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# taz.de -- Leipziger Stadtmagazin "Kreuzer": Gegenöffentlichkeit und Größen…
> Seit 20 Jahren versucht sich das Leipziger Stadtmagazin "Kreuzer" in der
> Gegenöffentlichkeit. Doch dem eigenen Anspruch wird man nur gelegentlich
> gerecht.
Bild: Stadt ohne Medienvielfalt: Leipzig am Abend.
Montagabend, 19 Uhr, in der vierten Etage eines Geschäftshauses in der
Leipziger Innenstadt: Zwischen improvisierter Küchenzeile, Regalen und
Zeitungsstapeln sitzen die Redakteure des Leipziger Stadtmagazins Kreuzer
beieinander und diskutieren über das nächste Heft.
Sollen die rechtsradikalen Übergriffe im Stadtteil Lindenau zum
Politikaufmacher werden? Wer schreibt über die Intendantennachfolge des
MDR? Druckt man das Interview zur alternativen Theaterszene? Und immer die
Rückfrage in Richtung des Geschäftsführers und Anzeigenverkäufers Egbert
Pietsch: "Wie viel Platz haben wir denn?"
Aus Pietschs Bürofenster fällt der Blick auf den Hauptbahnhof, vor ihm der
Leipziger Ring, 1989 Schauplatz der friedlichen Revolution. Bereits vor 20
Jahren reiste Pietsch, genannt Ecki, vor der Wende NVA-Offizier auf Zeit
und Schallplattenschwarzhändler in Berlin, durch das frisch wiedervereinte
Deutschland. Die Mission des damals 25-jährigen Germanistikstudenten:
Anzeigen verkaufen. Anzeigen für ein Leipziger Magazin namens Kreuzer.
Seit Januar 1991 lag das Heft im A4-Fomat der alternativen Wochenzeitung
Die Andere Zeitung, kurz DAZ, bei und informierte über das Kulturgeschehen
in der von den Wendeturbulenzen geprägten Stadt. "Eine Idee der DAZ war in
ihrem euphorischen Größenwahn, eine monatliche Beilage zu machen, nach dem
Motto: Die Zeit und die FAZ haben so ein Magazin und wir müssen das auch
haben." erzählt Ecki.
## Subjektiv und selektiv
Aus einem Flugblatt des Neuen Forums, das während der Leipziger
Montagsdemos verteilt wurde, hatte sich die DAZ entwickelt. Ab Januar 1990
erschien sie als unabhängige Wochenzeitung. Erklärte Zielstellung: Anders
sein. Eine Gegenöffentlichkeit bilden zum Leipziger Blätterwald, der von
Zeitungen ehemaliger DDR-Parteien, allen voran dem SED-Blatt Leipziger
Volkszeitung (LVZ) geprägt war. Doch nur bis April 1991 hielt sich die DAZ,
dann musste sie wie viele Protestblätter der Wendezeit der ökonomischen
Realität ins Auge blicken und aufgeben. Von den zahlreichen Versuchen, in
Leipzig eine linkspublizistische Stimme zu etablieren ist nur einer nicht
gescheitert: Das heutige Stadtmagazin Kreuzer, das seit Juni 1991 monatlich
erscheint und in diesen Tagen 20. Geburtstag feiert.
"Nirgendwo sonst findet der mobile Großstädter auf solch kompakte Weise den
Überblick über die Ereignisse eines Monats in der Stadt" wirbt der Kreuzer
in den Mediadaten um Anzeigenkunden und betont die spannenden
Hintergrundberichte über das kulturelle und politische Geschehen in
Leipzig, Tipps und Trends, Rezensionen über aktuelle Filme, CDs, Bücher und
Theateraufführungen. Seit 1999 führt Ecki die als eigenständiger Verlag
funktionierende Kreuzer Medien GmbH inklusive sieben Festangestellten und
eigenem Grafikbüro. Die verkaufte Auflage beläuft sich auf 10.000, der
Kreuzer kostet am Kiosk 2,50 Euro und liegt monatlich bei 2.500 Abonnenten
im Briefkasten.
Dass das Magazin überleben konnte, ist auch Ecki zu verdanken: "Ich wollte
diese schöne Kohle aus den bereits abgeschlossenen Anzeigenverträgen nicht
sehenden Auges in den Gully schütten." Stattdessen beschaffte er sich die
kleine Diskette mit den rund 700 Abonnentenadressen der DAZ - Basis des
Leserstammes bis heute. "Viele blieben dem Kreuzer über die Jahre aus
Protest als Leser treu, weil wir es in Leipzig immer noch mit einer
Monokultur zu tun haben, die keine Pressevielfalt zulässt," meint der
emeritierte Leipziger Journalistikprofessors Michael Haller.
## Die LVZ sei schlaff und langweilig
Neben dem ehemaligen SED-Bezirksblatt, der LVZ, existiert in Leipzig keine
weitere Tageszeitung. Der Kreuzer und eine Internetzeitung bilden die
einzigen publizistischen Alternativen, alle Bemühungen Neugründungen zu
etablieren sind gescheitert. Drei liberale Blätter würde Ecki sich für
Leipzig wünschen, denn, so seine deutliche Position zur LVZ: "Die ist
schlaff, langsam und langweilig, überhaupt nicht lustig und politisch in
einen ekelhaften Konservatismus gerückt, der überhaupt nicht in diese Stadt
passt."
Bis heute versteht sich der Kreuzer als publizistischer Trostspender in
dieser trostlosen Presselandschaft, nicht ohne Auswirkungen der
Entstehungsgeschichte auf die redaktionelle Arbeit auszumachen: "Der
Kreuzer ist als Gegenspieler zur LVZ gestartet, mit einem klaren Anspruch
zur Gegenöffentlichkeit und das ist das prägende Selbstverständnis bis
heute" erklärt der 35-jährige Robert Schimke, einer der beiden
Chefredakteure, bestimmt. "Wir können Themen setzen, die die LVZ nicht
setzt und die Dinge mit einem längeren Atem betrachten."
So berichtete die LVZ fast täglich über den Finanzskandal der Leipziger
Wasserwerke - der Kreuzer brachte im Januar eine vierseitige
Titelgeschichte zum Thema und rekonstruierte die Ereignisse. "Unser
Anspruch und auch die Erwartung unserer Leser ist es, das wir die Dinge
anders angehen, überkritisch sind, meinungsfreudig" erklärt Schimke. "Wir
sind szeneverbunden und unser Anspruch Gegenöffentlichkeit zu sein, macht
klar, dass wir keinen meinungsfreien Agenturjournalismus machen." Das gilt
auch für den gewichteten Veranstaltungskalender, der Orientierung im
Leipziger Szenedschungel bietet und mit dem sich der Kreuzer deutlich von
den Konkurrenzstadtmagazinen Prinz, Frizz und Blitz abhebt, meint Michael
Haller: "In vielerlei Hinsicht ist der Kreuzer witziger, intelligenter und
origineller als die anderen Stadtmagazine, die ihre Spalten mit PR-Texten
füllen."
## Gezahlt wird mit Herzblut
Undenkbar für den Kreuzer, der Anzeigen und Redaktion streng trennt und
eine Anzeige der Oper neben dem Verriss der Inszenierung druckt. Konkurrenz
herrscht unter den Stadtmagazinen daher nur auf dem Anzeigen- nicht auf dem
Lesermarkt. Denn der Preis des unabhängigen Verlagsdaseins ist die
finanzielle Instabilität: Nur 25 Prozent der Einnahmen speisen sich aus dem
Vertrieb, gut 65 Prozent beschaffen die Anzeigen.
"Wir können nicht mit Scheinen winken, sondern nur mit Themen, die unseren
Autoren am Herzen liegen" erklärt Chefredakteur Schimke. So kann es auch
sein, dass Freie lange auf ihr Honorar warten müssen oder dieses erst gar
nicht erhalte. Sieben Redakteure und 40 Autoren stemmen das Heft. Spricht
man mit Kreuzermachern wird eines deutlich: Ohne Idealismus und Herzblut
sowie die Bereitschaft unregelmäßige Bezahlung in Kauf zu nehmen,
funktioniert das Kreuzerprinzip nicht. Doch diese Rechnung geht auch zu
Lasten der Qualität: "In den 90er Jahren gab es noch Enthusiasten, die
Geschichten ausrecherchierten und dann bei uns brachten." erzählt Ecki.
"Heute haben wir weniger die heißen politischen Themen, dafür massenhaft
Leute, die über Kultur schreiben wollen", ergänzt Chefredakteur Schimke.
Somit treibt der Kreuzer heute einzelne Szeneentscheidungen durch
polarisierende Texte voran und gestaltet Leipziger Wirklichkeit mit. Als
Gegenöffentlichkeit begreift Ecki sein Heft jedoch nicht mehr: "Wir sind
heute das bürgerliche Intelligenzblatt, im wohlgemeinten Sinne des
Vorwärtsbringens der Stadt."
Den Anspruch einer publizistischen Gegenöffentlichkeit kann das nicht
tagesaktuelle Format mit beschränktem Etat auch aus Sicht Michael Hallers
nicht erfüllen. "Der Kreuzer versucht, anderen Sichtweisen Raum zu geben
und das macht den Charme dieses Heftes aus", so Haller. "Doch in erster
Linie ist er ein Stadtmagazin, das ich mir kaufe, um einen kommentierten
Veranstaltungskalender zu haben." Und für die älteren Leser, so Haller,
bedeute der Kreuzer noch immer "die Erinnerungen an eine vergangene
Zukunft."
21 Jun 2011
## AUTOREN
Sarah Alberti
## TAGS
Leipzig
Kunst
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