# taz.de -- Auf den Spuren der Einwanderer: Jenseits skurriler Folklore | |
> Die Braunschweiger Fotografin Birte Hennig reiste in die USA, um dort | |
> nach Einflüssen deutscher Einwanderer zu suchen. | |
Bild: Zufällig aktuelles Smog-Check-Foto aus Los Angeles: Birte Hennig suche S… | |
BRAUNSCHWEIG taz | Die USA sind das klassische Einwanderungsland. Und 15 | |
Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung soll deutsche Wurzeln haben. | |
Allein zwischen 1820 und 1920 suchten mehr als 5,5 Millionen Deutsche dort | |
ihre neue Heimat. Heute würde man sie wohl Wirtschaftsflüchtlinge nennen, | |
denn als im 19. Jahrhundert die deutschen Städte rasant wuchsen, verarmten | |
die Menschen in den ländlichen Regionen zusehends. Viele kratzten ihr | |
letztes Geld für eine Schiffspassage in die Staaten zusammen – auf der | |
Suche nach einem besseren Leben. | |
Hält man sich dies angesichts der derzeitigen Flüchtlingszahlen vor Augen, | |
beeindruckt nicht nur die kontinuierliche Integrationsleistung der | |
US-amerikanischen Gesellschaft, ihrer Politik und der Infrastruktur. | |
Interessant ist auch, ob und wie die kulturellen Differenzen aufgenommen | |
wurden und was heute noch an Einflüssen und Traditionen deutschstämmiger | |
Prägung im US-Alltag wirksam ist. Die Braunschweiger Fotografin Birte | |
Hennig wollte genau das wissen. | |
## Spuren hinterlassen | |
Hennig war Ende 2014 für zwei Monate in den USA unterwegs, um dort den | |
Spuren deutscher Einwanderer nachzugehen. Hatte sie 2012 in dem kleinen Ort | |
Baumholder bei Kaiserslautern, einer ehemaligen US-Militärbasis, noch die | |
Reste einer amerikanisierten Alltagskultur in der deutschen Provinz ins | |
Visier genommen, wagte sie nun die experimentelle Umkehr des Blicks. | |
Ihrer USA-Reise ging eine lange Vorbereitung voraus, sie knüpfte ein enges | |
Netz aus Kontakten und lokalen Anlaufpunkten zwischen New York und Los | |
Angeles und das strukturierte ihre Reiseroute. Außerdem folgte Hennig einer | |
biografischen Fährte: Ein Großonkel, gelernter Automechaniker, war 1926 in | |
den Osten der USA gegangen, eröffnete nach der Heirat mit einer | |
österreichischen Migrantin ein Geschäft in Los Angeles. | |
Zwei historische Porträts ihrer Verwandten und Bilder ihrer Wohnorte sind | |
die persönliche Klammer in der aktuellen Ausstellung Hennigs, die im | |
Braunschweiger Museum für Photographie zu sehen ist. | |
Am Beginn von Hennigs Reise steht die Steubenparade in New York. Sie wird | |
seit 1957 jedes Jahr am dritten Septembersamstag begangen, ein | |
karnevalistischer, deutschtümelnder Umzug. Namensgeber ist der preußische | |
Ex-Offizier Friedrich Wilhelm von Steuben, der als General unter George | |
Washington zum Helden des Unabhängigkeitskrieges gegen die britischen | |
Kolonialherren wurde und somit eine nationale Identifikationsfigur ist. | |
Die Parade trägt sympathisch schräge Züge, auch, weil die Leitkultur die | |
bayerische ist. Die Lederhose für Männer, für Frauen das Dirndl sind das | |
bevorzugte Outfit manch Feiernder. Eine Vereinigung pflegt das Plattdeutsch | |
in Brooklyn, eine andere die deutsche Dogge, zwei Trabis fahren mit. Birte | |
Hennig destillierte daraus fein ironische Porträts und situative Momente, | |
die von der Toleranz und Assimilationsbereitschaft der Beteiligten | |
erzählen. | |
## Roulade und Tanz | |
Selbst einer Hardcore-Veranstaltung wie dem deutschen Abend in der German | |
American Society in Omaha, Nebraska, haftet nicht arg so viel Dumpfbackiges | |
an, wie es bei Heimattagen von Vertriebenenbünden in Deutschland gern der | |
Fall ist. 600 Teilnehmer treffen sich dann in Nebraska – übrigens | |
Braunschweigs Partnerstadt – zu Roulade, Rotkohl und deutschem Bier, danach | |
geht es wieder bayerisch zu beim Tanz. | |
Die versierteren Akteure werden schon mal zum Münchener Oktoberfest | |
eingeladen und repräsentieren vor einem internationalen Publikum, eine | |
Variante deutscher Volkskultur. | |
Ein bleiernes Reinheitsgebot authentischen Deutschtums scheint also über | |
Generationen abgeschliffen, die amerikanisch-deutsche Melange ist eine | |
gelebte, nicht-normative Realkultur hinter skurriler Folklore. Am | |
beeindruckendsten, erzählt Birte Hennig, sei das gemeinsame Singen der | |
US-Nationalhymne am Ende der Veranstaltung gewesen. | |
6 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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