# taz.de -- Kunsthistorische Gegenüberstellung: Malschwein vs. Archivar | |
> Das Museum der bildenden Künste in Leipzig präsentiert die Zeitgenossen | |
> Delaroche und Delacroix erstmals im Dialog. | |
Bild: Ausschnitt aus Paul Delaroches, Cromwell am Sarge Karls I. | |
Müde sieht Napoleon aus, am 31. März 1814, wie unter Schock. Gerade hat er | |
erfahren, dass feindliche Truppen in Paris einmarschiert sind. Seine | |
Niederlage ist besiegelt. Nun hockt er da, mit krummem Rücken, den Blick | |
nach innen gerichtet und an der Stuhllehne Halt suchend. So menschlich | |
bannte Paul Delaroche (1797–1856) den Moment in Öl. | |
Im Museum der bildenden Künste Leipzig hängt das Bild normalerweise auf | |
weißer Wand in der Dauerausstellung. Für einige Wochen ist es nun ins | |
Untergeschoss gewandert, um ein Kapitel Kunstgeschichte mitzuschreiben: Das | |
von Paul Delaroche und Eugène Delacroix (1798–1863). | |
„Geschichte als Sensation“ soll hier laut Ausstellungstitel gezeigt werden. | |
Aufsehenerregend ist neben den 35 Gemälden, 50 Zeichnungen und 50 Grafiken | |
die Tatsache, dass beide Künstler erstmals in einer Ausstellung | |
gegenübergestellt werden: Mit nur knapp einem Jahr Abstand voneinander ins | |
Ende des 18. Jahrhunderts in Frankreich hineingeboren, erleben sie die | |
Folgen der Französischen Revolution, Napoleon, den Terror der Straße. Beide | |
werden Historienmaler, suchen in der Literatur wie in der Geschichte | |
Englands nach Themen. Ihre Werke sind im Pariser Salon oft gleichzeitig zu | |
sehen, von der Kunstkritik gefeiert wie verrissen. | |
Eugène Delacroix kennen wir heute vor allem als Maler der Freiheit, die das | |
Volk führt (La Liberté guidant le peuple, 1830), die im Louvre hängt und | |
2008 ein CD-Cover der britischen Band Coldplay zierte. Seit dem frühen 20. | |
Jahrhundert wird Delacroix als Vorbereiter des Impressionismus und der | |
Moderne angeführt, während Delaroche in Vergessenheit geriet. | |
So ist die Ausstellung die erste posthume über ihn in Deutschland überhaupt | |
– und das, obwohl er hier zu Lebzeiten weit mehr Fans hatte und sein | |
Leipziger Napoleon als Postkarte die Runde machte. Auch Heinrich Heine | |
berichtete 1831 begeistert über ihn: Delaroche sei der „Chorführer“ der | |
Schule von Historienmalern, seine Werke seien „Geschichtschreibung mit | |
Farben“. | |
## Hochkarätige Leihgaben | |
Wer in Leipzig die steilen Treppen zur Sonderausstellung hinabsteigt, den | |
begrüßen dunkelrote Wände und gedämpftes Licht – mehr als 50 Lux | |
Beleuchtungsstärke lassen die hochkarätigen Leihgaben nicht zu. Allein aus | |
dem Pariser Louvre haben sich 28 auf den Weg nach Leipzig gemacht – nur die | |
Liberté hat leider Reiseverbot. Die herbstliche Kuschelstimmung im | |
Untergeschoss steht den Darstellungen zum Teil diametral entgegen: Da wird | |
ein Bischof gemordet, ein Kardinal stirbt, eine Leiche liegt im Sarg. | |
Kurator Jan Nicolaisen präsentiert beide Künstler nicht streng dialogisch, | |
sondern gliedert in Kapitel, so zur Französischen Revolution und ihren | |
Folgen, zur englischen Geschichte oder zur Literatur als Inspiration. Nur | |
wo sich direkte Vergleiche anbieten, hängen Werke beider auch | |
nebeneinander. So malte etwa Delaroche den Protagonisten des englischen | |
Bürgerkriegs, Cromwell, am Sarge des englischen Königs Karl I. Eine | |
perverse Szene: Cromwell selbst hatte ihn hinrichten und den Sarg öffnen | |
lassen, um sich von Karls Tod zu überzeugen. Ein Bild, das auf dem Pariser | |
Salon von 1831 beim Publikum zur Attraktion und zugleich stark kritisiert | |
wurde. | |
Denn Delaroches Darstellung erinnert eher ans Theater denn an eine | |
realistische Begebenheit, so steif und unbeeindruckt steht Cromwell am Sarg | |
des Feindes. „Delaroche ist ein visueller Archivar“, erläutert | |
Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt, seine Bilder seien oft fotografisch | |
genau. Tatsächlich hat er Wachsmodelle seiner Leinwandprotagonisten in | |
beleuchteten Guckkästen abgemalt. Auch Malerkollege Delacroix bezeichnete | |
das Werk des Kollegen als „non-sens“ und entwarf wohl noch im selben Jahr | |
ein Aquarell, um zu zeigen, wie die Szene glaubwürdiger wirken würde. | |
## Malerstar Delaroche | |
Nur eine Anekdote, die deutlich macht, dass Delacroix den Kollegen | |
Delaroche nicht sonderlich schätzte, sei es aus formal-ästhetischen Gründen | |
oder schlicht aus Neid auf dessen Erfolg. Es ist Delaroche, der ein Star | |
wird, in Gremien sitzt und dessen Statue in den 1860er Jahren die Fassade | |
der Hamburger Kunsthalle schmückt. Erst nach Delaroches Tod wurde Delacroix | |
in die Académie des Beaux-Arts aufgenommen, nachdem er sich siebenmal darum | |
beworben hatte. | |
Die Ausstellung eröffnet mit einer entsprechenden Gegenüberstellung der | |
Biografien und ermöglicht permanent den Blick für Gemeinsamkeiten und | |
Unterschiede. Ein Kabinett mit Kostümstudien belegt etwa, dass sich auch | |
Delacroix mit der Darstellung von Ritterrüstungen, orientalischen | |
Pistolentaschen und antiken Medaillen beschäftigt hat. | |
Doch im Gegensatz zu Delaroche war er ein Mann der Leinwand, ein | |
„Malschwein“, so Museumsdirektor Schmidt, dessen Gewaltdarstellungen sich | |
im Pinselduktus niederschlagen. Goethe kommentierte gar, dass es Delacroix’ | |
Lithografien zu seinem Faust vermochten, seine eigene Vorstellung der | |
Szenen noch zu übertreffen – ein ganzer Raum ist ihnen in Leipzig gewidmet. | |
So erzählt die Ausstellung wie der hervorragende Katalog nicht nur die | |
Geschichte zweier Malerkollegen – sie ist auch Beleg dafür, dass sich | |
Kunstgeschichte nicht von selbst schreibt, es nicht vermag, den | |
Zeitgeschmack objektiv weiterleben zu lassen. Und sie macht all den neben | |
Baselitz, Richter und Co. heute noch blass erscheinenden Kunstweltbewohnern | |
Mut: Ein fester Platz in der künftigen Kunstgeschichtsschreibung ist ihnen | |
noch nicht zugewiesen! | |
Bis 17. Januar, Museum der bildenden Künste, Leipzig, Katalog (Imhof | |
Verlag) 39 bzw. 9 Euro | |
25 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Sarah Alberti | |
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