# taz.de -- Jetzt doch kommunaler Ökostrom: Stadtwerke im Aufwind | |
> Die Berliner Stadtwerke galten lange als schlechter Witz. Aber jetzt kann | |
> jeder per Mausklick kommunalen Ökostrom kaufen – und billig ist der auch | |
> noch. | |
Bild: Bei uns kommt der Strom bekanntlich aus der Steckdose – fragt sich nur,… | |
Stadtwerk light, Bonsai-Stadtwerk, Luftnummer, Papiertiger – die Liste der | |
Spottnamen für den 2014 gegründeten landeseigenen Energieerzeuger ließe | |
sich fortsetzen. Die Kritik an den Berliner Stadtwerken – so der offizielle | |
Name – rührt daher, dass das Tochterunternehmen der Berliner Wasserbetriebe | |
von Anfang an kaum Chancen hatte, Kunden zu akquirieren. Denn es darf laut | |
Gesetz keinen Strom von anderen Erzeugern an der Börse kaufen und an die | |
eigenen Abnehmer weiterreichen. Ohne diese Möglichkeit aber, nur auf der | |
Basis der Erzeugungskapazitäten, die es schrittchenweise selbst aufbaue, | |
könne das Unternehmen nie den Absprung schaffen. Hieß es immer. | |
Jetzt hat sich der Wind gedreht: Seit Ende Oktober bieten die Berliner | |
Stadtwerke Ökostrom an – und jeder kann ihn kaufen. Viele BerlinerInnen | |
haben davon allerdings noch gar nichts mitbekommen. Eine Werbekampagne gibt | |
es auch nicht. Nur wer auf die Website berlinerstadtwerke.de geht, kann | |
ganz ohne Weiteres das Produkt „berlinStrom“ buchen. Bei Vertragsabschluss | |
bis 31. Dezember liegt der monatliche Grundpreis mit 5,95 Euro sogar noch | |
unter der billigsten Offerte von Vattenfall. Anschließend steigt der | |
Grundpreis auf 7,95 Euro, was in etwa dem „Natur-Strom“ von Vattenfall (8 | |
Euro/Monat) entspricht. Die Kilowattstunde ist mit 24,60 Cent ebenfalls | |
günstiger als bei Vattenfall und auch bei anderen Ökoanbietern. | |
## Einfach Anteile gekauft | |
Strom aus Landeshand – das gab‘s seit 1997 nicht mehr, als die Bewag | |
verkauft wurde. Wieso geht es jetzt doch? An den 800 Quadratmetern | |
Photovoltaik, die die Stadtwerke vor kurzem auf Dächern der | |
Wohnungsbaugesellschaft Gesobau in Pankow installiert haben, kann es nicht | |
liegen, auch wenn deren Bewohner die ersten sind, die unter dem Label | |
„Mieterstrom“ ganz offiziell die städtische Energie beziehen. Auch nicht an | |
der Handvoll Windräder, die kommendes Jahr in Brandenburg auf den Flächen | |
der Berliner Stadtgüter in Betrieb gehen sollen. Der Trick geht anders: Die | |
Stadtwerke werden Anteilseigner bei Windpool, einer Betreibergesellschaft | |
deutscher Windparks, zu der sich Stadtwerke vor allem im Südwesten der | |
Republik zusammengetan haben. | |
Ein Teil des Öko-Stroms aus diesen Anlagen gehört dann den Berliner | |
Stadtwerken und kann von ihnen vermarktet werden. Kein Handel mit | |
Fremdstrom, alles gesetzeskonform und eine echte Chance, größer ins | |
Geschäft zu kommen. Bis Jahresende wolle man 20.000 Menschen beliefern | |
können, sagt Jörg Simon, Vorstandsvorsitzender der Wasserbetriebe und somit | |
oberster Stadtwerke-Chef. | |
Und wenn 50.000 den Wechselbutton anklicken? Oder noch mehr? Den Versuch | |
wäre es wert. Denn offenbar ist das politische Klima für Stadtwerke | |
deutlich günstiger geworden, seit die mitregierende CDU für das | |
Stromhandels-Verbot gesorgt hat. Das war Ende 2013, als der Volksentscheid | |
des Berliner Energietischs beinahe eine Mehrheit erringen konnte. Die | |
Gründung eines ökologischen Stadtwerks stand damals zur Abstimmung. Dass | |
der Entscheid an 20.000 fehlenden Stimmen scheiterte, lag wohl auch an dem | |
kurz zuvor in ein Gesetz gegossenes Versprechen von Rot-Schwarz, selbst ein | |
Stadtwerk zu schaffen. Über dessen Beschränkungen wurde die Öffentlichkeit | |
erst nach dem Urnengang aufgeklärt. | |
Die CDU, immer dem privaten Unternehmertum verpflichtet, hat weiterhin | |
Probleme mit einem großen kommunalen Energieanbieter. Aber eine große | |
Blockiererin, Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer, hat inzwischen den | |
Chefposten im Aufsichtsrat der Wasserbetriebe an die SPD abgegeben. Heute | |
sitzt Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen dem Gremium vor, er ist dem | |
Stadtwerk wohlgesonnen. Und selbst aus Yzers Verwaltung waren schon Signale | |
für einen Abschied von der jetzigen Regelung zu vernehmen. | |
## „Ruckzuck das größte“ | |
Dennoch zitiert die Berliner Morgenpost den energiepolitischen Sprecher der | |
CDU-Fraktion, Michael Garmer, mit den Worten, die Entscheidung zum Kauf von | |
Windparkanteilen habe ihn „sehr überrascht“, möglicherweise sei sie nicht | |
vom Gesetz gedeckt, man werde das prüfen. Daniel Buchholz, | |
umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, hält die Ablehnung der CDU für | |
„rein ideologisch“ motiviert und „nicht nachvollziehbar“. Er rät allen… | |
beim Volksentscheid im November 2013 für ein kommunales Stadtwerk gestimmt | |
haben, jetzt umzusteigen: „Wenn nur die Hälfte dieser 600.000 zu Kunden | |
wird, haben wir in Berlin ruckzuck das größte Stadtwerk weit und breit.“ | |
Auch Michael Efler, Sprecher des Berliner Energietischs, begrüßt den | |
Fortschritt bei den Stadtwerken. Das Unternehmen habe eine „Nische“ | |
gefunden, um doch am Markt mitmischen zu können. Jetzt müsse man Hamburg | |
nacheifern, wo das Stadtwerk „Hamburg Energie“ rund 100.000 Kunden Ökostrom | |
liefert. Efler hofft auch auf einen neuen Senat ab 2016, der die Stadtwerke | |
von den gesetzlichen Fußfesseln befreit. | |
Etwas Wasser gießt der Energieexperte der Grünen-Fraktion, Michael Schäfer, | |
in den Wein: Er sagte zur taz, erst die Schaffung zusätzlicher erneuerbarer | |
Energiequellen sei ein echter Erfolg – und solange das Land selbst keinen | |
grünen Strom beziehe, sei der Weg noch weit. Der „Natur“-Strom von | |
Vattenfall, der in Berlins kommunalen Einrichtungen verbraucht wird, gilt | |
Kritikern als Greenwashing-Produkt. | |
8 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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