# taz.de -- TV-Experiment „Plötzlich Krieg?“: Sozialexperiment in Zeiten v… | |
> ZDFneo versucht am lebenden Objekt zu erklären, wie Konflikte entstehen – | |
> und wie schnell sich Menschen in Gruppen manipulieren lassen. | |
Bild: Die überdimensionierte „Schaltzentrale“ in einem ehemaligen Berliner… | |
Ein mysteriöser Wald. Unschärfe. Menschen laufen durch die Wildnis. | |
Abrupter Kameraschwenk: eine kleine Menschengruppe, Hektik in einem | |
zerstört wirkenden Gebäude. Roter Farbfilter, schnelle Schnittbilder. | |
Schließlich ein gleitender Schwenk auf einen grauen Gebäudekomplex. Auf dem | |
Dach steht ein Fernsehteam. Moderator Jochen Schropp begrüßt die Zuschauer: | |
„Der Mensch: eine Spezies, die sich für zivilisiert und moralisch hält. Nur | |
leider ist er es nicht.“ Das Thema und die Atmosphäre sind gesetzt. | |
Mit „Plötzlich Krieg? – Ein Experiment“ möchte ZDFneo zeigen, „wie sc… | |
sich Menschen in Gruppen manipulieren lassen, eine Situation eskalieren | |
kann und wie zwei Gruppen sogar bereit sind, sich zu bekriegen.“ | |
Der Sender nennt das Format einen Versuch, den es so im Deutschen Fernsehen | |
noch nicht gegeben habe, und schließt damit doch an vorangegangene | |
Experimente an, wie das scharf kritisierte „Auf der Flucht“, bei dem man | |
Prominente auf die Spuren von Flüchtlingsrouten schickte, oder „Der Rassist | |
in uns“, mit dem man verdeutlichen wollte, wie Vorurteile entstehen und | |
sich anfühlen. | |
Zwölf Männer und Frauen wurden dafür nun „aus der Mitte der Gesellschaft“ | |
gecastet und in einem ehemaligen Berliner Stasi-Krankenhaus aus einer | |
verborgenen Schaltzentrale heraus gegeneinander ausgespielt. So soll die | |
Frage nach der Entstehung von Konflikten beantwortet und die in zwei | |
gegnerische Gruppen aufgeteilten Teilnehmer sollen so beeinflusst werden, | |
„dass sie sich ohne großes Zögern in einem kriegerischen Konflikt | |
aufeinanderstürzen“. Begleitet wird das TV-Experiment von Konfliktcoach | |
Christopher Lesko. Er benennt die Schlüsselfaktoren (“1. Wir sind die | |
Guten, 2. Die da sind die Bösen, 3. Die nehmen uns was weg“) und hat die | |
als Spiele getarnten Konfliktsimulationen entwickelt. | |
## Wie entsteht subjektiv gefühlte Wirklichkeit? | |
„Ein Kern besteht in der Frage, wie genau jene Stimmungen entstehen, die | |
weit über Aspekte erwachsener Vernunft hinaus unser Handeln bestimmen, wenn | |
sie die primäre Steuerung über unser Verhalten übernehmen. Wie entsteht | |
subjektiv gefühlte Wirklichkeit? Gerade in Zeiten von Pegida und Co., von | |
Asylbewerberdiskussionen und in Zeiten eines Europas mit implementierten | |
Sollbruchstellen ist das eine sehr aktuelle Frage.“ Und eine, die die | |
Gesellschaft schon lange beschäftigt. So zum Beispiel in Morton Rhues Roman | |
„Die Welle“ aus dem Jahr 1981, in dem ein Lehrer mit seiner Klasse den | |
Konformitätsdruck des Nationalsozialismus nachempfindet. Oder auch in Mario | |
Giordanos „Das Experiment Black Box“, das Freiwillige in Gefangene und | |
Wärter unterteilt. Bei beiden Versuchen geht bekanntlich etwas schief. | |
Dass die Voraussetzungen für das nun von ZDFneo so spektakulär angekündigte | |
Sozialexperiment recht bekannt wirken, hängt natürlich auch damit zusammen, | |
dass ähnliche Versuchsanordnungen bereits seit anderthalb Jahrzehnten | |
medial auf unterschiedlichen TV-Sendern durchgespielt zu werden scheinen, | |
von „Big Brother“ bis „Dschungelcamp“ verfolgen wir regelmäßig freiwi… | |
in Extremsituationen gebrachte Menschen, beobachten sinnlos wirkende | |
Spielchen, entstehende Gruppendynamiken und psychische Entgleisungen. | |
„Als Sozialexperiment würde ich keines der erwähnten Formate bezeichnen“, | |
widerspricht Lesko. „Wir haben weder medienerfahrene C-Promis dafür | |
bezahlt, ihren Platz in der dritten Reihe angestaubter TV-Regale mit einer | |
Chance auf mediale Revitalisierung zu tauschen, noch haben wir Menschen wie | |
bei ‚Big Brother‘ unter grenzwertiger Auflösung von Intimsphäre | |
Peinlichkeiten beschert. Wir haben mit durchgängig großem Respekt und Ernst | |
unseren Teilnehmern zugemutet, Gemeinsamkeit, Wut und Konfliktbereitschaft | |
zu entwickeln. Ein diametraler Fokus und eine diametrale Haltung also. Und | |
wir hätten jederzeit damit gearbeitet, wenn sich das ergebnisoffene | |
Experiment in eine völlig andere Richtung entwickelt hätte.“ | |
Dass es „Plötzlich Krieg?“ tatsächlich nicht um sensationsgeilen | |
Voyeurismus sondern um die Sache geht, wird im Laufe des zweiteiligen | |
Formats durchaus deutlich. Zugutehalten muss man dem Konzept außerdem, dass | |
am Ende ein ebenso wichtiger Fokus auf die Herstellung des „Friedens“ | |
gelegt wird, wie zuvor auf die Auslösung des „Krieges“ – auch wenn dies … | |
vorab vom Sender zur Verfügung gestellten Zusammenschnitt nur angedeutet | |
wird. | |
Überzeugend ist das Format dennoch nicht, was an dem aufgebauschten | |
Drumherum liegen könnte, wie beispielsweise der überdimensionierten | |
„Schaltzentrale“, die bei aller bemühten medialen Seriosität an der Grenze | |
zur Karikatur entlangschlittert. Weitgehend unkommentiert hat man auch die | |
eingangs beschriebene inszenierte Spannungsästhetik der erwähnten | |
Reality-Showformate übernommen oder bekannte Mittel, wie eine als Plumpsklo | |
getarnte „Kommunikationseinheit“, durch die die Teilnehmer von einer | |
verzerrten Stimme Informationen und Anweisungen erhalten. So läuft die | |
Produktion in vielen Momenten im Leerlauf zwischen Show und | |
Sozialexperiment – und kommt nicht so recht von der Stelle. | |
27 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Jens Mayer | |
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