| # taz.de -- Kolumne Vollbart: Wenn die Kartoffeln helfen | |
| > Ich sehe halt so voll gefährlich aus. Macht Sinn, weil ich so ostentativ | |
| > schwul und nicht-deutsch bin – und ab und an U-Bahn in Berlin fahren | |
| > muss. | |
| Bild: Da kommt „Icke“: U-Bahnfahren in Berlin ist was ganz Besonderes. | |
| U-Bahn fahren. Die Pest. In Berlin. Die Bahn fährt ein und die Menschen | |
| stehen alle vor der Tür. Rauskommen unmöglich. Bleibt nur wegnocken. Stört | |
| mich nicht. Hilft beim Frustabbau. Für genau zwei Sekunden. Danach frage | |
| ich mich dann, wieso offensichtlich alle Menschen eigentlich Idioten sind? | |
| Als ich aus dem Westen zurück nach Neukölln mit der U7 fuhr, wurde ich dann | |
| von einem Vater und seinen zwei Bratzen weggenockt, weil sie unbedingt | |
| einen Platz ergattern mussten. Wenn sie vier Sekunden hätten stehen müssen, | |
| wäre wahrscheinlich irgendwo irgendwer gestorben. Dafür musste dann eine | |
| ältere Frau stehen. Das tat dem Prenzlauer-Berg- (oder kam er aus | |
| Charlottenburg?) Vatti dann Leid und er fragte seine Bratzen, ob sie denn | |
| aufstehen möchten, damit die ältere Dame sich setzen könnte. Die Bratzen | |
| sagten „Nö!“, und die Diskussion wurde beendet. Gute deutsche Kinder eben. | |
| Klar, stattdessen wird ständig darüber diskutiert, wie diese ganzen | |
| Ausländer Respekt und so lernen müssen, weil die das ja aus ihren Ländern | |
| nicht kennen. Logisch. Siegen lernen heißt von deutschen Kindern lernen. | |
| Am gleichen Tag lief ich auch auf dem Bahnsteig an einer Frau vorbei, die | |
| instinktiv ihre Tasche umklammerte, als ich an ihr vorbei kam. Ich sehe | |
| halt so voll gefährlich aus. Macht Sinn, weil ich so ostentativ schwul und | |
| nicht-deutsch bin. Ich war also sehr nett und sagte zu ihr: „Keine Angst, | |
| ich klaue Ihre Tasche nicht.“ Sie schaute mich an, schmunzelte und | |
| antwortete: „Nein, nein, so meinte ich das gar nicht. Aber …“ Ach ja, aber | |
| … | |
| … aber ich hingegen warte noch darauf, dass mir auf dem U-Bahnsteig | |
| applaudiert wird und mir „Refugees Welcome“-Plakate entgegengehalten | |
| werden. Das wünsche ich mir sehr, damit ich endlich wieder etwas Sinnvolles | |
| außer Penis in mein Tagebuch schreiben kann. Wird nicht passieren. | |
| Aber gut, mir wird ja auch ständig suggeriert, wie empfindlich ich bin. Der | |
| arme kleine Ausländer. Aus diesem Grund dürfe ich mich nicht darüber | |
| aufregen. Helfen ist nämlich immer gut, vor allem wenn die Kartoffeln | |
| helfen. Schlimm. Schlimm. Aber stehen überhaupt noch Menschen an Bahnhöfen? | |
| Bin mir unsicher. | |
| Leider auch zu faul und zu müde, um das zu recherchieren. Ist auch egal. | |
| Am liebsten würde ich auch niemals mehr in dieser Stadt U-Bahn fahren | |
| müssen. Fahrrad aber auch nicht, weil es so anstrengend ist und der Berg am | |
| Hermannplatz mir Angst macht. Skateboard vielleicht, weil ich | |
| Berufsjugendlicher bin (aber nur bei schönem Wetter). | |
| Ich will einfach nur ins Bett und schlafen. So lange schlafen bis L. | |
| zurückkommt. | |
| 11 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Enrico Ippolito | |
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