen bei mehr als 100 Prozent | |
liegt“, ergänzte Veltmann. | |
Die Berliner Kältehilfe - organisiert von Caritas, Diakonie, Deutschem | |
Roten Kreuz (DRK) und Gebewo - bietet in diesem Jahr Übernachtungsplätze in | |
16 Notübernachtungen und 13 Nachtcafés an. Zudem fährt die Stadtmission | |
wieder mit ihrem Kältebus und das DRK mit dem Wärmebus durch die Stadt, | |
beide verteilen Schlafsäcke und bringen hilfebedürftige Obdachlose zu den | |
Notunterkünften. Dort gibt es neben einem Schlafplatz abends ein warmes | |
Essen, morgens ein Frühstück, die Möglichkeit zu duschen, medizinische | |
Erstversorgung und Beratungsangebote. | |
All dies, so Eschen, sei nur mit „zahlreichen Ehrenamtlichen“ zu leisten. | |
Der Tagessatz von 15 Euro pro Person, den die Senatsverwaltung bezahle, | |
„reicht nicht, um ein menschenwürdiges Angebot aufrechtzuerhalten“. Daher | |
sei es gut, dass die Verwaltung signalisiert habe, den Tagessatz | |
„bedarfsgerecht“ zu erhöhen. Czajas Sprecherin Regina Kneiding relativierte | |
allerdings auf Nachfrage der taz, die gelte nur im Einzelfall, zudem müsse | |
der Mehrbedarf „natürlich“ nachgewiesen werden. | |
Ob 700 Plätze ausreichen, hängt laut Eschen vor allem davon ab, ob der | |
Senat seine Zusage einhalte, Flüchtlinge, die in Einrichtungen der | |
Kältehilfe auftauchen, abzuholen und in Flüchtlingsunterkünften | |
unterzubringen. Denn dies vor allem ist die große Sorge der | |
Kältehilfe-Organisatoren: Dass auch die vielen Flüchtlinge, die derzeit in | |
die Stadt kommen und vom für sie zuständigen Landesamt für Gesundheit und | |
Soziales (Lageso) aus Überforderung nicht alle sofort untergebracht werden, | |
die raren Kältehilfe-Plätze beanspruchen werden - und so eine Konkurrenz | |
zwischen Flüchtlingen und „deutschen“ Wohnungslosen entsteht. Schon jetzt, | |
erzählt Kostka, erreichten die Caritas über die sozialen Netzwerke viele | |
Beschwerden darüber, dass sich der Verband für Flüchtlinge engagiere, wo es | |
so viele hiesige Bedürftige gebe. | |
Daher soll es in diesem Jahr ein „rotes Telefon“ geben, mit dem die | |
Kältehilfeeinrichtungen sich beim Koordinierungsstab für Flüchtlinge des | |
Senats melden können, wenn bei ihnen Flüchtlinge ankommen. Czajas | |
Sprecherin bestätigte der taz, dass man sich dann (auch nachts) um diese | |
Menschen kümmern werde. „Es darf keine Konkurrenzsituation zwischen armen | |
und ärmeren Menschen geben“, sagte Kneiding. | |
Ganz getrennt werden Obdachlose und Flüchtlinge aber nicht überall. So wird | |
es in dieser Saison erstmals eine Einrichtung der Kältehilfe für obdachlose | |
Familien geben - und zwar nach Auskunft von Kneiding in der | |
Flüchtlingsunterkunft Marburgerstraße in Charlottenburg. Dort würden nun 25 | |
Plätze über obdachlose Familien reserviert. | |
Eine solche Einrichtung für Familien sei dringend nötig, sagte Eschen, denn | |
nicht nur die Zahl der Wohnungslosen insgesamt sei gestiegen, es gebe auch | |
immer mehr obdachlose Familien mit Kindern. In der ganzjährig geöffneten | |
Notunterkünft Fraenklinstraße hätten bis Ende September mehr als 500 | |
Minderjährige übernachtet - dabei sei diese Einrichtung nicht für Kinder | |
geeignet, wie überhaupt „Kinder in der Kältehilfe fehl am Platz“ seien. | |
Und: „Auf jedes Kind, das in der Fraenklinstraße übernachtet, kommt | |
mindestens eines, das hier keine Aufnahme fand“, so Eschen. Auch in die | |
Notübernachtung für Frauen in der Tieckstraße in Mitte kämen immer mehr | |
Frauen mit Kindern, die man aber abweisen müsse, da die Einrichtung | |
räumlich und personell keine Minderjährigen aufnehmen könne. | |
Kostka und Eschen forderten von der Politik „strukturelle Antworten“ | |
(Kostka) auf die sozialen Probleme, die sich Jahr für Jahr an der | |
„Kältehilfe als Kristallisationspunkt“ (Eschen) zeigten: Es müsse deutlich | |
mehr bezahlbarer Wohnraum in Berlin geschaffen, die präventiven Hilfen für | |
Wohnungslose verstärkt werden - etwa durch einen Ausbau der | |
Beratungsstellen zur Verhinderung von Wohnungsverlusten. Zudem forderte | |
Kostka, dass Berlin - wie Hamburg - eine Statistik der Wohnungslosen | |
erstellt. Die Argumentation des Senats, man wolle keine Ressourcen für | |
Statistik verschwenden, sondern lieber mehr in die Hilfe investieren, | |
nannte sie „Blödsinn“. Ohne genaues Wissen darüber, wie viele Menschen in | |
Berlin eigentlich wohnungslos sind, „kann man den Bedarf nicht richtig | |
einschätzen“, so Kostka. | |
31 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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