| # taz.de -- Debatte Spekulationen: Eine Insel namens Schweiz | |
| > Die Schweizer gelten als reich und erfolgreich. Doch das Bild trügt. Als | |
| > kleines Land ist die Schweiz auch Währungsspekulationen ausgeliefert. | |
| Bild: Der Schein trügt: das Bankenviertel in der Zürcher Innenstadt. | |
| Die Schweiz praktiziert, wovon viele Deutschen träumen: Die Eidgenossen tun | |
| so, als ob sie auf einer Insel lebten. Das Land gehört nicht zur EU, hat | |
| seine eigene Währung und möchte sich gegen Ausländer abschotten. Die | |
| Statistik scheint zu bestätigen, dass die Schweiz eine Idylle ist: Die | |
| Arbeitslosigkeit liegt bei 3 Prozent, und die Bruttolöhne betragen im | |
| Mittel etwa 6.200 Franken. | |
| Trotzdem gärt es in der Schweiz, wie die Wahlen vor einer Woche zeigten. | |
| Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) kam auf knapp 30 | |
| Prozent der Stimmen. Den Eidgenossen scheint es bestens zu gehen, und | |
| dennoch sind sie so nationalistisch, dass der Begriff „Hysterie“ noch eine | |
| Untertreibung wäre. Was ist los? | |
| Eine erste Antwort: Die Eidgenossen sind nicht so reich, wie es auf dem | |
| Papier aussieht. Es klingt zwar gut, dass die Bruttolöhne 6.200 Franken | |
| betragen – vor allem wenn man diesen Betrag in Euro umrechnet und mit | |
| deutschen Gehältern vergleicht. Bei dieser Rechnung kommen die Schweizer | |
| auf 5.733 Euro, während deutsche Vollzeitbeschäftigte durchschnittlich nur | |
| etwa 4.000 Euro verdienen. | |
| Bei diesem Vergleich wird jedoch vergessen, dass die Schweiz viel teurer | |
| ist als Deutschland. Das eidgenössische Statistikamt hat nachgerechnet: Für | |
| einen Warenkorb, der in Deutschland 105 Euro kosten würde, müssen die | |
| Schweizer 183 Franken berappen. Nicht die Schweizer sind reicher – sondern | |
| die Deutschen. Wenn man die echte Kaufkraft zugrunde legt, verdienen die | |
| Bundesbürger besser als ihre südlichen Nachbarn. | |
| ## Nationalismus mit Widersprüchen | |
| Diese Erkenntnis ist nicht allen Schweizern fremd. Unbemerkt von der | |
| Öffentlichkeit sind viele Eidgenossen nach Deutschland umgezogen, wo nun | |
| 38.841 Schweizer wohnen. Das klingt wenig – ist aber stattlich, wenn man | |
| bedenkt, dass in der Schweiz überhaupt nur 6,25 Millionen Menschen leben, | |
| die eine Schweizer Staatsangehörigkeit besitzen. Doch die eigene Migration | |
| wird in der Schweiz nicht wahrgenommen. Für viele Eidgenossen gilt das | |
| Motto: Schweizer dürfen überallhin – aber kein Ausländer soll in die | |
| Schweiz. | |
| Dieser Nationalismus ist nicht nur widersprüchlich, sondern schadet den | |
| Schweizern. Die Einwanderer sind nämlich fast der einzige Wachstumsmotor, | |
| der den Schweizern noch bleibt. | |
| Zwischen 1991 und 2013 wuchs die Schweizer Wirtschaft jährlich um 1,7 | |
| Prozent. Das klingt erst einmal gut. Aber fast die Hälfte von dem Plus kam | |
| nur zustande, weil in dieser Zeit knapp 1,3 Millionen Menschen zugewandert | |
| sind. Ist ja logisch: Wenn mehr Arbeitskräfte und Konsumenten in einem Land | |
| wohnen, steigt das Bruttoinlandsprodukt automatisch. Interessant ist daher | |
| die Wirtschaftsleistung pro Kopf, und sie nahm in der Schweiz nur um 0,9 | |
| Prozent jährlich zu. Da schneidet Deutschland besser ab. | |
| ## Der Franken ist überbewertet | |
| Die Schweizer Wachstumsschwäche hat einen Namen: Franken. Es ist nämlich | |
| keine gute Idee, als kleines Land eine eigene Währung zu besitzen. | |
| Stark ist der Franken zweifellos; er ist sogar grotesk überbewertet. Die | |
| Wechselkurse zwischen verschiedenen Währungen sollen eigentlich | |
| widerspiegeln, wie viel sich für das Geld in den jeweiligen Ländern kaufen | |
| lässt. Um auf die Schweizer Statistiker zurückzukommen: Wenn der gleiche | |
| Warenkorb in der Eurozone 100 Euro und in der Schweiz 183 Franken kostet, | |
| dann müsste der Kurs des Euro bei 1,83 Franken liegen. Doch aktuell gibt es | |
| für einen Euro nur 1,08 Franken. Weltweit ist keine andere Währung so | |
| überbewertet wie der Schweizer Franken. | |
| Also lahmt die Schweizer Wirtschaft. Beispiel Tourismus: Kaum ein Europäer | |
| reist in die Schweizer Alpen, denn umgerechnet 100 Euro will fast niemand | |
| für ein Abendessen zu zweit ausgeben. Auch die Uhrenbauer oder die | |
| Chemieindustrie müssen kämpfen, weil ihre Exportprodukte durch den starken | |
| Franken auf den Weltmärkten so teuer sind. Der starke Franken hat mit einem | |
| weiteren Paradox der Schweizer Politik zu tun: Man will zwar keine Fremden | |
| – aber fremdes Geld darf grenzenlos in die Schweiz fließen. Schließlich | |
| versteht man sich als internationaler Finanzplatz, der gern auch | |
| Steuersünder schützt. | |
| ## Spekulationen ausgeliefert | |
| Die Schweiz bietet sich als „sicherer Hafen“ an, wenn es anderswo turbulent | |
| zugeht. Zuletzt war dies in der Eurokrise zu beobachten. Spekulanten und | |
| Anleger tauschten Hunderte Milliarden Euro in Franken um, weil sie | |
| fürchteten, dass der Euro dramatisch an Wert verlieren könnte. Eine sich | |
| selbst erfüllende Prophezeiung: Je mehr Investoren in den Franken drängten, | |
| desto stärker sank der Kurs des Euro. | |
| Mehr als drei Jahre lang hat die Schweizer Nationalbank versucht, den | |
| Franken wenigstens bei 1,20 zum Euro zu stabilisieren. Doch am 15. Januar | |
| kam es zum „Frankenschock“: Ohne Vorwarnung gaben die Zentralbanker in | |
| Zürich bekannt, dass sie nicht mehr in die Finanzmärkte eingreifen. Seither | |
| dümpelt der Euro zwischen 0,99 und 1,10 Franken, was der Schweizer | |
| Exportindustrie schwer zu schaffen macht. | |
| ## Die Nationalbank druckte einfach Geld | |
| Bis heute rätseln Beobachter, warum es überhaupt zum „Frankenschock“ kam. | |
| Denn auf den ersten Blick war es für die Schweizer Nationalbank kostenlos, | |
| den Frankenkurs zu deckeln: Sie konnte das nötige Geld einfach drucken. | |
| Doch die Risiken wuchsen permanent. Am Ende besaß die Nationalbank | |
| Währungsreserven im Gegenwert von knapp 500 Milliarden Franken – während | |
| diese Franken in der Schweiz herumschwirrten und nach „Anlageobjekten“ | |
| suchten. Besonders beliebt waren Immobilien. Schweizer denken oft, dass | |
| ihre Hauspreise steigen, weil unerwünschte Migranten ins Land strömen. Doch | |
| die Immobilien wurden teurer, weil die Nationalbank Franken drucken musste. | |
| Es gab eine Inflation bei den Vermögenspreisen. | |
| Als kleines Land ist die Schweiz der Währungsspekulation machtlos | |
| ausgeliefert. Daher wäre es nur konsequent, wenn die Eidgenossen dem Euro | |
| beitreten würden – zumal etwa die Hälfte ihrer Exporte in die Eurozone | |
| gehen. Aber die Schweizer halten sich lieber für eine Insel und verheddern | |
| sich in den Paradoxien ihres Nationalismus. Das kann gar nicht gut gehen. | |
| 30 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
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