# taz.de -- Finanzpolitik in Deutschland: Abschied von der schwarzen Null | |
> Die SPD drängt auf neue Milliarden für Bildung und Integration – auch | |
> wegen der Flüchtlinge. Schäuble ahnt, dass sein Lieblingsprojekt wackelt. | |
Bild: Finanzminister Wolfgang Schäuble würde notfalls den ausgeglichenen Haus… | |
Berlin taz | Lange schien die schwarze Null wie in Beton gegossen. Ein | |
ausgeglichener Bundeshaushalt gilt der Union, ganz vorne Finanzminister | |
Wolfgang Schäuble (CDU), als Beleg für seriöses Wirtschaften. Doch | |
Gewissheiten gelten nicht mehr, seitdem Hunderttausende Menschen in | |
Deutschland Schutz suchen. | |
Die SPD drängt jetzt auf Milliardeninvestitionen des Staates, die die | |
schwarze Null infrage stellen. „Was wir jetzt brauchen, ist ein | |
Investitionsprogramm für Arbeit, Bildung und Integration – und zwar für | |
alle Menschen in Deutschland“, sagte SPD-Bundesvize Ralf Stegner am Montag. | |
„Das wäre ein finanzieller Kraftakt.“ Stegner rechnet mit einem | |
zweistelligen Milliardenbetrag in den nächsten Jahren. | |
Auch Generalsekretärin Yasmin Fahimi betonte, ein solches Programm müsse | |
„absolut prioritär“ behandelt werden. Und Juso-Chefin Johanna Uekermann | |
forderte schneidig: „Entweder verabschiedet sich die Union von ihrer | |
schwarzen Null, oder wir erhöhen die Steuern für Reiche.“ | |
Aus den Bundesländern kommen ebenfalls Forderungen, das Sparziel im Bund | |
angesichts der Flüchtlingszahlen aufzugeben. Nordrhein-Westfalens | |
Finanzminister Norbert Walter-Borjans, ebenfalls SPD, sagte: „Der Bund darf | |
die finanzielle Verantwortung für die Folgen internationaler Konflikte | |
nicht Ländern und Kommunen zuschieben, nur um einen kosmetisch schönen | |
Haushalt präsentieren zu können.“ | |
## Steilvorlage von Schäuble | |
Die Vorlage für den Angriff auf die schwarze Null hat Schäuble der SPD | |
selbst geliefert. Er lässt sich im Spiegel mit einem Satz zitieren, der | |
sein Lieblingsprojekt infrage stellt. „Wollen Sie ein Flüchtlingskind | |
verhungern lassen, nur damit die schwarze Null steht?“, fragte er die | |
Reporter. Wenn der Staat mehr neue Schulden machen muss als geplant, wird | |
es am Finanzminister nicht scheitern. | |
Dieses Signal ist das deutlichste, aber nicht das erste. Der Finanzprofi | |
lässt sich seit Wochen Hintertürchen offen, wenn es um die Flüchtlinge und | |
den Haushalt geht. Er ahnt, dass die vereinbarten Milliardenzuschüsse nicht | |
reichen werden, um die vielen Menschen zu versorgen. | |
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ging Mitte September davon | |
aus, dass der Staat im Jahr 2016 rund 9,2 Milliarden Euro zusätzlich für | |
die Flüchtlinge ausgeben muss. Die Forscher berechneten Kosten für die | |
Unterkunft, für mehr Beamte und Bundespolizisten, aber auch für mehr Hart- | |
IV-Ausgaben. „Die Annahmen, die dieser Zahl zugrunde lagen, sind | |
mittlerweile überholt“, sagte DIW-Finanzexpertin Kristina van Deuverden | |
gestern. Es sei absehbar, dass die Kommunen viel mehr Geld bräuchten als | |
geplant. „Wenn der Bund ihnen und den Ländern mit neuen Milliarden hilft, | |
steht die schwarze Null infrage.“ | |
Das DIW korrigiert also die eigene Annahme nach oben. Der Bund plant aber | |
für 2016 viel weniger ein, nämlich nur sechs Milliarden zusätzlich. Davon | |
gehen 3 Milliarden Euro an die Länder, die sie an die Kommunen | |
weiterreichen könnten. Jene tragen die Hauptlast, weil sie die Flüchtlinge | |
versorgen müssen. Der Bund wird sich also kaum der Pflicht entziehen können | |
nachzuschießen – und den Ländern und Kommunen erneut unter die Arme zu | |
greifen. | |
## Union in Zwickmühle | |
Die Union steckt deshalb in einer Zwickmühle. Am liebsten würde sie den | |
ausgeglichenen Bundeshaushalt ja retten. Ein milliardenschweres | |
Investitionsprogramm zu fordern, sei völlig überzogen, sagte Eckhardt | |
Rehberg, Chefhaushälter der Unions-Fraktion, mit Blick auf die SPD. Diese | |
Forderung sei offensichtlich auch parteitaktisch motiviert. „Das Ziel eines | |
ausgeglichenen Bundeshaushalts für das Jahr 2016 gebe ich nicht auf.“ Aber | |
ist das zu schaffen? | |
Wenn der Staat keine neuen Schulden machen will, bleiben ihm zwei andere | |
Möglichkeiten. Er kann die Steuern erhöhen und sich so mehr Einnahmen | |
verschaffen. Oder er kann anderswo sparen, zum Beispiel in dem riesigen | |
Sozialetat. | |
Das Nein zu Steuererhöhungen ist der Union heilig. Mit diesem Versprechen | |
hat Angela Merkel schließlich die Bundestagswahl grandios gewonnen. Hartes | |
Sparen wiederum ist mit der SPD nicht zu machen. „Sozialkürzungen wären in | |
einer aufgeheizten Situation wie dieser Gift“, sagte Stegner. „Da könnte | |
man auch gleich ein Konjunkturprogramm für die Rechten auflegen.“ | |
Deshalb spricht viel dafür, dass sich Union und SPD dafür entscheiden, den | |
ausgeglichenen Haushalt zu kippen. Denn es gibt nur eine Antwort auf | |
Schäubles Frage nach der Null und dem Flüchtlingskind: Nein, natürlich | |
nicht. | |
27 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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