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# taz.de -- Miranda Julys erster Roman: Die ist irgendwie schräg
> In „Der erste fiese Typ“ lässt Miranda July ihre Protagonistin Cheryl von
> ihrer anderen Protagonistin verprügeln – damit sie Nähe empfindet.
Bild: Eine So-ziemlich-alles-Könnerin – die Künstlerin Miranda July.
Miranda July ist eine So-ziemlich-alles-Könnerin, die in ihrem Leben wohl
auch schon so ziemlich alles gemacht hat. Im Kreativbereich jedenfalls. Sie
macht Kunst und Filme und schreibt und hat, wie kürzlich in einem Interview
zu lesen war, tatsächlich sogar mal in einer Peepshow gearbeitet. Auch das
kann man sich bei ihr eigentlich nur wie eine künstlerische Performance
vorstellen, und die Episode ist denn auch als Thema in eine von Julys Short
Stories eingegangen. Es ist, wie die meisten davon, eine einerseits
traurige Geschichte, über der andererseits ein surrealistischer, leicht
irrer Glanz liegt, der etwas, das genauso gut ein furchtbar erbärmliches
Stück Realität sein könnte, in ein absurd veredeltes Kabinettstück
verwandelt.
Ungefähr so funktioniert das gesamte July’sche Kulturschaffen. Die Kunst
liegt dabei oder beginnt im Auge der die Dinge mit schiefgelegtem Kopf
betrachtenden Autorin – in ihrem offenbar alles durchdringenden Blick, der
das Gewöhnliche oder auch das fast schon Unerträgliche von einem irgendwie
so schrägen Winkel aus ergründet, dass es auf nie gesehene Weise
interessant beleuchtet erscheint.
Auch Cheryl, die Protagonistin von Julys erstem Roman, würde uns
möglicherweise gänzlich uninteressant vorkommen, begegneten wir ihr im
wirklichen Leben. Cheryl arbeitet als undefiniertes Irgendwas bei einer
privaten Wohltätigkeitsorganisation. Sie ist alleinstehend, über vierzig
und steht ziemlich allein da im Leben. Familie und Freunde gibt es
praktisch nicht, und auf der Arbeit passt Cheryl sich so sehr den
Bedürfnissen der anderen an, dass ihre eigenen dahinter völlig
verschwinden, auch vor ihr selbst. Dasselbe passiert, als sie, auf sanften
Druck von oben, die Tochter ihrer Chefin bei sich wohnen lässt.
Die junge Clee will angeblich irgendwas mit Film machen und braucht dafür
einen Standort in der Stadt. Kaum ist sie bei Cheryl eingezogen, verlässt
sie kaum noch das Sofa, beansprucht das Wohnzimmer komplett für sich und
verdrängt ihre Gastgeberin aus großen Teilen der Wohnung. Als Cheryl
zaghaft eigene Bedürfnisse anmeldet, wird Clee gewalttätig. Damit nimmt
eine ungewöhnliche Beziehungsgeschichte ihren Anfang.
## In der Prügelphase
Da im July’schen Kosmos alles immer auch anders ist, als es scheint, wäre
es höchstwahrscheinlich zu eindimensional gedacht, die Phase, in der Cheryl
es genießt, regelmäßig von Clee verprügelt zu werden, allein als Ausdruck
einer generell masochistischen Haltung zum Leben zu sehen. In der Art des
Zusammenlebens, die diese beiden ungleichen Frauen gefunden haben, zeigt
sich auf jeden Fall, in welch eigentümlichen Formen sich das menschliche
Bedürfnis nach Nähe äußern kann.
Allerdings bleibt die Prügelphase in der Beziehung der Mitbewohnerinnen nur
eine Episode, so wie im Übrigen dem ganzen Roman etwas latent Episodisches
anhaftet. Er ist weniger in einem größeren epischen Bogen angelegt, sondern
eher wie eine TV-Serie, in der zwar das Ende noch Bezug zum Anfang hat,
aber die Handlung dazwischen sich in gut zu portionierenden und voneinander
abgegrenzten Folgen abspielt.
Mit Clees überraschender Schwangerschaft finden die regelmäßigen Prügeleien
ein Ende, wonach die Beziehung der Frauen weitere Aggregatzustände
durchläuft. Cheryl wird zunächst zu einem Mutterersatz für die junge
Schwangere und nach der Geburt des Kindes sogar zu ihrer Geliebten. Auch
all das sind nur Episoden; doch am Ende bleibt Cheryl jedenfalls nicht mehr
so allein zurück, wie sie es immer gewesen ist, sondern als so eine Art
Mutter. Denn natürlich ist die unreife Clee, die zudem gerade erst ihre
Homosexualität entdeckt hat, nicht in der Lage, sich ausdauernd um ihr Baby
zu kümmern.
Das Thema Mutterschaft nimmt einen insgesamt so breiten emotionalen Raum im
Roman ein, dass dabei jenseits aller literarischen Uneigentlichkeit eine
echte persönliche Beteiligung der Autorin durchschimmert. Für Cheryl
bedeutet die Sorge um ein Kind letztlich das Ende aller quälenden
Sinnfragen, das Ende ihrer endlos scheinenden Einsamkeit.
Das Thema Kind ist in diesem Roman eine ironiefreie, geschützte Nische mit
romantisch heruntergedimmtem Licht im ansonsten grell ausgeleuchteten
July’schen Kabinett der verzeihlichen menschlichen Monströsitäten. Das
grenzt hart ans Kitschige, ist aber auch trostreich und schön, wenn es
nicht doch auch ein bisschen traurig machen würde. Denn diese ganze
allumfassende Uneigentlichkeit, das wird darin umso deutlicher, ist vor
allem ein elaborierter emotionaler Schutzwall gegen die Zumutungen im
menschlichen Miteinander. Es ist zum Lachen und zum Weinen gleichzeitig.
30 Oct 2015
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Prügel
Roman
Literatur
Film
Mütter
Girls
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